Skar nickte und schüttelte fast im gleichen Moment den Kopf. »Nein. Oder doch, ja. Du hattest recht, vorhin - es geht mich nichts an, was du mit deinen Leuten machst, und warum. Aber solange unsere beiden Heere zusammen sind, wäre ich dir dankbar, wenn du mich informierst, falls du weitere ... Strafmaßnahmen ergreifen mußt.«
Titch schwieg einen Moment. Er starrte ihn an, und Skar spürte, daß er zu einer wütenden Antwort ansetzte. Aber dann geschah etwas Sonderbares: Titchs Blick blieb an etwas hängen, das sich irgendwo hinter Skar befand. Seine Augen weiteten sich, ganz wie die eines Menschen, der irgend etwas Entsetzliches sieht, und etwas geschah mit seinem Gesicht, was vielleicht das quorrlsche Äquivalent eines menschlichen Erbleichens sein mochte. Sein schmaler, lippenloser Mund klaffte für die Dauer eines Atemzuges auf und gewährte Skar einen Blick auf die vierfache Reihe gegeneinandergesetzter Reißzähne, die darin bleckte, aber selbst in dieser Bewegung war nichts Drohendes. Nur Entsetzen.
»Was hast du?« fragte Del, dem Titchs jähes Erschrecken ebensowenig entgangen war wie Skar.
»Nichts«, antwortete Titch. »Es war... nichts. Ein Irrtum.« Er machte eine Bewegung, als versuche er, eine unsichtbare Last abzuschütteln. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen. Aber es war wohl nur ein Schatten. Unsere Augen sind nicht gut für dieses Licht«, fügte er erklärend hinzu, und das war genauso gelogen wie seine Behauptung, sich getäuscht zu haben.
Aber Skar verbiß sich auch jetzt eine entsprechende Frage. Irgend etwas hatte den Quorrl bis ins Innerste erschreckt. Er würde nicht darüber reden, weder jetzt noch irgendwann. Aber Skar wußte plötzlich, daß es wichtig war; nicht nur für Titch, sondern auch für ihn, für Del - vielleicht für sie alle.
Vielleicht für ganz Enwor.
Vielleicht sah er aber auch nur Gespenster.
Er räusperte sich ein paarmal, um das unangenehm werdende Schweigen zu überspielen, und wandte sich wieder an Bradburn. »Du gibst Bescheid, sobald du irgend etwas Neues herausfindest.« Bradburn nickte. »Ich erwarte dich, morgen bei Sonnenaufgang. Oben am Tor.«
Er sah stur an Titch vorbei, als er die Kammer verließ, aber er spürte, daß der Quorrl ihm nachstarrte. Und irgend etwas war an diesem Blick, das Skar schaudern ließ.
10.
Die Sonne war untergegangen, während sie in Bradburns unterirdischem Refugium gewesen waren, und mit der Nacht war die Kälte wieder in die Burg gekrochen und erinnerte ihre Bewohner nachhaltig daran, daß außerhalb der zyklopischen Mauern hoch immer Winter herrschte. Der Hof hatte sich wieder in das zurückverwandelt, was er seit einer guten Woche war: ein improvisiertes Heerlager, in dem Menschen und Quorrl in scheinbarer Eintracht miteinander lebten. Skar ging fröstelnd zwischen den Zelten und Lagerfeuern hindurch. Blicke trafen ihn und wurden hastig wieder abgewandt, wenn er sie erwiderte, und mindestens einmal war er sicher, seinen Namen in den geraunten Gesprächen der Männer zu hören. Eine riesige, schuppige Gestalt trat ihm in den Weg und wandte sich hastig wieder um, als sie ihn erkannte, und einer der schwarzen Kampfhunde lief ihm knurrend ein Stück nach und trollte sich, als Skar nach ihm schlug. Er mochte Hunde, Tiere überhaupt, aber er verabscheute diese Hunde. Es war noch nicht lange her, daß ihn eine dieser schwarzen Bestien um ein Haar umgebracht hätte. Das Lager war voll von ihnen - sie wurden von Menschen gezüchtet und aufgezogen, aber von Quorrl abgerichtet, und das Ergebnis war eine Mischung aus menschlicher Heimtücke, animalischem Mut und quorrlscher Wildheit, die wahrscheinlich auf ganz Enwor ihr Ebenbild suchte. Aber irgendwie waren diese Hunde typisch für Dels zusammengewürfelte Armee aus Quorrl-Kriegern und menschlichem Abschaum, der sich Satai nannte.
Skar erschrak ein wenig über seine eigenen Gedanken. Sie waren - sachlich - richtig, aber er spürte auch die sonderbar befremdliche Wut, die sie in ihm auslösten. Warum war er so aggressiv?
