Del antwortete nicht, aber sein Mißtrauen war keineswegs besänftigt. Er suchte nur weiter nach irgendeinem Fehler in Kiinas Geschichte, einem Widerspruch, wo er einhaken und sie als die Lüge darstellen konnte, als die er sie gerne sehen würde. »Aber das ergibt keinen Sinn«, erklärte er schließlich. »Selbst wenn du die Wahrheit sagst - warum sollten sie es tun? Nicht einmal die Errish mit ihren Drachen könnten uns vernichten. Wir sind einfach zu viele, selbst für euch!«
»Es gibt keine Errish mehr, Satai«, korrigierte Kiina ihn bitter. »Die Drachen haben uns verlassen. Das Netz tötet sie, und es macht es den Errish unmöglich, sie zu reiten.«
»Und diese drei Ungeheuer, die dich verfolgt haben?« fragte Skar.
Kiina verzog beinahe angeekelt die Lippen. »Das waren keine Drachen«, entgegnete sie heftig. »Es sind Skorr, dumme plumpe Tiere, die im Tal der Drachen leben und zu nichts nutze sind. Keine Drachen wie unsere Echsen. Sie können nur töten, sonst nichts. Und nicht einmal das besonders gut.«
»Und wie bist du entkommen?« fragte Del. »Wie konntest du das Land verlassen, wenn sie die Pässe doch so scharf bewachen?«
»Auf dem einzigen Weg, den sie nicht gesperrt haben«, antwortete Kiina. »Durch das Tal der Drachen.«
»Gut«, schloß Del. »Ich weiß nicht, ob ich dir glaube, aber im Moment belassen wir es dabei. Du hast also gehört, was geschehen wird, und bist gekommen, um uns zu warnen.« Kiina starrte ihn an, als zweifele sie an seinem Verstand.
»Nein«, sagte sie. »Nicht nur deshalb.«
»Nein?« Del blinzelte. »Warum dann?«
»Ich bin gekommen, weil ich eure Hilfe brauche, Satai«, erklärte Kiina ernst. »Ihr seid die einzigen, die Elay befreien können.«
Für die Dauer von zwei, drei endlosen Atemzügen starrte Del das Mädchen aus ungläubig aufgerissenen Augen an.
Dann begann er schallend zu lachen.
Sie hatten noch lange mit Kiina gesprochen, denn jede Antwort, die sie von ihr erhielten, zog ein Dutzend neuer Fragen nach sich, und Skar war sich bis zum Schluß selbst nicht darüber klar geworden, ob er ihr nun glaubte oder nicht.
Schließlich war genau das passiert, was Bradburn ihnen prophezeit hatte - die Anstrengung war einfach über Kiinas Kräfte gegangen, und sie war in Skars Armen zusammengesunken und hatte das Bewußtsein verloren. Sie hatten das Mädchen in Bradburns Obhut zurückgelassen.
Del schien ganz selbstverständlich anzunehmen, daß Skar ihn wieder hinauf in den Thronsaal begleiten würde, um über das Gehörte zu sprechen - und es wäre ja auch nur vernünftig gewesen. Aber Skar wollte nicht mehr reden. Nicht jetzt, nicht mit Del und vielleicht überhaupt nicht mehr. Er wollte keine endlosen Gespräche mehr über Dinge führen, die sie doch nicht ändern konnten und an deren Ende doch nichts anderes herauskommen würde als der unvermeidliche Streit mit Del. Er wollte...
Es war absurd: Er wollte - mußte - etwas tun, von dem er nicht einmal wußte, was es war. Kiinas Worte, so unglaublich und verwirrend sie gewesen sein mochten, hatten auch noch den letzten Zweifel in ihm beseitigt: Er würde gehen, vielleicht nicht heute, denn Kiinas Warnung war zu ernst, um sie zu ignorieren, aber bald. Und er würde jetzt ganz bestimmt nicht mit Del diskutieren.
Er ließ Del einfach stehen, indem er auf der Treppe plötzlich schneller ging und seinen überraschten Ausruf einfach ignorierte, schlug den dem Thronsaal entgegengesetzten Weg ein und trat auf den Festungshof hinaus. Der Geruch von Menschen und Quorrl schlug ihm entgegen; zu vieler Menschen und Quorrl, die zu lange auf zu engem Raum zusammengedrängt gelebt hatten. Aber auch Wärme, denn die Sonne hatte jetzt schon Kraft, und die Festungsmauern hielten den eisigen Wind zurück. Einen Moment lang verharrte er, ließ seinen Blick über das bunte Durcheinander von Menschen und Quorrl und Hunden und Pferden streifen, das den Hof erfüllte, und wandte sich dann nach rechts; eigentlich ziellos, und wenn überhaupt, dann nur aus dem Grund, von der Tür wegzukommen, falls Del etwa auf die Idee verfallen sollte, ihm nachzueilen.
