Выбрать главу

Irgendwie beruhigte Skar die Vorstellung. Der Schrecken, den sie in den vergangenen Tagen durchlebt hatten, verlor ein wenig von seiner Macht angesichts der schweigenden Größe dieses unterirdischen Hafens. Vielleicht spielte es gar keine Rolle, was sie taten, dachte er. Vielleicht blieb es sich gleich, ob sie gewannen oder verloren. Ob es die Menschen oder die Erbauer dieser Stadt waren, die für die nächsten hundert oder auch hunderttausend Jahre über Enwor herrschten. Wer immer es wäre, irgendwann würde seine Zeit abgelaufen sein, und irgendwann würde er gehen, und alles würde sein wie vorher. Ein Jahrtausend war eine so lächerlich kurze Zeit für das Schicksal einer Welt. Yar-gan kam mit den ersten Männern zurück, und Skar drehte sich zu ihm um und scheuchte die Gedanken dorthin zurück, wo sie hingehörten. Später, wenn sie die Insel verlassen hatten, war Zeit genug, über die Zukunft dieser Welt nachzudenken. Wenn es ein Später für sie gab.

Er ging Yar-gan entgegen, half ihm jedoch nicht, sondern sah schweigend zu, wie er den Männern beistand, die letzten Schritte zu tun. Skar wußte aus eigener Erfahrung, wie schwer sie waren. Cor-ty-cor wehrte sich gegen das Fremde, aber es hielt auch eifersüchtig diejenigen fest, die ihm einmal ausgeliefert waren.

»Rasten wir hier, oder willst du gleich weiter?« fragte der Sumpfmann mit einer Kopfbewegung dorthin, wo hinter dem Vorhang aus Dunkelheit und Schatten die Hafenausfahrt lag. Und hinter ihr das offene Meer.

Skar antwortete nicht sofort. Das beste wäre wohl gewesen, so schnell wie möglich weiterzugehen, die Freisegler auf dem kürzest möglichen Weg aus dieser kälteklirrenden Hölle herauszuführen. Das Beste, und das einzig Logische, überlegte er düster. Aber es ging schon lange nicht mehr um das, was logisch oder gar gut für ihn oder einen der anderen war. Erneut und schmerzhafter als zuvor kam ihm zu Bewußtsein, in welch erbärmlichem Zustand sich die Männer befanden, die den Marsch hierher überlebt hatten - ein paar von ihnen waren auf Händen und Knien auf den Balkon hinausgekrochen, und wenn Skar auch sicher war, daß Cor-ty-cors Gift bei ihnen seine Wirkung ebenso schnell verlieren würde wie bei ihm selbst, so waren sie doch am Ende ihrer Kräfte.

So wie schon ein halbes Dutzend Mal zuvor überlegte er finster. Nur, daß sie es diesmal endgültig waren.

»Ich möchte mir die -« Er zögerte, drehte den Kopf und sprach erst nach sekundenlangem Schweigen weiter, »- die Schiffe ansehen. Aber es ist nicht nötig, daß du mitkommst. Ich kann genausogut allein gehen.«

Yar-gan schüttelte den Kopf. »Ich begleite dich«, sagte er entschieden. »Es ist zu gefährlich für einen einzelnen Mann allein.«

»Gefährlich?« Skar zog eine Grimasse. »Du denkst, Helth könnte irgendwo dort vorne auf mich warten, um mich ins Meer zu zerren und zu ersäufen?«

Sein Spott verfehlte sein Ziel. »Vielleicht.«

»Vielleicht wartet er aber auch gerade darauf, daß wir beide gehen und die Männer allein zurücklassen.«

»Mach dich nicht lächerlich, Skar«, knurrte Yar-gan. »Es sind immer noch zwanzig Mann. Sie brauchen keinen Aufpasser.«

