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Der Augenblick der Schwäche war vorbei. Yar-gan war wieder er selbst, der starke, unnahbare Sumpfmann, ein Wesen, das auf seine Weise so fremd und unmenschlich zu sein schien wie die, die diese Stadt erschaffen hatten. Aber für einen kurzen, ganz kurzen Moment hatte Skar einen Blick hinter die Maske des Sumpfwesens getan, und seltsamerweise erschien er ihm jetzt menschlicher als zuvor. Ohne ein weiteres Wort schwang er sich auf die niedrige Brüstung, balancierte einen Moment auf dem Eis und sprang federnd in die Tiefe.

Der Aufprall war weniger hart, als er gefürchtet hatte. Sofort rollte er sich instinktiv zusammen und überschlug sich zwei-, dreimal, ehe er mit einer geübten Bewegung wieder auf die Füße kam. Sein eigener Schwung riß ihn abermals vorwärts, und um den Sturz abzufangen, rollte er über die Schulter ab. Er prallte unsanft gegen die Wand und blieb einen Moment lang mit geschlossenen Augen liegen, lauschte in sich hinein und suchte seinen Körper nach neuen Verletzungen und Schmerzen ab, wie er es gelernt hatte. Dann stemmte er sich hoch und sah zu Yar-gan hinauf. Der Boden fühlte sich seltsam weich und nachgiebig unter seinen Fingern an, gar nicht wie Fels, sondern wie zähes Leder. Er achtete nicht darauf.

»Alles in Ordnung?« Die Stimme des Sumpfmannes hatte hier, obwohl er kaum fünf Meter unter ihm stand, einen völlig anderen Klang: dünn und bleich, halb verschmolzen mit dem Flüstern und Murmeln der Brandung und beinahe geisterhaft. Seine Gestalt hob sich nur noch als dunkler Schatten über dem Eis ab.

Skar nickte und hob wortlos die Hand. Yar-gan setzte die Fackel in Brand, schwenkte sie ein paarmal hin und her, bis die Flamme in dem feucht gewordenen Holz genügend Nahrung gefunden hatte und hell loderte, und warf sie zu ihm herab. Skar versuchte sie aufzufangen, aber er griff daneben; sie prallte dicht vor seinen Füßen auf den Boden, hüpfte wie ein Gummiball davon und verzischte im Wasser. Beim zweiten Versuch hatten sie mehr Glück. Skar bekam die Fackel zu fassen - wenn auch am falschen Ende - verbrannte sich jämmerlich die Finger und wechselte das brennende Holz fluchend in die andere Hand. Yar-gan lachte schadenfroh, aber es war auch ein hörbarer Unterton von Sorge darin. Skars Griff war nicht nur ein Mißgeschick gewesen, sondern ein deutliches Zeichen, wie sehr seine Konzentration bereits nachgelassen hatte. »Eine Stunde«, rief der Sumpfmann. »Wenn du bis dahin nicht zurück bist, folge ich dir.«

Wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin, mein Freund, dachte Skar, brauchst du das nicht. Dann gibt es niemanden mehr, dem du folgen müßtest. Aber er sagte nichts, sondern drehte sich mit einem stummen Kopfnicken um und machte sich mit eiligen Schritten auf den Weg.

27.

Es waren Schiffe. Aber sie würden damit nicht zurückfahren können.

Skar hatte fast ein Drittel der Frist, die Yar-gan ihm zugestanden hatte verbraucht, um das Hafenbecken soweit zu umrunden, daß aus den gedrungenen flachen Schatten, die sie gesehen hatten, zuerst dreidimensionale Körper und dann die Rümpfe von Schiffen geworden waren.

Schiffe einer Bauart, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie waren groß, sehr groß, dabei aber so flach gebaut, daß ihr Deck nur wenig mehr als einen Fuß über die Wasserlinie hinausragte. Trotzdem waren ihre Rümpfe gewaltig; die Dunkelheit und die spiegelnde Wasseroberfläche machten es schwer, Einzelheiten zu erkennen, aber Skar hatte den Eindruck von etwas Großem, Klobigem, einem Ding wie ein gigantischer schwarzer Wal, das Masten und Aufbauten wie bizarre Flossen und Finnen durch das Wasser des Hafenbeckens in die Luft reckte. Die Schiffe mußten seit Jahrtausenden hier liegen, dachte Skar, während er langsam näher an die gewaltigen schwarzen Leiber heranging. Seine Schritte waren - ohne daß er es selbst gemerkt hatte - immer langsamer geworden, und jetzt, eine halbe Pfeilschußweite von den Schiffen entfernt, war er beinahe stehengeblieben. Ein seltsames Gefühl hatte von ihm Besitz ergriffen; keine Furcht, sondern nur das Empfinden von Alter und Größe, einer stummen, erstarrten Macht, die von den drei unförmigen Schatten ausging.

