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»Skar!« sagte Yar-gan. Seine Stimme bebte. »Tu etwas!«

Ein gellender Schrei wehte vom entgegengesetzten Ende der Straße zu ihnen herüber. Skar und der Sumpfmann fuhren in einer einzigen, synchronen Bewegung herum. Yar-gan keuchte.

Auch der Rückweg war ihnen verwehrt. Hinter den letzten Männern war Nebel aufgekommen, lautlos und schnell, unwirkliche, schwere graue Schwaden, die aus Boden und Wänden zu quellen schienen und den Weg wie eine wirbelnde Barriere versperrten, und hinter ihnen zeichneten sich die Gestalten zweier weiterer Eiskrieger ab, stumm und drohend und so tödlich wie die beiden vor ihnen. Skars Hand fuhr zum Gürtel. Seine Finger faßten um den lederbezogenen Griff des Schwertes. Aber das vertraute, sichere Gefühl, das die Berührung der Waffe ihm immer vermittelt hatte, kam nicht. »Nicht...«, flüsterte er. »Yar-gan - mach jetzt keinen Fehler!« Seine Hände begannen zu zittern. Wie oft in Augenblicken der Gefahr sah er wieder alles mit phantastischer Klarheit, nahm er Dinge und Einzelheiten wahr, über die er normalerweise hinweggesehen hätte, ohne sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen: Die Unruhe, die die Freisegler gepackt hatte, etwas, was nicht nur Furcht allein war, das nervöse Zucken um Yar-gans Mundwinkel, die unsicheren kleinen Bewegungen, mit denen die Männer nach ihren Waffen griffen, die Blicke, mit denen sie verzweifelt nach einem Fluchtweg suchten, den es nicht mehr gab...

»Nicht kämpfen«, flüsterte er noch einmal. »Eine einzige falsche Bewegung, und wir sind alle tot.«

Yar-gan nickte, zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepreßt.

Skar sah sich um. Die beiden ersten Krieger waren näher gekommen, jedoch einen Schritt vor der Abzweigung stehen geblieben. Skar spürte, wie er von Blicken unsichtbarer, aus Eis gemeißelter Augen gemustert wurde, Augen, die hinter seine Stirn sahen und seine Gedanken lasen, Dinge in seiner Seele erblickten, die ihm selbst verschlossen waren.

Einer der beiden senkte seinen Schild, trat - sehr langsam, als wisse er, daß eine einzige unbedachte Bewegung den Sumpfmann zu einem Angriff verleiten mochte - noch einen weiteren Schritt vor und hob den Arm. Die Spitze des Schwertes, mit dem seine Hand verwachsen war, deutete nach rechts, den einzigen freigebliebenen Weg hinab. Der Nebel an seinem Ende trieb auseinander, als wäre die Bewegung des Eiskriegers das Zeichen dazu gewesen, und Skar erkannte ein niedriges, achteckiges Gebäude. Ein Teil seiner südlichen Wand war eingestürzt. Yar-gan atmete hörbar ein.

»Verdammt, Skar, das ist eine Falle!« murmelte er.

Skar ignorierte ihn. Sein Blick saugte sich am Gesicht des Eiskriegers fest. Aus dem glatten Visier war ein menschliches Antlitz geworden, Kinn und Nase, zuvor nur angedeutet, waren jetzt deutlich zu erkennen, der schmale Sehschlitz hatte sich zurückgebildet und war in der Mitte geschlossen, so daß zwei tiefe, noch leere Augenhöhlen entstanden waren. Es wirkte immer noch nicht völlig menschlich, sondern eher wie eine aus Eis gefrorene Totenmaske, in der die Züge dessen, den sie darstellen sollte, nur angedeutet, stilisiert waren.

Und doch hatte dieses Gesicht etwas seltsam Vertrautes... Skar sah mit einem Ruck auf und starrte den zweiten Eismann an. Er war zu weit entfernt und sein Gesicht hinter den wogenden Nebelschwaden verborgen, die ihnen nachgekrochen waren wie eisiger Atem, aber er wußte, daß er unter seinem Helm die gleichen Züge erblicken würde. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte ein Gedanke hinter seiner Stirn auf, etwas, das mit seinem Traum und mit dem Dronte zu tun hatte, aber er verschwand zu schnell, als daß er ihn greifen konnte.

Mühsam löste er seine Hand vom Schwertgriff, drückte Yar-gans Waffenarm herunter und deutete in die Richtung, in die der Eiskrieger wies. »Wir gehen.«

»Du bist wahnsinnig!« keuchte Yar-gan. »Das -«

»Wir gehen«, sagte Skar noch einmal, so scharf, daß Yar-gan nicht weitersprach, sondern nur abwechselnd ihn und die beiden eisigen Kreaturen anstarrte. Nach einer Ewigkeit senkte auch er seine Waffe vollends und entspannte sich. Aber er steckte das Schwert nicht ein. »Wie du willst, Satai«, sagte er. Seine Stimme klang kalt.