»Aber ich, wie?« Skar lachte, aber es war ein Lachen ohne Humor; es war hart und verletzend, bewußt verletzend. »Wenn Helth uns umbringen wollte, dann hätte er es ein Dutzend Mal tun können«, fuhr er fort. »Es gab Gelegenheit genug dazu auf dem Weg hier herunter, das weißt du.«

Yar-gan wollte erneut widersprechen, aber Skar drehte sich schnell und demonstrativ um, ging zur Schmalseite des Balkons hinüber und beugte sich vor. Der Boden lag fünf Meter unter ihm - schon für einen ausgeruhten und kräftigen Mann ein gewagter Sprung. Für die vollkommen erschöpften Krieger mußte es - selbst mit den Seilen, die sie mitgebracht hatten - eine lebensgefährliche Kletterpartie werden. Und wohl auch für ihn, fügte er in Gedanken hinzu. Sie waren der Stadt entkommen, aber dieser kleine Sieg durfte ihn jetzt nicht dazu verleiten, leichtsinnig zu werden. Auch er hatte seine Grenzen schmerzhaft zu spüren bekommen in den letzten Tagen. Mehrmals. Er konnte nicht genau erkennen, woraus der Boden unter ihnen bestand, aus Eis oder Fels. Aber das blieb sich gleich. Schon ein verstauchter Fuß war hier gleichbedeutend mit einem Todesurteil.

»Dann nimm wenigstens eine Fackel mit.« Yar-gans Stimme klang resignierend, als er neben ihn trat. Die Worte waren bewußt banal gewählt, aber Skar spürte, daß der Sumpfmann ihn anstarrte, so durchdringend, als erwarte er eine ganz bestimmte Reaktion, eine Antwort auf eine Frage, die er noch nicht gestellt hatte.

Er drehte sich wieder um, lehnte sich gegen die Brüstung und stützte sich mit weit gespreizten Armen auf dem Eis ab; eine Haltung, die Entspannung vortäuschte und das Gegenteil bedeutete. Yar-gans Gesicht schien im grauen Licht selbst grau zu werden, und für einen Moment waren seine Augen nicht mehr die eines Menschen, sondern lichtlose schwarze Löcher, leer und doch nicht leer. Die Augen eines unbegreiflichen, nichtmenschlichen Wesens, in denen eine gestaltlose Furcht loderte.

Er hat Angst! dachte Skar bestürzt. Der Gedanke verwirrte ihn, aber er löste - wie ein bizarres gedankliches Echo - auch in ihm Furcht aus. Er hatte bisher nicht einmal gewußt, daß diese Wesen fähig waren, so etwas wie Angst zu empfinden, aber der Ausdruck in Yar-gans Augen log nicht. Er hatte Angst, panische Angst. Eine Angst, die er nur noch mit Mühe zu beherrschen imstande schien. Sein Gesicht zuckte, und diesmal war Skar sicher, daß es kein Lichtreflex, kein Schatten und kein Trugbild war. Die Maske des Del begann zu zerfließen, wurde zu grauem Nichts und festigte sich wieder, aber Skar spürte, welches Übermaß an Kraft es den Sumpfmann kostete, sie aufrechtzuerhalten.

»Verzeih«, sagte er so leise, daß nur der Sumpfmann seine Worte hören konnte. »Ich wollte dich nicht kränken. Wir gehen zusammen, wenn du willst.«

Diesmal war es Yar-gan, der den Kopf schüttelte. »Du hast recht, Skar«, sagte er. »Jemand muß bei den Männern bleiben. Ein paar von ihnen sterben, wenn ich ihnen nicht helfe.« Seine Stimme gewann mit jedem Wort an Kraft, und auch seine Züge festigten sich wieder. Er starrte Skar eine endlos scheinende weitere Sekunde an, trat einen halben Schritt zurück und lachte ganz leise. »Das ist jetzt das zweite Mal, daß du mich vor einer Unbesonnenheit bewahrst, Skar«, fuhr er fort. »Ich fürchte, ich war zu lange mit Del verschmolzen. Sage mir Bescheid, wenn er zu stark wird.«