Vor der Hafeneinfahrt lag noch immer Nacht wie ein schwarzer Vorhang, und die Dunkelheit kroch auf schwarzen Spinnenfüßen zu ihm hinein. Skar hielt die Fackel hoch über den Kopf, und das flackernde rote Licht trieb die Schatten ins Wasser zurück und spiegelte sich rot wie geschmolzenes Gold auf den niedrigen Wellen, aber die Dunkelheit wich trotzdem nur zögernd von den Schiffen; hielt sie eifersüchtig umklammert wie eine finstere Geliebte und verschluckte das Licht der Flamme. Das Meer bewegte sich träge zu seinen Füßen, viel langsamer als draußen, wie es ihm vorkam, als hätten selbst die Gezeiten hier drinnen ihre Macht verloren. Die Wellen brachen sich mit leisen, gluckernden Lauten an den senkrechten Flanken der Schiffe, und ab und zu gelang einem schaumigen weißen Spritzer der Sprung bis zu Skar hinauf. Das Wasser war eisig.

Aber die Schiffe bewegten sich nicht.

Zuerst hatte er geglaubt, es wäre eine Täuschung, ein Trugbild, hervorgerufen durch die Dunkelheit und das tanzende Licht der Fackel, die Bewegung entstehen ließ, wo keine war, und sie umgekehrt verbarg, aber als er näher kam, sah er, daß die Schiffe reglos wie schwarze Riffe im Wasser lagen, der Tide und allen Naturgesetzen trotzend. Eine Anzahl lächerlich dünner Trossen verband sie mit drei großen eisernen Ringen, die in Kopfhöhe in die Felswand eingelassen waren. Auch die Taue schienen starr, durchgebogen und schlaff, aber starr, etwa wie Holz.

Skar ging zögernd weiter, senkte die Fackel, um mehr Einzelheiten erkennen zu können und berührte eine der Trossen mit der Hand. Das Seil war versteinert. Die feinen, zu einem Seil verdrillten Hanffasern waren noch genau zu erkennen, jede winzige Unebenheit, jede rauhe Stelle und jeder Kratzer mit fast schon übertriebener Deutlichkeit erhalten, aber es war kein Tau mehr, sondern eine schwarze granitharte Masse, zusammengebacken von Salzwasser und den unzähligen Millenien, die es hier gehangen hatte.

Skar drehte sich um und ging, die rechte Hand auf dem Tau, wie ein Blinder an einem Seil, das ihn führte, auf das Schiff zu. Seine Fackel warf zuckende Lichtreflexe auf den schwarzen Rumpf, aber sie waren hart, glitzernd wie ein Kristall oder Glas, und er wußte, noch bevor er niederkniete und behutsam die Finger nach der niedrigen Reling ausstreckte, daß auch die Schiffe versteinert waren, unlösbar verwachsen mit der Hafenmauer und vermutlich auch dem Meeresgrund.

Tiefe Enttäuschung machte sich in ihm breit. Er hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, mit diesen Schiffen davonsegeln zu können wie mit einem Geschenk des Himmels, aber was er sah, erschien ihm wie ein besonders boshafter Scherz der Natur, eigens dazu erschaffen, ihn zu verhöhnen.

Er stand auf, ging vorsichtig über die durchhängenden Taue hinweg und inspizierte auch noch die anderen beiden Schiffe. Selbst jetzt, als er direkt vor ihnen stand, fiel es ihm schwer, ihre genaue Form und Größe zu bestimmen. Ganz leicht erinnerten sie ihn an den Dronte, aber die Ähnlichkeit war nur oberflächlich und vielleicht nur da, weil er sie sehen wollte.

Skar ging bis zum letzten der drei Boote, starrte einen Moment in die Dunkelheit dahinter und drehte sich dann, enttäuscht und beinahe niedergeschlagen, herum.

Aus der Achterluke des mittleren Schiffes schimmerte Licht herauf. Skar blieb stehen, senkte seine Fackel und schirmte sie mit der Hand ab, so gut es ging. Aber das Licht blieb: ein schwacher, dunkelroter Schimmer, der durch die Ritzen der nicht völlig geschlossenen Luke heraufdrang, der Widerschein eines Feuers oder einer anderen Fackel, die dort drinnen brannte. Als er das erste Mal an den Schiffen vorübergegangen war, mußte es vom Schein seiner eigenen Fackel überdeckt worden sein, nur ein Lichtreflex unter vielen, die das Jahrtausend der Dunkelheit über diesen Booten durchbrochen hatten. Jetzt sah er es deutlich.