Er mußte an das denken, was Drask gesagt hatte. Er war sicher, daß der alte Mann ihn nicht belogen hatte, aber wenn es stimmte, daß dieses Etwas in ihm Teil der Welt der Sternengeborenen war - war ein Zusammenleben mit ihnen dann überhaupt möglich? Er fand keine Antwort auf diese Frage, aber sie hinterließ etwas wie einen schlechten Geschmack in seiner Seele. Er war mit diesem Fluch geboren und hatte wahrlich Zeit genug gehabt, sich daran zu gewöhnen, und doch war es ihm niemals gelungen, diese schreckliche destruktive Macht, die in einem verborgenen Winkel seiner Seele lauerte, als einen Teil von sich selbst zu akzeptieren. Im Gegenteil - seine Angst davor wuchs beständig, und er war überzeugt, den Verstand zu verlieren und wahrscheinlich zu sterben, wenn er seinem dunklen Bruder jemals erlaubte, wirkliche Gewalt über ihn zu erlangen.
»Warum antwortest du nicht?« fragte Del, der sein Schweigen vollkommen falsch deutete. »Kommen dir vielleicht Zweifel an Drasks Worten?«
Skar setzte zu einer ärgerlichen Entgegnung an, beließ es dann aber bei einem lautlosen Seufzen. Wie sollte er Del etwas erklären, was er selbst nicht verstand?
»Mir kommen Zweifel«, gab er zu, obwohl ihn eine innere Stimme warnte, überhaupt weiterzusprechen, »ob das alles hier richtig ist.«
Del blinzelte. Skar war sehr sicher, daß er jetzt auffahren würde, aber er starrte ihn nur für die Dauer eines Herzschlages lang verblüfft an und fragte dann: »Wie meinst du das?«
»Wir gehören nicht hierher«, antwortete Skar. »Ich nicht, und du nicht. Kein Satai sollte tun, was wir jetzt tun.«
»Was?« Del zog eine Grimasse. »Um die Freiheit Enwors kämpfen?«
Skar versuchte gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln. »Nicht so«, sagte er. »Die Quorrl, ja. Die Krieger aus Kohon, die sich uns angeschlossen haben, und die Veden, vielleicht. Aber nicht wir.« Er atmete tief ein und zögerte noch einmal, ehe er fortfuhr. Dels Ruhe mochte täuschen. Aber er hatte sich schon zu weit vorgewagt, um jetzt noch zurück zu können. Und er wußte, daß er die Kraft für einen zweiten Anlauf nicht mehr aufbringen würde. »Diese Männer dort unten, Del«, behauptete er sehr ernst, »das sind keine Satai.«
Das war es. Er hatte es erst laut aussprechen müssen, um zu begreifen, was er im Grunde die ganze Zeit über schon gewußt hatte. Plötzlich hörte er noch einmal die Worte des Mannes, der an Dels Seite geritten war: Es sind Drachen, Herr. Und sie haben Scanner. Und mit einem Male wußte er, was falsch war. Der Mann hatte recht gehabt, tausendmal recht, und er hatte es auf die drastischste nur vorstellbare Weise demonstriert, indem er nämlich unter den Toten war, die sie zusammen mit den erschlagenen Errish auf der Ebene begraben hatten. Und trotzdem hätte Skar es spätestens in diesem Moment klar erkennen müssen.
»Wir hätten diesen Angriff niemals führen dürfen«, sagte er. Del schwieg, aber er sah ihn ohne Zorn und eindeutig auffordernd an, so daß er neuen Mut faßte und weitersprach: »Nicht so, Del. Satai reiten nicht in einem Heer, sie -«
»Tun das, was du getan hast«, unterbrach ihn Del. »Ich weiß. Du hast recht. Wir beide, du und ich, sind vielleicht die einzigen echten Satai, die es in dieser Festung gibt. Vielleicht die letzten überhaupt.«
Es dauerte lang, bis Skar bereit war zu glauben, was er da gerade gehört hatte. Dels Worte, obwohl - oder vielleicht gerade weil - er sie in ruhigem, ja fast beiläufigem Ton gesprochen hatte, trafen ihn wie ein eiskalter Wasserguß. Skar starrte ihn fassungslos an. »Aber -«
»Du weißt nichts, Skar«, fiel ihm Del abermals ins Wort.
