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»Geht!« befahl er laut. »Alle. Die Vorstellung ist vorbei.« Niemand rührte sich, aber Skar sah Verblüffung und Unmut in ihren Augen aufblitzen. »Geht!« wiederholte er noch einmal. »Verlaßt diesen Hof! Ich befehle es!«

Aus den betroffenen Blicken wurde ein unwilliges Murren. Jemand begann, schrill und protestierend zu pfeifen, und einer der Männer hob die Hand und machte einen Schritt in seine Richtung, um etwas zu sagen.

Skar packte den Mann grob bei der Schulter und stieß ihn so derb zurück, daß er zwei weitere Satai mit sich zu Boden riß. »Ich sage es kein drittes Mal!« rief er. »Geht in eure Quartiere zurück. Wer in zehn Minuten noch auf diesem Hof ist, der wird von mir vor ein Gericht gestellt!«

Er wäre nicht einmal überrascht gewesen, wenn sie sich einfach geweigert hätten. Aber für dieses Mal reichte seine Macht über die Männer in den schwarzen Mänteln noch. Zögernd, unwillig und murrend, aber gehorsam, begannen sich die Männer umzudrehen und den Hof zu verlassen. Aber Skar spürte, daß er sehr viel verloren hatte, mit diesem kleinen Sieg. Vielleicht würde er ihn noch bitter bereuen.

Aber was machte das schon?

Titchs Gesichtsausdruck war so undeutbar, wie der eines Quorrl nur sein konnte, als sich Skar wieder zu ihm herumdrehte. Aber in seinen Schlangenaugen war etwas, von dem Skar sich wenigstens einbildete, daß es Dankbarkeit war.

»Du wartest, bis sie weg sind«, verlangte er, laut und in eindeutig befehlendem Ton. »Danach kannst du tun, was du tun zu müssen glaubst. Und wenn es vorbei ist, erwarte ich dich in meinem Quartier. Hast du das verstanden, Quorrl?«

9.

Er beobachtete vom Fenster seiner Kammer aus, wie sich der Hof leerte. Natürlich dauerte es länger als die zehn Minuten, die er den Männern gegeben hatte - der Hof war groß und besaß nur zwei Ausgänge, zog er die Tür ab, die zu den Quartieren der Quorrl führte, und von den gut fünfhundert Mann, aus denen sein Satai-Heer bestand, war der allergrößte Teil gekommen, um das barbarische Schauspiel nicht zu verpassen. Aber die Männer versuchten wenigstens, die Frist einzuhalten - woran sicherlich auch die Tatsache nicht ganz unschuldig war, daß Skar hoch aufgerichtet hinter dem Fenster stand und von unten aus gut sichtbar war. Trotzdem verging fast eine halbe Stunde, ehe auch der letzte Satai den Hof verlassen hatte und Titch mit seiner schrecklichen Arbeit fortfuhr. Skar wandte sich ab, als der Quorrl wieder sein Schwert hob. Er wollte es nicht sehen. Er hätte viel darum gegeben, es nicht einmal wissen zu müssen. Langsam drehte er sich um, durchmaß die kleine Kammer zwei-, dreimal hintereinander mit unruhigen, ziellosen Schritten und ließ sich schließlich auf sein Bett niedersinken. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf, starrte aus weit aufgerissenen Augen die Decke an und versuchte, sich über den Grund seines aufgewühlten Seelenzustandes klar zu werden; nicht zum erstenmal in den letzten Tagen und Wochen. Und nicht zum erstenmal gelang es ihm nicht. Etwas geschah mit ihm. In ihm. Er spürte es jetzt ganz deutlich. Es war eine Entwicklung, die irgendwann zwischen heute morgen und Bradburns Sai-Tan ihren Anfang genommen hatte und unweigerlich einem Höhepunkt zusteuerte - oder einem Tiefpunkt, je nachdem. Etwas würde geschehen, nicht einmal unbedingt nur mit ihm, und es würde nicht mehr allzu-lange dauern. In letzter Zeit hatte er immer öfter das Gefühl, sich auf einer dünner werdenden Kruste zu bewegen, unter der sich ein Vulkan zum Ausbruch fertig machte.

Jemand klopfte. Skar schrak aus seinen Gedanken hoch, schwang die Beine vom Bett und rief ein halblautes: »Herein«, noch während er sich aufsetzte. War Titch schon fertig damit, seine Brüder zu ermorden? dachte er böse.