Er atmete innerlich auf, als er den Hof überquert hatte und ihn die Dunkelheit und Wärme der Burg auf der anderen Seite wieder aufnahm. Der Posten neben der Tür nickte ihm grüßend zu und stützte sich wieder auf seinen Speer, um weiterzudösen, noch ehe er vorüber war. Skar erwiderte seinen Gruß, schlug den Mantel zurück und lief die Treppe zu seinem Quartier hinauf, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Es war noch früh; trotz der zeitig hereingebrochenen Dunkelheit hatte der Abend nicht einmal richtig begonnen, aber er war müde, und er hatte keine Lust, über vieles nachzudenken. Zum Beispiel über die Frage, ob er am nächsten Morgen mit Bradburn zu den Felsen hinunterreiten oder die Burg vielleicht vorher verlassen sollte.
Eine Gestalt vertrat ihm den Weg, als er die Hand nach der Tür ausstreckte. Skar schrak zusammen, ehe er ihr langes, an einer Seite angesengtes blondes Haar und die spöttischen Augen erkannte, schalt sich selbst in Gedanken einen Narren und runzelte die Stirn.
»Du solltest einen Satai niemals erschrecken, Kind«, warnte er lächelnd. »Das könnte dein letzter Fehler sein, weißt du?« Kiina machte eine ärgerliche Handbewegung, aber er merkte, daß sie dennoch ein wenig zusammenfuhr. »Ich möchte mit dir reden«, sagte sie. »Hast du einen Moment Zeit?«
»Nein«, antwortete Skar. »Aber komm trotzdem mit herein.« Er öffnete die Tür, machte eine einladende Geste und schüttelte ungeduldig den Kopf, als Kiina zögerte, seiner Aufforderung zu folgen. »Wir können die Tür offen lassen, wenn du Angst hast, daß ich dich auffresse«, beruhigte er sie spöttelnd. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er an ihr vorbei ins Zimmer, tastete sich im Dunkeln zum Tisch und suchte ungeduldig nach den Feuersteinen, die darauf lagen. Er fand sie nicht, aber dafür stieß er den Wasserkrug um, der vom Tisch rollte und klirrend zerbrach. Skar unterdrückte einen Fluch, bückte sich nach den Scherben und schnitt sich in den Daumen.
Hinter ihm erscholl ein leises Lachen, das Zorn aus seinem Ärger machte. Er fuhr hoch, setzte zu einer wütenden Antwort an - und blinzelte, als zwischen Kiinas Händen eine kleine, gelbe Flamme aufglomm, die sich rasch zum ruhigen Feuer der Öllampe vergrößerte. Verwirrt registrierte er, daß die Feuersteine ziemlich genau dort lagen, wo er sie mit seiner ungeschickten Bewegung gesucht hatte. Kiina hatte sie nicht einmal angerührt. »Ein alter Trick der Errish«, erklärte sie, als sie seinen fragenden Blick sah. »Du wärst erstaunt, wenn du wüßtest, wie simpel er ist. Aber ich werde ihn dir nicht verraten.«
»Dann laß es«, knurrte Skar. Ärgerlich steckte er den Daumen in den Mund und sog so lange an der kleinen Wunde, bis sie zu bluten aufhörte. Kiina beobachtete ihn neugierig.
»Ist das die Art der Satai, Wunden zu heilen?« fragte sie. »Nein«, fauchte Skar. Er nahm den Daumen aus dem Mund und wischte ihn an der Hose trocken. »Ich brauche ab und zu frisches Blut, weißt du? Hat man dir nicht gesagt, daß ich Blut trinke und am liebsten lebendes Fleisch esse?«
»Man hat mir berichtet, daß du ein sehr harter Mann bist, Satai«, antwortete Kiina ruhig. »Nicht, daß es dir Spaß macht, den Wilden zu spielen.«
»Da hat man dir etwas Falsches erzählt«, erwiderte Skar und versetzte den Tonscherben zu seinen Füßen einen Tritt, der sie im ganzen Zimmer herumfliegen ließ. Mit einem Male verspürte er eine geradezu unbändige Lust, irgend etwas zu packen und zu zerschlagen. »Was willst du von mir?« fuhr er Kiina an. »Bist du nur hierhergekommen, um dich über mich lustig zu machen?«
»Nein«, antwortete Kiina. Sie schob trotzig die Unterlippe vor und funkelte ihn an. »Ich bin eigentlich gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen. Aber ich glaube, ich hätte mir den Weg sparen können. Verzeiht, daß ich Euch gestört habe, Herr.« Sie wandte sich brüsk um und wollte gehen, aber Skar hielt sie zurück.
»Warte«, sagte er. »Ich... es tut mir leid. Bleib - bitte.« Er ließ ihren Arm los, lächelte entschuldigend und fuhr sich mit der anderen Hand über das Gesicht. Sein grober Ton tat ihm leid; er schämte sich, wenn auch mehr vor sich selbst als Kiina gegenüber. »Bleib«, bat er noch einmal.