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»Weiß Bradburn überhaupt, was hier passiert?« fragte er. »Ja. Aber er kann nichts tun.« Titch zögerte einen Moment. »Er glaubt, daß die Drachen krank waren. Vielleicht hat er recht.« Aber das glaubte er nicht wirklich. Skar spürte ganz genau, daß der Quorrl eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen. Aber er spürte auch, daß er ihm nicht antworten würde, sollte er ihn darauf ansprechen. Titch verwirrte ihn mehr und mehr.

»Aber dann müßte es auch uns treffen«, folgerte er. »Del und mich und die Satai, die dabeigewesen sind.«

»Vielleicht«, antwortete Titch. »Vielleicht auch nicht. Die Drachen sind uns mehr verwandt als euch. Vielleicht sterbt ihr später, vielleicht gar nicht.« Er machte eine komplizierte Geste mit beiden Händen, deren Bedeutung Skar nicht klar wurde. »Aber ich bin nicht hergekommen, um über euren Tod zu reden«, fuhr er fort. »Etwas geschieht, Satai. Ich weiß nicht was, und ich weiß nicht, warum und wie, aber... etwas ändert sich.«

Skar war die kleine Pause in seinen Worten nicht entgangen; ebensowenig wie die Tatsache, daß sie mehr bedeuten mochte als das, was der Quorrl sagte. Er war verwirrt. Das alles war kein Zufall mehr. Drask, dann Kiina und jetzt Titch - die sonderbare Unruhe, die ihn selbst schon seit Tagen ergriffen hatte, nicht einmal berücksichtigt. Vielleicht, überlegte er, war es gar nicht so, daß nur er sich verändert hatte. Vielleicht veränderte sich alles, und nur er und dieser Quorrl spürten es. Unsicher sah er sich nach dem Quorrl um, der ihn hier heruntergebracht hatte, nicht nur ohne Titchs Wissen, sondern, wie ihm plötzlich klar wurde, sogar ganz und gar gegen seinen ausgesprochenen Willen. Er konnte ihn nirgends mehr entdecken; wahrscheinlich hatte er die Gelegenheit genutzt, sich klammheimlich aus dem Staub zu machen, dachte Skar. Er wandte sich wieder an Titch.

»Was willst du damit andeuten?« fragte er.

Titch zögerte. Es fiel ihm sichtlich schwer, die richtigen Worte zu finden; nicht, weil er die Sprache nicht beherrschte. Der Quorrl beherrschte die Hochsprache Enwors besser und fließender als so mancher Mensch, dem Skar in seinem Leben begegnet war. Aber er redete über Dinge, über die er wohl noch nie geredet hatte; vielleicht nicht einmal nachgedacht.

»Ich... weiß es nicht«, sagte der Quorrl nach einer Weile. Irgendwie sah er plötzlich hilflos aus, trotz seiner enormen Größe und des Zornes, der noch immer in seinem Blick loderte. »Etwas ist nicht gut.«

»Krieg ist niemals gut«, entgegnete Skar, aber Titch machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Er wandte sich um und begann, die Treppe wieder hinaufzugehen, und Skar folgte ihm. Zwei Satai, die ihnen entgegenkamen, wichen im letzten Moment respektvoll zur Seite, als sie erkannten, werden Quorrl begleitete. Skar fragte sich unwillkürlich, ob sie es auch getan hätten, wenn Titch allein gewesen wäre. Er wußte, daß Titch so etwas wie der Befehlshaber des Quorrl-Heeres war, in seinem Rang durchaus Del und ihm vergleichbar. Trotzdem war er für die meisten dieser sogenannten Satai noch immer nicht mehr als ein Tier.

»Ich meine nicht den Krieg«, knüpfte Titch an das unterbrochene Gespräch an, als sie das Gebäude verlassen hatten und wieder auf den Hof hinaustraten. Gegen das ungewohnt grelle Sonnenlicht kam er Skar plötzlich noch gigantischer und massiger vor, als er ohnehin war. Er fühlte sich wie ein Zwerg neben dem schuppigen Titanen. »Er ist nötig«, fuhr Titch fort. »Er gehört zum Leben wie die Geburt und die Liebe und der Tod. Aber etwas... ist plötzlich falsch.«

Er sah Skar aus seinen schmalen Fischaugen an, und zum allerersten Mal, solange Skar die Quorrl kannte, glaubte er so etwas wie Furcht im Blick eines dieser gigantischen Wesen zu sehen. »Ich weiß nicht, was es ist, Satai«, führte er weiter aus. »Aber es macht mir Angst. Es macht uns allen Angst. Und ihr tätet auch gut daran, Angst zu haben. Vielleicht noch mehr als wir.«

Skar war nicht einmal überrascht. Ein Quorrl, der Angst hatte, das wäre noch vor Tagen eine ungefähr so logische Vorstellung wie ein ertrinkender Fisch für ihn gewesen. Aber er spürte es ja auch, ebenso wie Kiina und Bradburn, und wie auch Del, auch wenn dieser es nicht zugab. Etwas änderte sich. Etwas Schreckliches geschah.

