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Gowenna schluchzte: ein leiser, mühsamer und von unerträglicher Pein erfüllter Laut, der irgendwo tief, sehr tief aus ihrem Körper heraufdrängte und als halberstickter Schrei über ihre Lippen kam. Sie bewegte sich, nahm die Hände von Velas Gesicht herunter und senkte den Kopf. Skar sah, daß sich dünne rote Linien über Velas Antlitz zogen, dort, wo Gowennas Fingerspitzen gelegen hatten wie dünne blutige Tränen auf Velas Augenlidern beginnend, hinauf zur Stirn und den Schläfen laufend und wieder abwärts, bis sie sich mit anderen, breiteren und wie sie mit menschlichem Blut gemalten Linien vereinigten, die die Körper der Errish und Gowennas umschlossen. Skar stöhnte. Er spürte, wie sich seine Gedanken zu verwirren begannen, wie der Schrecken, den er bisher nicht verspürt hatte, nun mit aller Macht nach ihm griff und eine neue, eisige Kälte in seinem Inneren entstehen ließ. Sein Blick folgte den dunklen Linien aus Blut, saugte sich für einen Moment an den ungeschickten, aber noch erkennbaren Mustern fest, den winzigen Schnitten auf Velas Händen und dem Blut, das daraus hervorgequollen war und sich mit dem Gowennas verbunden hatte. Blut zu Blut, dachte er, die verbotenen Worte wiederholend, die er vor zahllosen Jahren einmal gehört und vergessen zu haben geglaubt hatte. Seele zu Seele, Sai zu Sai. Die dunklen Flecken auf Velas Körper waren keine Erfrierungen, sondern Stigmata des Unaussprechlichen, Verbotenen, das Gowenna ihr angetan hatte. Er hob den Kopf, wollte etwas sagen, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst, als er in Gowennas Augen, in ihre beiden sehenden Augen blickte.

»Skar...«

Es war nicht wirklich sein Name, nur ein Laut, der ihm ähnlich war, eigentlich nur ein Schrei, zu dem ihr die Kraft fehlte. Sie weinte, lautlos und voller Qual, aber ihr Gesicht blieb starr, ihr Körper so unbeweglich wie eine steinerne Statue. Sie schien nicht einmal zu atmen. Skar löste sich mühsam von seinem Platz, ging auf sie zu und blieb einen halben Schritt vor dem Kreis aus getrocknetem Blut stehen, der die beiden Frauen umgab. Vela war blaß, ihre Haut weiß wie Schnee, und ihre Brust bewegte sich nicht. »Sai-tan...«, sagte er stockend. »Das also war es. Du... hast es die ganze Zeit über gewollt, nicht wahr?« Er suchte vergeblich nach Zorn in sich, und er versuchte ebenso vergeblich, seiner Stimme einen vorwurfsvollen Klang zu geben. Sie klang ihm selbst fremd in den Ohren. »Schon bevor wir aufgebrochen sind.«, dachte er, so war es gewesen. Nicht erst in Elay oder irgendwo auf dem Weg hierher, sondern schon viel früher. Sie hatte auf diesen Moment gewartet, seit sie an jenem Morgen auf den gläsernen Ebenen Tuans aus dem Fieber erwacht und zum ersten Mal das verkohlte Fleisch unter ihren Fingerspitzen gefühlt hatte. Sie hatte von Anfang an auf diesen Moment gewartet, und vielleicht hatte sie den Kampf einzig aus diesem einen Grund durchgestanden. Es war nicht die Welt gewesen, die sie retten wollte. Das Schicksal Enwors war ihr - auf ihre Weise - so gleichgültig gewesen wie Vela. Skar drängte mit Mühe ein bitteres Lachen zurück. Du bist blind gewesen, Bruder, wisperte die Stimme in seinem Inneren plötzlich so laut und deutlich wie niemals zuvor, voller Macht und Stärke - und abgrundtiefer Verachtung. Du hast geglaubt, an der Seite einer Frau zu reiten, die ihr Leben für die Zukunft deiner Welt riskiert? Narr! Sie wollte Rache. DIES hier war es, was sie gewollt hat, die ganze Zeit über.