Skar sah ihn einen Herzschlag lang schweigend an, drehte sich herum und ging langsam an ihm und den wartenden Eiskriegern vorbei.

26.

Skar wußte nicht, wie viele Stufen sie in die Tiefe gestiegen waren. Er wußte nicht mehr, wie viele Rampen und Schächte sie hinabgegangen, über wie viele Hindernisse sie geklettert waren und wie viele Räume sie durchquert hatten. Die Zeit war bedeutungslos geworden, und nach einer Weile waren selbst die Schmerzen in seinen verkrampften Muskeln verblaßt und das Jagen seines Herzens zu einem mühsamen, schweren Schlagen geworden. Über ihnen mußte die Sonne untergegangen sein, aber so wie es hier unter dem Eis niemals richtig hell wurde, wurde es auch nicht dunkel. Die Wände verstrahlten ein unwirkliches, graues Licht, in dem ihre Bewegungen abgehackt und ruckhaft wirkten; schneller, als sie waren, und in dem man niemals wirklich sagen konnte, wie weit sich der Weg noch erstreckte, der vor ihnen lag. Die Gänge und Stollen schienen endlos, und jedesmal, wenn Skar glaubte, nun endlich die unterste Sohle dieses furchteinflößenden grauweißen Labyrinths erreicht zu haben, klaffte ein neuer Abgrund, ein neuer Treppenschacht, eine weitere vereiste Rampe vor ihnen auf, ging es tiefer hinab in die Erde und den eisigen Panzer, der Cor-ty-cor erstickt hatte.

Die Eiskrieger waren hinter ihnen zurückgeblieben, als sie den Eingang gefunden hatten, aber Skar wußte, daß sie weiter in ihrer Nähe waren, so wie sie sie die ganze Zeit wie unsichtbare stumme Schatten begleitet hatten, sie beobachteten, vielleicht belauerten und warteten. Auch die Stimme in seinem Inneren schwieg. Aber es war nicht wie die Male vorher, als sie eingeschlafen war und er sie für tot und besiegt gehalten hatte. Sie wartete wie die Eiskrieger, wie Helth und die Macht, die ihn lenkte, wie Yar-gan und die Krieger, wartete auf etwas, von dem sich Skar keine Vorstellung zu machen wagte und das ihn trotzdem erschreckte. Mehr als irgend etwas, das er je zuvor in seinem Leben gespürt hatte.

Sie waren noch dreiundzwanzig, als sie den Hafen erreichten. Die graue Dämmerung teilte sich vor ihnen und gab den Blick auf eine glatte, wie polierter Stahl schimmernde Wand frei, auf deren Oberfläche sich die Gestalten der Männer wie bizarre Doppelgänger spiegelten. Durch einen halbhohen, wie fast alles hier unten in Größe und Form nicht wirklich zu erkennenden Durchgang gewahrten sie eine sichelförmige, von einem Gewirr ineinander verwachsener, brusthoher Eiszähne begrenzte Plattform. Es fiel Skar schwer, durch den Nebel aus Erschöpfung vor seinen Augen noch Einzelheiten zu sehen, aber über, unter und hinter ihr glaubte er die Wände einer titanischen Höhle zu erkennen. Der sterile Geruch des Eises war dem scharfen Aroma von Salzwasser gewichen. Der Boden unter seinen Füßen zitterte schwach, und das dumpfe Pochen, das jeden ihrer Schritte begleitete und das seine Phantasie zum Schlagen eines schwarzen Riesenherzens hatte werden lassen, war das Geräusch der Brandung, die irgendwo jenseits der Wand gegen einen eisigen Strand rollte. Plötzlich fürchtete sich Skar davor, den nächsten Schritt zu tun und auf den Balkon auf der anderen Seite zu treten. Für einen kurzen Moment verspürte er eine irrsinnige Furcht, Angst, dort hinüber zu gehen und vielleicht nichts als eine weitere leere Katakombe zu entdecken, zu erkennen, daß dieser Hafen leer und tot wie der Rest Cor-ty-cors war, und sich eingestehen zu müssen, daß ihre letzte Hoffnung zerbrochen und alles, was sie noch erwarten konnten, ein hoffentlich rascher Tod war. Aber auch diese Furcht verging, versank in der Woge von Schwäche und Müdigkeit, die seine Gedanken einzunebeln begann. Als hätten sich jetzt selbst seine Instinkte gegen ihn gewandt, gab ihm der Anblick nicht noch einmal jenen verzweifelten Trost, den er mobilisieren sollte, sondern lähmte ihn. Er kam sich vor wie ein Verdurstender, der nach tagelangem Marsch durch die Wüste das rettende Wasserloch gefunden und nicht mehr die Kraft hatte, die letzten zwei Meter zu kriechen.