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Aber der Moment verstrich, und Del wurde wieder zum Kriegsherren der Satai, und plötzlich war die Kluft zwischen ihnen wieder da, tiefer, als sie je gewesen war.

Aus dem Vertrauen zwischen ihnen wurde Unbehagen. Del wich einen halben Schritt zurück und sah plötzlich fast verlegen aus, und Skar wandte sich wieder dem Fenster zu. Etwas in dem undurchschaubaren Muster aus Menschen und Quorrl dort unten hatte sich geändert, aber es dauerte eine Weile, bis er erkannte, was es war: Die Quorrl - aber auch ein Großteil der Satai - strebten einem Punkt auf dem Hof zu, der außerhalb von Skars Blickfeld lag; im toten Winkel direkt unter dem Fenster. Aufgeregte Stimmen wehten zu Skar empor; Gelächter und Rufe. »Was geht da vor?« fragte er, nicht einmal wirklich aus Interesse, sondern nur, um auf ein anderes Thema zu kommen. Del antwortete nicht.

Skar beugte sich vor, ohne dadurch sehr viel mehr erkennen zu können. Die Unruhe auf dem Hof nahm zu, und jetzt zeichnete sich ein Muster in der quirlenden Bewegung ab: Ein gutes Hundert Quorrl, komplett in Rüstung und Waffen, hatte damit begonnen, den Burghof in zwei Hälften zu teilen und so eine Gasse zu schaffen, durch die eine weitere Gruppe der Schuppenkrieger schritt, angeführt von einem grüngrauen Giganten, der eine goldfarbene Rüstung trug.

»Das ist Titch«, stellte Skar stirnrunzelnd fest. »Was hat er vor, Del?«

»Ich weiß es nicht«, gab Del zurück, in einem Tonfall, der selbst einem Narren gesagt hätte, daß er es sehr wohl wußte. Er machte sich nicht einmal die Mühe, aus dem Fenster zu schauen, um seiner Lüge damit den Anschein von Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Hinter Titch und dem guten Dutzend Quorrl, das ihn begleitete, erschienen jetzt weitere Barbarenkrieger. Einige von ihnen waren in Ketten.

Skar drehte sich abrupt vom Fenster weg und sah Del an. »Was bedeutet das?« fragte er.

Del wich seinem Blick aus. »Nichts«, sagte er. »Misch dich nicht ein, Skar. Das da geht uns nichts an.«

Skar starrte ihn noch einen Moment lang wütend an, dann verließ er ohne ein weiteres Wort den Saal und lief die Treppe hinunter. Als er die Hälfte des Weges hinter sich gebracht hatte, drang ein hundertstimmiges Johlen und Rufen zu ihm herein. Skar begann zu laufen. Er hatte plötzlich das ungute Gefühl zu wissen, was dort draußen vor sich ging.

Der Hof war so voller Menschen, daß Skar nach ein paar Schritten einfach in der Menge steckenblieb. Er versuchte, über die Köpfe der Männer hinweg zu erkennen, was auf der anderen Seite des Hofes vor sich ging, sah aber nichts außer einem Herd quirlender Bewegung, und noch ehe er die halbe Strecke überwunden hatte, erscholl wieder dieses beifällige, ordinäre Kreischen und Johlen. Einige Männer entblödeten sich nicht einmal, wirklich Beifall zu klatschen. Skar lief schneller, kämpfte sich rücksichtslos mit Fäusten und Ellbogen - und vor allem unter Zuhilfenahme seines schwarzen Mantels - durch die Menschenmenge und begann schließlich zu winken, um Titchs Aufmerksamkeit zu erregen. Der Quorrl blickte genau in seine Richtung, und mindestens einmal war Skar völlig sicher, daß er ihn auch erkannte; aber er tat einfach so, als sehe er ihn nicht. Und er weigerte sich auch, die Bedeutung von Skars hektischem Gestikulieren zu begreifen. In seinen Fäusten blitzte ein gewaltiges Zwei-hand-Schwert.

»Aufhören!« schrie Skar mit vollem Stimmaufwand. »Sofort aufhören! Ich befehle es!«

Er kam zu spät. Titchs Klinge sauste herab, und der Körper eines dritten Quorrl fiel enthauptet zu Boden, eine Sekunde, bevor Skar ihn erreichte und mit einer wütenden Bewegung an der Schulter herumriß.