Aber er ging nicht weiter auf Titchs Worte ein, sondern drehte sich wortlos weg und verließ endgültig die Festung.

6.

Er wußte, daß Del und er wieder in Streit geraten würden, sobald er zurück war. Und vielleicht sogar mit Recht - er war nicht irgendwer, sondern einer der beiden Befehlshaber des Heeres, und vielleicht - auch wenn er es nicht wollte - der einzige, der diesen ganzen bunt zusammengewürfelten Haufen zu so etwas wie einer Armee vereinen konnte. Auf jeden Fall war er niemand, der einfach weglaufen konnte, wenn es ihm in den Kram paßte. Aber das war ihm egal. Sein Entschluß, Del und das Heer zu verlassen, stand jetzt fester denn je; nur hatte er sich noch nicht entschieden, in welche Richtung er sich wenden sollte - nach Süden, in das namenlose Land jenseits der Straße von Pa'an, aus dem die Zauberpriester gekommen waren, wie Drask gesagt hatte, oder nach Westen, nach Elay und dem Drachenland, wie Kiina von ihm erwartete.

Es war nicht etwa so, daß Kiinas naiver Wunsch allein der Grund dazu gewesen wäre. Sie war ein Kind, ein dummes, romantisches Kind, und es fiel ihm nicht schwer, in Gedanken nachzuvollziehen, was in ihr vorgegangen war. Sie hatte mitansehen müssen, wie ihre Welt zugrundeging, wie alle, die sie gekannt und geliebt hatte, entweder getötet wurden oder sich auf entsetzliche Weise verwandelten - was lag da näher, als daß sie zu den einzigen ging, von denen sie sich Hilfe erwartete? Skars Pferd schüttelte unruhig den Kopf, und die Bewegung riß ihn in die Wirklichkeit zurück; er spürte plötzlich, wie kalt es noch immer war, trotz der Sonne, die jetzt schon sehr warm vom Himmel schien und sich bemühte, auch den letzten Schnee zu schmelzen. Aber er stand unmittelbar am Fluß, sicherlich nicht durch Zufall unweit der Stelle, zu der er vor Monatsfrist das erste Mal gekommen war. Vom Wasser stieg ein eisiger Hauch empor, und dort, wo die Strahlen der Sonne nicht hinreichten, nistete noch immer Eis in den Schatten. Außerdem wurde er sich fast schmerzlich der Tatsache bewußt, daß man ihn von der Burg aus deutlich sehen konnte, und aus irgendeinem völlig widersinnigen Grund war ihm der Gedanke unangenehm, daß die Männer ihn beobachten konnten, wie er so am Flußufer stand und ins Leere starrte.

Fröstelnd zog er den Mantel enger um die Schultern, ohne daß er dem Wind dadurch auch nur ein wenig von seinem Biß nehmen konnte - der schwarze Mantel eines Hohen Satai war vielleicht sehr schwer, dachte er spöttisch, aber er wärmte kein bißchen -, ließ sein Pferd mit sanftem Schenkeldruck antraben und ritt ein Stückweit am Ufer entlang, ehe er im rechten Winkel davon abwich und sich einen Weg durch das Gewirr von Felsblöcken und Findlingen suchte, das den Fluß säumte.

Er hatte kein bestimmtes Ziel; eigentlich ließ er sein Pferd sich seinen Weg selbst suchen und griff nur dann und wann behutsam ein, wenn es etwa kehrt machen wollte, um in die Wärme des Stalles zurückzukehren. Er wollte einfach nur allein sein, und er war sich dabei durchaus darüber im klaren, daß sein Verhalten nichts anderes als eine Flucht war. Vielleicht vor sich selbst. Schließlich hatte er sich zwei oder drei Meilen von der Burg entfernt. Das Pferd erklomm einen flachen Hügel, so daß er das Ufer und den riesigen, der Burg vorgelagerten Platz gut überblicken konnte. Die doppelt mannshohe Mauer, die ihn einst an drei Seiten gesäumt hatte, war fast vollkommen verschwunden, und das gewaltige Areal, noch vor weniger als einer Woche Lagerplatz für mehr als hunderttausend Flüchtende, war jetzt verwaist; eine gewaltige Ode aus zertrampeltem braunschwarzen Boden, den das einsetzende Tauwetter mehr und mehr in einen Morast verwandelte. Es bereitete ihm immer noch Mühe, sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß all diese Menschen in heller Panik vor ihnen geflohen waren, obgleich sie doch kamen, um sie zu befreien. Aber das Netz aus Intrige und Lügen, das die Zauberpriester gewoben hatten, war dicht. Immerhin dicht genug, daß auch er sich darin für eine Weile gefangen hatte. Er ließ das Pferd weitertraben, wieder zum Fluß hinunter und - sah die Spur.