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Yar-gan riß seinen Arm los. »Ich finde sie!« widersprach er wütend. »Und wenn ich diese ganze Stadt von oben nach unten durchsuchen muß.« In diesem Moment war er Del. Es war nicht mehr der Sumpfmann, dem Skar gegenüberstand, sondern Del, der aufbrausende, hitzköpfige Narr, der er so oft sein konnte. Was immer es war, das von Del in ihm lebte, es war stark, vielleicht stärker, als er selbst ahnte. »Sei vernünftig, Del«, mahnte ihn Skar kopfschüttelnd. »Es nutzt dir nichts, wenn du jetzt blindwütig losrennst. Du würdest umkommen.«

Yar-gans Gestalt entspannte sich. Skar hatte den Namen Del so betont, daß der Sumpfmann die Warnung begreifen mußte. Für den Bruchteil eines Atemzuges glomm Erstaunen in seinem Blick auf, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Wir müssen ihr nach, Skar«, ließ er nicht locker, nun wieder mit der nichtmenschlichen Ruhe und Sicherheit des Sumpfmannes, der er war. »Und wir müssen es schnell tun. Begreifst du denn nicht? Sie kann nicht weit gekommen sein.« Er deutete auf die Freisegler. »Sie hat diesen Männern ihren Willen aufgezwungen, um uns abzulenken. Es muß sie ungeheure Kraft gekostet haben. Mehr, als sie sich leisten kann, Skar. Und das bedeutet, daß ihr Ziel irgendwo hier in der Nähe liegt!«

»Überschätzt du sie jetzt nicht ein wenig?« fragte Skar spöttisch. »Es sind dreißig Männer, Yar-gan. Nicht einmal du könntest dreißig Menschen gleichzeitig beeinflussen.«

Yar-gan lachte hart. »Überschätzen?« keuchte er. »O nein, Skar. Wenn es einen Menschen auf dieser Welt gibt, der so etwas kann, dann sie.«

Skar wollte ihn unterbrechen, aber Yar-gan fuhr schnell und in erregtem, halbwegs schreiendem Ton fort: »Wir waren drei Monate in Elay, Skar. Hast du dich eigentlich nie gefragt, was in dieser Zeit hinter den Mauern der Verbotenen Stadt vorgegangen ist? Vela hat die Margoi getötet. Der Thron von Elay war verwaist. Aber die Errish brauchten eine Führerin, Skar, eine Frau, die die verbotenen Künste der Alten beherrscht und deren Geist stark genug ist, nicht unter dem Wissen zu zerbrechen, mit dem er leben muß. Wenige Tage vor unserer Abreise wurde die neue Errish gewählt und eingeführt, Skar.« Skar hatte plötzlich das Gefühl, von einer eisigen Hand berührt zu werden. Kälte breitete sich in ihm aus, eine Kälte, die tausendmal schlimmer war als die, die von außen auf ihn eindrang. Er wußte, was Yar-gan sagen würde, noch bevor er die Worte hörte.

»Wenn irgendein Mensch auf dieser Welt zu so etwas fähig ist, Skar, dann nur die Margoi der Errish«, sagte der Sumpfmann, leise und jede Silbe übermäßig betonend. Die Worte trafen Skar wie Ohrfeigen. »Niemand hat je hinter den Schleier einer Margoi gesehen, Skar. Selbst den Errish wird die Erinnerung an sie genommen, sobald sie erwählt ist. Aber du und ich, Skar, wir kennen das Gesicht der Frau, die den Thron Elays innehat. Ihr Name ist Gowenna.«

25.

Der Sturm hatte zu wüten aufgehört, und auch der Wind war zum Erliegen gekommen - zum ersten Mal, seit sie diese Insel betreten hatten. Die Männer gingen noch immer gebückt und vornüber geneigt unter der Last ihrer Bündel und der zahllosen Meilen, die sie zurückgelegt hatten, aber die unbarmherzige Kralle des eisigen Windes fehlte, und das Atmen fiel leichter. Der Himmel hatte aufgeklart: Die Wolken waren vom Sturm hinweggepeitscht worden, und auch die schwefelgelbe Farbe, die das Firmament wie ein böses Omen überzogen hatte, war wieder dem Stahlblau des Nachmittagshimmels gewichen. Trotzdem wurde es nicht richtig hell. Obwohl das Eis das Licht der Sonne reflektierte und mit seinem blendenden Weiß verstärkte, schien Cor-ty-cor in einer endlosen Dämmerung versunken zu sein, als wäre diese Insel und alles, was auf ihr war, auf ewig gefangen in einem zeitlosen Bereich zwischen Tag und Nacht, Tod und Leben.