»Was geht hier vor?!« schrie Skar, außer sich vor Wut. Erregt deutete er auf die drei enthaupteten Quorrl herab, dann auf die fünf anderen Schuppenkrieger, die in einer Reihe hinter Titch standen und mit steinernen Gesichtern auf ihre Hinrichtung warteten. »Ich verlange eine Erklärung.«

Titch streifte seine Hand beinahe sanft ab. »Das ist unsere Sache, Hoher Satai«, sagte er, leise, aber sehr bestimmt. »Mischt Euch nicht ein.«

»Eure Sache?« Skar mußte sich beherrschen, um den Quorrl nicht abermals anzuschreien. »Du täuschst dich, Titch«, sagte er. »Wenn hier Männer getötet werden, ist das nicht mehr eure Sache. Und schon gar nicht, wenn es sich um eine öffentliche Hinrichtung handelt!« Er trat einen Schritt zurück und ließ den Blick über die dichte Mauer aus Männern streifen, die Titch und ihn umgab. Eine Handvoll Quorrl-Krieger versuchte, eine lebende Kette zwischen ihm und Titch und den Delinquenten zu bilden, aber sie wurden unter dem Druck der Menge einfach zurückgedrängt. Skar fühlte sich plötzlich angewidert. Er blickte in Dutzende von Gesichtern, aber was er darin las, das war überall das gleiche: Blutdurst und eine morbide Begeisterung, und wenn überhaupt Erschrecken, dann allerhöchstem über die Tatsache seiner Einmischung. Und es waren nur Menschen, wie er voller plötzlichem Entsetzen erkannte. Kein einziger Quorrl war als Zuschauer zu der Hinrichtung gekommen.

»Was geht hier vor?« fragte er noch einmal. »Was haben diese Männer getan? Gestohlen? Jemanden getötet? Ich verlange eine Erklärung!«

Titch starrte ihn einen Moment fast trotzig an, aber dann schien er zu begreifen, daß Skar gar keine andere Wahl hatte, als auf einer Erklärung zu bestehen. Er konnte sich nicht einfach umdrehen und gehen, nach diesem Auftritt.

»Sie waren feige, Herr«, antwortete der Quorrl. »Und sie erleiden die Strafe, die Feiglingen droht.«

Skar setzte zu einer weiteren wütenden Antwort an - und dann dämmerte es ihm. »Es sind die Krieger, die heute morgen nicht gekämpft haben«, gab er seiner Vermutung Ausdruck. Titch nickte.

»Aber... aber das ist doch Wahnsinn!« entfuhr es Skar. »Du warst nicht einmal dabei! Woher willst du wissen, daß -«

»Alle anderen sind tot«, unterbrach ihn Titch. »Du hast es gesehen. Der Fluch der Sternengeborenen hat alle getroffen, die ihre Hand gegen die Errish erhoben haben. Diese hier nicht.«

»Aber das beweist doch gar nichts!« argumentierte Skar ungläubig. »Du willst sie töten, nur weil sie leben! Das ist doch verrückt!«

»Für dich vielleicht, Satai«, entgegnete Titch kalt. »Nicht für uns. Misch dich nicht ein. Wir leben nach unseren Regeln, und wir sterben danach. Willst du es uns verbieten?«

Für die Dauer eines Atemzuges war Skar nahe daran, ja zu sagen. Aber dann blickte er noch einmal in Titchs schmale Reptilienaugen, und plötzlich begriff er, daß er es nicht konnte. So wenig, wie er sich von Titch hätte wegschicken lassen können, ohne vor den Männern das Gesicht und damit seine Macht über sie zu verlieren, so wenig konnte Titch die Einmischung eines Menschen in seine ureigensten Angelegenheiten dulden. Skar wurde klar, daß er Titch würde töten müssen, um ihn an der Hinrichtung dieser Quorrl zu hindern.

»Nein«, sagte er. Aber ich werde etwas anderes tun, fügte er in Gedanken hinzu. Titch nickte ausdruckslos und legte auch die zweite Hand wieder auf den Griff seines gewaltigen Schwertes, aber Skar hielt ihn noch einmal zurück.

»Einen Moment noch«, bat er. Titch sah ihn fragend an, hielt aber gehorsam inne, und Skar drehte sich wieder zu der Zuschauermenge um. Erneut - und sehr viel mehr als das erste Mal - fühlte er sich angewidert, ja, beschämt, als er den Blutdurst und die Vorfreude auf das schreckliche Schauspiel in den Gesichtern der Männer ablas. Großer Gott, und er hatte diese Männer für Satai gehalten? Sie waren Tiere, dachte er, schlimmer als die Quorrl, denen man ihre animalische Herkunft wenigstens noch ansehen konnte. Er fragte sich, was Titch und die Quorrl empfinden mußten, bei diesem Anblick.