Plötzlich klang er doch zornig, aber es war ein Zorn, der nicht ihm galt, sondern wie etwas herausbrach, das schon lange Zeit in ihm brodelte. »Du hast nicht erlebt, was in den letzten Jahren geschehen ist!«
»Vielleicht bin ich deshalb der einzige, der noch sieht, was hier geschieht.«
»Was siehst du, Skar?« schnappte Del. »Ein Heer aus Quorrl und Satai, das sich anschickt, diese verfluchten Magierkönige dorthin zurückzujagen, wo sie hergekommen sind, und -«
»Ich sehe ein Heer, das es nicht geben dürfte«, unterbrach ihn Skar. »Die Satai sind keine Soldaten, die nach Belieben Heere aufstellen und diejenigen bestrafen, die ihnen nicht passen. Wir haben uns niemals in Dinge eingemischt, die uns nichts angehen.« Del seufzte. Er war noch immer zornig, aber jetzt mischte sich auch so etwas wie Trauer in seinen Blick. »Du weißt nichts«, wiederholte er. »Du warst jahrelang verschwunden, Skar. Du... du hast nicht erlebt, wie sie sich die Macht erschlichen haben, erst in einer Stadt hier und einer Festung da, dann in einem kleinen Land, dann...« Er schwieg einen Moment und ballte die Fäuste, als wäre ihm allein die Erinnerung schon unerträglich. »Wenn du gehen willst«, fuhr er schließlich fort, »dann reite nach Ikne. Geh nach Ikne oder Denwar oder Orkala oder in eine der anderen großen Städte und sieh dir an, was sie den Menschen dort angetan haben. Enwor war einmal frei. O ja, es war eine wilde Welt, eine, die dich schneller umbringen konnte, als du dir träumen läßt, aber sie war frei, Skar. Heute sind Besh-Ikne und die Länder, über welche die Zauberpriester herrschen, ein einziges Sklavenlager. Wir hatten keine Wahl. Glaubst du, es war meine Entscheidung?« Er sprang auf, versetzte seinem Stuhl einen wütenden Tritt und riß den schwarzen Umhang von seiner Schulter.
»Glaubst du, ich habe dieses Ding hier gewollt?« fragte er aufgebracht. »O nein, ganz bestimmt nicht. Aber ich mußte es nehmen. Ich mußte es nehmen, um Enwor zu retten. Um die Satai zu retten, Skar.« Er beugte sich erregt vor, stützte die Hände auf der Tischplatte ab und fuhr, fast schreiend, fort: »Sie hätten nicht an der Küste Halt gemacht. Früher oder später hätten sie uns vernichtet, so, wie sie wahrscheinlich schon die Errish vernichtet haben.«
»Und deshalb habt ihr euch zu einem Heer zusammengetan?« Das Wort ihr erschreckte ihn selbst, denn es verdeutlichte mehr als alles andere, daß ei sich nicht einmal mehr mit den Männern in den schwarzen Mänteln der Satai identifizierte.
»Nein«, antwortete Del. »Oder ja, auch. Sicherlich.« Er seufzte, richtete sich wieder auf und begann, unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Er wirkte verstört, und Skar begriff, daß er der Wahrheit näher gekommen war, als Del wahrhaben wollte. »Natürlich auch deshalb«, wiederholte Del noch einmal, und ohne ihn anzusehen. »Jedermann hat das Recht, um sein Überleben zu kämpfen, oder? Aber es war nicht der Hauptgrund. Ich... war dabei, als die Entscheidung fiel, Skar. Ich war auf dem Berg der Götter. Glaube mir, wir hatten keine andere Wahl.«
»Und diese... diese Söldner?« Skar gab sich nicht einmal Mühe, die Verachtung zu verhehlen, die er für die Männer empfand, die er hierher geführt hatte. Sein Gewissen meldete sich heftig zu Wort, denn schließlich waren sie es, die diese Burg für sie zurückerobert hatten, und trotzdem. Er verachtete sie, weil sie die Silbersterne der Satai trugen, das heilige Zeichen, das niemand, niemand! freveln durfte. Wäre es anders gewesen, hätten sie sich als das zu ihnen gesellt, was sie waren, nämlich bezahlte Krieger oder einfach nur Männer, die um die Freiheit ihres Landes kämpften, hätte er sich mit seinem Leben für jeden einzelnen von ihnen eingesetzt. So nicht.
»Was sollten wir tun?« fragte Del voller Wut. »Ein halbes Dutzend Männer losschicken und mit ihnen einen Krieg gewinnen?«