Erst in diesem Moment fielen ihm die Geräusche wieder ein, die ihn geweckt hatten. Sie waren noch immer da, und wenn sie auch nach wie vor undeutlich und nicht zu identifizieren waren, so hatten sie doch nichts von ihrer Bedrohlichkeit verloren. Leise, aber sehr schnell stand er auf, trat ans Fenster und blickte auf den Hof hinab. Der Lärm nahm zu, und im gleichen Moment wußte er auch, was es gewesen war, das ihn so beunruhigt hatte. Es mußte nach Mitternacht sein, seinem Gefühl nach, aber der Burghof unter ihm war in helles Licht getaucht. Zahllose Feuer brannten, und an einer Stelle unweit der gegenüberliegenden Mauer hatte sich ein großer Kreis blakender Fackeln gebildet, der in beständiger unruhiger Bewegung war. Schreie gellten zu Skar hinauf, unterbrochen von metallischem Klirren und dem wütenden Knurren und Bellen der Hunde. Skars Kammer lag gute hundert Meter über dem Hof, fast unter der Spitze des Turmes und entschieden zu hoch, ihn mehr als bloße Bewegung erkennen zu lassen. Aber er war lange genug Krieger gewesen, um zu wissen, was dort unten geschah.
Mit einem nur noch halb unterdrückten Fluch fuhr er herum, raffte im Vorbeigehen Mantel und Waffengurt vom Stuhl und band beides um, während er die Kammer verließ und auf die Treppe zuhastete. Er lief so schnell, daß er auf den Stufen ausglitt und sich gerade noch an der Wand abstützen konnte, um einen Sturz zu vermeiden. Trotzdem brauchte er endlose Minuten, um die gewendelte Treppe hinunterzustürmen und den Hof zu erreichen. Der Lärm hatte sich in einen vielhundertstimmigen Chor aus Schreien und anfeuernden Rufen verwandelt, als er auf den Hof hinausrannte. Er hörte jetzt deutlich das Klirren von Stahl. Skar trat einen Schritt weit auf den Hof hinaus, blieb stehen und sah sich nach den Wächtern um, welche die Aufgabe hatten, für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Er entdeckte einen von ihnen - oder, genauer gesagt, das, was von ihm übrig war: Der Mann lag stöhnend in einer Nische neben der Tür, mit blutüberströmtem Gesicht und den zerbrochenen Resten seines Speeres in den Händen. Die Spitze samt einem halben Meter des Schaftes steckten in seinem Oberschenkel.
Skar kniete neben dem Mann nieder, überzeugte sich mit einem raschen Blick davon, daß die große Arterie in seinem Bein nicht verletzt war, und zog den Speer mit einem Ruck aus der Wunde. Der Mann schrie vor Schmerz auf, aber sein Blick war klar, als er zu Skar aufsah.
»Danke, Herr«, sagte er. »Ich -«
»Was ist passiert?« unterbrach ihn Skar. »Wer hat das getan?«
»Sie kämpfen, Herr«, antwortete der Mann mühsam. Sein Gesicht war grau vor Schmerz. Feiner, eiskalter Schweiß perlte von seiner Stirn und vermischte sich mit den Tränen, die aus seinen Augen liefen. »Unsere Leute gegen ... Quorrl. Ich ... weiß nicht, warum. Wir haben versucht, sie auseinanderzubringen, aber sie... sie haben uns angegriffen.«
»Wer?« fragte Skar scharf.
Der Wächter antwortete nicht auf seine Frage. »Die anderen sind ... sind tot, Herr«, stöhnte er.
Skar warf einen weiteren besorgten Blick auf seine Wunde. Sie blutete stärker, jetzt, nachdem er die Klinge herausgezogen hatte. Aber sie war nicht lebensgefährlich. »Schaffst du es allein?« fragte er.
Der Mann nickte mit zusammengebissenen Zähnen, und Skar stand auf. »Laß dein Bein versorgen«, gebot er. »Ich rede später mit dir.« Rasch wandte er sich um und begann, sich auf den Quell des Kampfgeräusches zuzubewegen. Aber obwohl er sich rücksichtslos durch die Menge drängte und schließlich sogar sein Schwert zog, um sich mit der stumpfen Seite der Klinge den Weg zu bahnen, brauchte er fast fünf Minuten, um den Kreis aus Fackelträgern zu erreichen, die den Kampfplatz umgaben. Und was er sah, übertraf selbst seine schlimmsten Erwartungen - er hatte genug Erfahrung im Kriegshandwerk, um zu wissen, daß Auseinandersetzungen zum Alltag eines Heerlagers gehörten; aber was hier geschah, hatte nichts mehr mit einem normalen Kampf oder auch einer ordinären Schlägerei gemein.