Skar war der letzte, der die Ruine verlassen hatte, und er hielt sich auch weiter am Ende der Kolonne - wie er sagte, um ihren Rücken zu decken, so wie Del sich an die Spitze ihrer zerschlagenen Armee gesetzt hatte, um Helth jeder Möglichkeit eines überraschenden Angriffes zu berauben -, in Wahrheit aber, um allein zu sein, nachdenken zu können (oder vielleicht auch gerade nicht denken zu müssen). Es war noch mehr als eine Stunde vergangen, ehe Yar-gan den von Gowenna über die Männer gelegten Bann brechen konnte und sie endlich weitermarschiert waren. Der Sumpfmann war bemüht gewesen, Skar zu erklären, was sie getan hatte - es fielen Worte wie Hypnose und suggestiver Block, die aber Skar nichts bedeuteten und die er in diesem Moment auch gar nicht verstehen wollte. Im ersten Augenblick hatte er sich einfach geweigert, Yar-gans Worten zu glauben. »Das... das ist nicht wahr«, hatte er gestottert, schließlich geschrien, ohne weiter auf die Freisegler Rücksicht zu nehmen.

Yar-gan hatte einen Moment geschwiegen, ihn am Arm ergriffen und ein Stück in die Ruine hineingeführt, weit genug, um allein mit ihm und sicher sein zu können, daß keiner der anderen ihre Worte belauschen konnte. »Es ist wahr, Skar«, hatte der Sumpfmann ernst beteuert. »Du weißt, daß es so ist. Lausche in dich hinein. Frage deine Seele, und du wirst sehen, daß sie sie als das erkennt, was sie ist.« Skar hatte gespürt - gewußt -, daß Yar-gan die Wahrheit sprach, so sicher, wie er wußte, daß er er selbst und dieser Mann vor ihm nicht Del war. Und trotzdem war sein Verstand nicht bereit gewesen, die Wahrheit zu akzeptieren. »Sie... sie ist nicht einmal eine Errish«, hatte er hilflos gestammelt.

Yar-gan hatte den Kopf geschüttelt und ihn verständnisvoll, beinahe mitleidig, ohne daß es verletzend gewirkt hätte, angesehen und erwidert: »Sie ist viel mehr, Skar. Du und sie, ihr seid euch ähnlicher, als du ahnst. In ihr schlummern die gleichen Kräfte wie in dir, Skar. Ihr tragt beide das Erbe eurer Vorfahren, und es ist für euch beide Fluch und Segen zugleich.«

»Du meinst...«

»Ich meine das, was du deinen Dunklen Bruder nennst, Skar«, hatte ihn Yar-gan unterbrochen. »Die Stimme in deinem Inneren, die du so fürchtest und die doch ein Teil von dir ist, ein Teil, ohne den du nicht leben könntest. Das, was in deinem Kind sein wird. Vela hat diese Kraft erkannt, schon als sie Gowenna das erste Mal sah. Es war kein Zufall, daß sie dieses einfache Bauernmädchen mit sich nahm, Skar. Und es war kein Zufall, daß sie sie nicht zu den Errish brachte. Der Ehrwürdigen Mutter wäre ihre Begabung ebenfalls sofort aufgefallen, und es wäre Vela niemals möglich gewesen, sie für ihre Zwecke zu benutzen.«

Er hatte noch mehr gesagt, aber seine Worte waren nicht mehr in Skars Bewußtsein eingedrungen; er hatte sie zwar noch gehört, ohne aber ihren Sinn zu begreifen und ihre Bedeutung an seinen Geist weiterzuleiten. Er wußte, daß der Sumpfmann recht hatte. Gowenna war vor ihm in Combat gewesen, Jahre bevor er überhaupt erfuhr, daß es so etwas wie einen Stein der Macht gab, und sie war ihm näher gekommen als irgendein anderer lebender Mensch vor ihr. Sie hatte Vela widerstanden, obwohl der Errish die Macht der Alten zur Seite stand, und es war ihr sogar gelungen, die Sumpfmänner zu täuschen. »Ich... begreife das alles nicht«, hatte er nach einer Weile geflüstert. »Wenn es so ist - wenn du die Wahrheit sagst, Yar-gan, warum sind wir dann hier? Warum ist sie nicht in Elay geblieben? Niemand hätte eine Frage gestellt, niemand hätte es gewagt, an ihren Entscheidungen zu zweifeln. Die Margoi ist eine Göttin, Del! Warum diese Reise zum Berg der Götter?«

Yar-gan hatte plötzlich gelächelt, und Skar war zu Bewußtsein gekommen, daß er ihn Del genannt - und in diesem Moment auch mit Del geredet - hatte. Dann war er wieder ernst geworden. »Ich weiß es nicht, Skar. Ich habe versucht, ihren Geist zu ergründen, aber er ist mir verschlossen. Sie ist stark, viel stärker als du oder ich, auf ihre Weise. Und sie konnte nicht mit dem Dronte rechnen.«