Er hatte kaum ein paar Schritte gemacht, als ihm eine hochgewachsene, schuppige Gestalt mit einem Schlangengesicht den Weg vertrat. Skar wollte ganz automatisch die Hand heben und den Quorrl vertreiben, wie er es sich in den letzten Tagen sowohl mit Menschen als auch den reptilienhaften Barbaren aus dem Norden angewöhnt hatte - er ließ keine Gelegenheit aus zu betonen, wie zuwider es ihm war, als etwas Besonderes behandelt zu werden, aber das änderte nichts daran, daß er begonnen hatte, die Privilegien einer solchen Rolle zu genießen - aber dann erkannte er den Quorrl. Es war der Heiler, dem er am Morgen nach dem Kampf gegen die Drachen begegnet war. Der Quorrl mit dem Sprachfehler.
»Was willst du?« fragte er grob. »Ich habe keine Zeit.«
»Esssh ihsst whichthig, Hehrrr«, krächzte der Quorrl.
»Khhhooomt.« Er hob die Hand, wie um Skar beim Arm zu ergreifen, aber er führte die Bewegung nicht zu Ende. Trotzdem reichte allein diese angefangene Geste aus, Skar davon zu überzeugen, daß sein Anliegen wirklich wichtig sein mußte - sein Verstehen der Quorrl war noch immer jämmerlich, aber er hatte in den letzten Tagen und Wochen gelernt, daß es einem Quorrl mindestens so zuwider war, einen Menschen zu berühren, wie es diesem umgekehrt Unbehagen bereitete, die glatte kalte Reptilienhaut eines Quorrl anzufassen.
»Wichtig?« vergewisserte er sich überflüssigerweise.
Der Quorrl nickte; zumindest versuchte er es, aber es mißlang kläglich, weil zu einem menschlichen Nicken ein menschlicher Hals gehörte, und er hatte keinen. »Was willst du?«
Der Blick der dunklen geschlitzten Schlangenaugen suchte, ehe er antwortete, die Tür, aus der Skar herausgetreten war. Fast, dachte Skar verwirrt, ah müsse er sich erst davon überzeugen, daß sie auch wirklich allein waren, bevor er sprach. Wovor hatte er Angst? »Ihhch mhhuuuß mit Euch hrheden, Hehhhrr«, sagte der Quorrl schwerfällig. Skar sah erst jetzt, daß es gar kein Sprachfehler war, der ihn zu dieser lächerlichen Art des Redens zwang. Irgendwann, vor langer Zeit einmal, hatte jemand versucht, das Kinn des Quorrl zu spalten; wie es aussah, mit einer Axt oder einem sehr wuchtigen Schwert.
»Dann tu es«, forderte Skar ihn unfreundlich auf. »Was gibt es für Probleme? Habt ihr zu wenig Beute gemacht, oder fehlt euch rohes Fleisch zum Essen?«
Der Quorrl reagierte nicht auf seine grundlose Aggressivität, und vielleicht war gerade das der Grund, aus dem Skar seine Worte fast im gleichen Moment schon bedauerte.
»Dhie Kchrrieger, Hehhrr«, antwortete der Quorrl. »Ssssie schtherben.«
»Sterben?« Skar sah den Quorrl verständnislos an. Auf dem Hof waren sehr viele Quorrl. Lebende Quorrl, so weit er erkennen konnte. »Was meinst du damit?«
Der Quorrl beantwortete diese Frage nicht, sondern drehte sich wortlos und mit der nur scheinbaren Schwerfälligkeit seines Volkes herum und deutete auf die Tür, durch die Skar gerade erst gekommen war. »Fhooolgt mir, Hehhrr.«
Er ließ Skar keine Zeit zu widersprechen, sondern setzte sich in Bewegung, und Skar mußte ihm folgen, ob er wollte oder nicht. Sie schlugen wieder den Weg zu Bradburns Quartier ein, und schon nach ein paar Schritten begriff Skar, wohin ihn der Quorrl führte - in eines der guten halben Dutzend unterirdischer Gewölbe, in dem sie die Verwundeten und Kranken untergebracht hatten. Natürlich - er war ein Heiler.
Er hörte das Stöhnen der Sterbenden schon von weitem, und der Geruch war unverkennbar - es stank nach Reptilien und Krankheit, nach schlechtem Wasser und Abfällen. Es war, dachte Skar, als würden sie sich einem Schlangenstall nähern. Er ging ein wenig schneller, um zu dem Quorrl aufzuschließen, streckte den Arm aus und hielt ihn grob an der Schulter zurück. Der Barbar ging einfach weiter, und bei seinem Gewicht von über dreihundert Pfund war es Skar auch unmöglich, ihn zum Stehenbleiben zu zwingen. »Was soll das?« fragte er ärgerlich. »Ich weiß, wie es hier aussieht.«