Es war eine regelrechte Schlacht, bei der sich gut zwanzig Satai auf der einen und ein gehöriges Dutzend Quorrl auf der anderen Seite gegenüberstanden, verstärkt durch eine ganze Meute der schwarzen Kampfhunde, die knurrend und geifernd ihre jeweiligen Gegner angingen. Eine fast ebensogroße Anzahl regloser Gestalten am Boden bewies, daß der Kampf schon eine geraume Weile tobte.
Skar stand eine Sekunde wie erstarrt da und blickte auf das Durcheinander ringender Körper, dann stieß er den vor ihm stehenden Mann zur Seite, hob das Tschekal und sprang mit einem Satz unter die Kämpfenden. Seine Klinge schlug zwei ineinander verbissene Schwerter auseinander, zwang den Quorrl und seinen menschlichen Gegner gleichzeitig, ein Stück zurückzuweichen, und tötete noch in der gleichen Bewegung einen Hund, der sich in den Arm eines kleinwüchsigen Quorrl verbissen hatte. Ein Schatten sprang auf ihn zu, Metall blitzte. Skar wich der Klinge im letzten Moment aus, brachte den Angreifer mit einem blitzschnellen Tritt gegen das Knie aus dem Gleichgewicht und schlug ihm den Ellbogen gegen die Schläfe, als er neben ihm in die Knie sank. Der Quorrl kippte haltlos zur Seite und blieb stöhnend liegen.
»Aufhören!« schrie Skar. »Sofort aufhören! Ich befehle es!« Er war sicher, daß seine Stimme gehört worden war - aber niemand reagierte. Neben ihm brach ein Satai schreiend zusammen und umklammerte die blutenden Stümpfe seiner Finger, die ihm einer der Hunde abgebissen hatte. Skar schlug dem Tier die flache Seite der Klinge über die Schnauze, erwehrte sich der blindwütigen Hiebe eines weiteren Quorrl und schrie noch einmaclass="underline" »Hört auf zu kämpfen! Ich lasse jeden hinrichten, der nicht sofort gehorcht!«
Der Kampf ging zwar weiter, aber er begann zu erlahmen. Die anfeuernden Rufe aus der Menge waren schon lange verstummt, und ein paar der Männer, die in seiner unmittelbaren Nähe standen, lösten sich zögernd von ihren Gegnern und senkten ihre Waffen. Auf der anderen Seite der improvisierten Arena tobte das Gemetzel mit unverminderter Heftigkeit weiter.
Skar hob wütend sein Schwert, war mit zwei, drei raschen Schritten bei den Kämpfenden und warf sich zwischen zwei Satai und einen Quorrl, die verbissen aufeinander einschlugen. Mit einem gewaltigen Hieb schmetterte er dem Quorrl die Waffe aus der Hand und schleuderte ihn gleichzeitig zu Boden, dann fuhr er herum und parierte den Schwertstreich eines der beiden Satai. Der Mann taumelte zurück, holte zu einem weiteren Schlag aus - und erstarrte mitten in der Bewegung, als er ihn erkannte. Sein Kamerad nicht. Skar war hundertprozentig sicher, daß auch er wissen mußte, wem er gegenüberstand - wenn schon nicht sein Gesicht, so war doch zumindest sein schwarzer Mantel jedem im Lager bekannt. Aber er senkte seine Waffe nicht, sondern griff Skar im Gegenteil mit einem drohenden Knurren an. Seine Klinge zuckte in einem geraden, sehr schnellen Stich nach Skars Gesicht; gleichzeitig versuchte er, ihm die Beine unter dem Leib wegzutreten.
Skar parierte den Schwerthieb nicht, sondern sprang ein Stück zur Seite und in die Höhe, war plötzlich neben und eine halbe Sekunde später hinter dem Mann und packte seinen Schwertarm. Ein unglaublicher Zorn machte sich in ihm breit. Mit einer einzigen, wütenden Bewegung brach er dem Mann den Arm, schleuderte seinen Gegner zu Boden und warf sich auf ihn. Seine linke Hand krallte sich in das Haar des Satai und riß seinen Kopf zurück, während er die rechte zum tödlichen Hieb gegen seine Kehle ballte.