Es war nicht der Quorrl, es war Del. Der schwarzhaarige Riese trat rasch ins Zimmer, schob die Tür hinter sich zu, ohne sie ganz ins Schloß zu drücken, und kam auf ihn zu, wobei er einen kleinen Umweg durch die Kammer machte, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen.

»Das war nicht besonders klug von dir«, begann er übergangslos.

»Seit wann klopfst du an, wenn du ein fremdes Zimmer betrittst?« fragte Skar. »Früher hast du einfach die Tür eingeschlagen.«

Del machte eine ärgerliche Handbewegung, wie um Skars Worte fortzuwischen. »Warum hast du das getan?«

»Was?« fragte Skar, der ganz genau wußte, was Del meinte. Del deutete verärgert zum Fenster. »Dein kleiner Auftritt gerade«, sagte er. »Das war sehr beeindruckend, wirklich. Mein Kompliment, Skar. Das hättest du zu deinen besten Zeiten nicht wirkungsvoller hinkriegen können. Falls es unter den Männern noch irgendeinen gegeben haben sollte, der dich nicht gehaßt hat, dann dürftest du ihn jetzt bekehrt haben. Bist du verrückt geworden?«

»Nein.« Skar stand auf. Er war... fassungslos. Er hatte viel erwartet von Del - eigentlich alles, angefangen von Vorwürfen über Spott bis zu verletzendem Hohn, in dem er immer schon ein Meister gewesen war. Womit er nicht gerechnet hatte und was ihn so erschütterte, das war der vollkommene Ernst, mit dem Del diese Worte sprach. »Aber ich glaube, du bist es«, fuhr er nach einer Weile fort. »Seit wann amüsieren sich Satai damit, bei einer öffentlichen Hinrichtung zuzusehen?«

»Seit sie -«, begann Del, sprach dann aber nicht weiter, sondern machte nur eine abfällige, irgendwie resignierend wirkende Handbewegung. »Manchmal frage ich mich, ob du vielleicht recht hast«, vollendete er grollend den angefangenen Satz. »Womit?«

»Mit deiner Idee zu gehen«, antwortete Del. »Du verstehst nichts mehr, Skar.«

»Dann erkläre es mir«, verlangte Skar. Seine Stimme war plötzlich ganz leise, aber es war jene gläserne Schärfe darin, die außer Del nur wenige Menschen jemals gehört hatten, ohne sich voller Schrecken für den Rest ihres Lebens daran zu erinnern. »Erkläre mir, wieso ich zulassen sollte, daß Satai sich wie dummes Bauernvolk benehmen.« Wütend ergriff er den Zipfel von Dels schwarzem Mantel und riß ihn in die Höhe. »Du hast mich gezwungen, diesen Mantel anzuziehen, Del - jetzt erkläre mir, warum ich mich vor irgend jemandem verantworten sollte, wenn ich meine Macht ausnutze!«

Del schlug wütend seine Hand beiseite. Seine Augen blitzten. »Du Narr!« schnappte er. »Ich spreche nicht von den Satai! Ich spreche von den Quorrl! Bist du verrückt geworden, Titch so zu demütigen, vor seinen Männern?«

»Demütigen?« Skars Wut schlug übergangslos in Verwirrung um. Er hatte den Zorn in Titchs Augen bemerkt, aber - »Ja, demütigen!« schrie Del. »Was glaubst du, was du getan hast, du Narr! Titch ist nicht irgendwer! Er ist ein Fürst seines Volkes, so etwas wie...« Er suchte nach Worten und begann erregt im Zimmer auf und ab zu gehen. »So etwas wie du«, sagte er schließlich. »Oder ich! Sein Bruder und er waren die Kriegsherren von Quorrl! Seinen Bruder hast du erschlagen, und ihn demütigst du vor den Augen seiner Leibgarde! Verdammt, Skar, wie würdest du dich fühlen, wenn ein Quorrl käme und dir in aller Öffentlichkeit ins Gesicht spuckt?!«

»Das habe ich nicht«, versuchte Skar sich zu verteidigen, aber er kam sich hilflos und dumm bei diesen Worten vor. Natürlich hatte er es. Er hatte mehr getan.

»Weißt du, daß es ein Wunder ist, daß du überhaupt noch lebst?!« brüllte Del plötzlich. »Bei allen Göttern, Skar, ich dachte, mir würde das Herz stehenbleiben, als ich sah, was du tust. Es... hätte mich nicht gewundert, wenn Titch dich und alle dort unten auf dem Hof erschlagen und anschließend die gesamte Festung niedergebrannt hätte. Dieser Quorrl ist so etwas wie ein Gott für sein Volk!«