Er wehrte sich nicht mehr. Die Stimme hatte recht, so wie sie die ganze Zeit über recht gehabt hatte, mit allem. Sie mochte die dunkle Seite seiner Seele sein, boshaft und hart, aber sie log nicht. Es war ihr nicht um das Schicksal der Errish oder die Zukunft Enwors gegangen. Sie wollte Rache, wollte den Körper der Frau, die ihren eigenen zerstört und geschändet hatte. Sai-tan, der Tausch der Seele, das war es gewesen. Vela hatte sie zerstört, ihren Körper zu einem verunstalteten abstoßenden Etwas gemacht, ein Gefängnis, in dem sie für den Rest ihres Lebens nichts als Qual und Einsamkeit empfinden würde, und vielleicht - ja, dachte Skar, vielleicht war es, von einem Standpunkt, den nachzuempfinden er nicht in der Lage war, wohl aber verstehen konnte, nur gerecht, daß sie selbst es jetzt sein sollte, die darin lebte, daß Gowenna ihren jungen, gesunden Leib nahm und ihr ihren eigenen zerstörten dafür gab.

»Ist sie... tot?« fragte er leise.

Gowenna sah auf. Ihr Antlitz wirkte fahl im roten Licht der Flammen, und ein einzelner Blutstropfen lief über ihre aufgesprungene Lippe und fiel auf Velas Stirn. Velas Augenlider bebten, ganz leicht nur, und ein kurzer, rascher Schauer lief durch ihren Körper. Skar blickte verwirrt von ihr zu Gowenna.

»Ich... konnte... es... nicht...«, flüsterte Gowenna. »Ich... Skar, ich...« Sie brach ab, begann zu schluchzen und sank plötzlich nach vorne. Ein Weinkrampf schüttelte ihren Körper.

Skar ging vorsichtig um Vela herum, ließ sich neben Gowenna auf die Knie sinken und hob die Hand, zog die Finger aber zurück, ehe sie Gowennas Schulter berühren konnten. Plötzlich begriff er, was geschehen war, obwohl er dieses Begreifen weder in Worte noch in Gedanken zu kleiden imstande war. Er wußte, woher Gowenna diese unglaubliche übermenschliche Kraft bezogen hatte, eine Kraft, auf die selbst er manchmal neidisch gewesen war. Ihre Worte fielen ihm ein: »Ich werde sie suchen. Skar. Ich werde weiterleben, und ich werde Vela finden, ganz egal, wo sie sich versteckt. Ich werde sie finden. Und ich werde sie töten.« Sie hatte es getan. Sie hatte sie gejagt bis ans Ende der Welt und darüber hinaus, und doch würde sie ihren Schwur nicht wahrmachen. Sie konnte es nicht. Sie hatte das Wissen, und sie hatte die Macht, die nötig waren, das verbotene Zeremoniell des Sai-tan zu vollziehen. Und doch konnte sie es nicht. So wenig, wie er seinem Dunklen Bruder nachzugeben und sich damit seiner Macht zu bedienen in der Lage war, konnte sie den Rest von Menschlichkeit, den Teil von sich, den sie all die Jahre mühsam tief in ihr Inneres verbannt und begraben hatte, besiegen. »Gowenna«, sagte er leise. »Du -«

Sie sah auf, drehte mühsam den Kopf und blickte ihn an. Der Streifen weißen Haares über ihrer verbrannten Gesichtshälfte war breiter geworden. »Nenn mich nicht so.« Sie weinte nicht mehr, und ihre Stimme klang fest, noch immer sehr leise und kraftlos, aber beherrscht. Etwas von ihrer Kraft war noch immer in ihr. »Das ist nicht mein Name. Gowenna ist gestorben, vor langer Zeit, Skar.«