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Titch nickte, aber Skar fühlte sich beinahe noch unbehaglicher. Er wollte nicht noch einmal dorthin. Er hatte Angst, die Tote wiederzusehen, und er hatte Angst, den Daij-Djan zu treffen, der bei den Felsen auf ihn warten mochte. »Wozu?« fragte er. Del zuckte die Schultern. »Man weiß nie«, erwiderte er. »Sie wird einen Grund gehabt haben, sich dort unten herumzutreiben, und ich will wissen, welchen. Jetzt um so mehr. Wir können kein Risiko eingehen.« Er sah Skar fragend an. »Du hast noch den Verschluß der Kristallflasche?«

Skar schüttelte den Kopf. »Nein. Er war nicht bei den Sachen des Toten.«

»Das ist schade«, bedauerte Del. »Vielleicht hat er ihn für einen Edelstein gehalten und eingetauscht. Ich werde danach suchen lassen. Wann reitet ihr?«

»Jetzt gleich«, sagte Titch, noch ehe Skar Gelegenheit fand zu antworten. »Ich weiß zwar so wenig wie Skar, was du dir davon versprichst, aber du hast recht - wir sollten kein Risiko eingehen. Vielleicht finden wir irgend etwas bei ihr, was uns weiterhilft.«

Der Weg zum Fluß hinunter kam ihm weiter vor als beim ersten Mal, und Skar war plötzlich gar nicht mehr so sicher wie noch vor Tagesfrist, ob es ihm wirklich gelingen würde, die Stelle wiederzufinden, an der er auf die tote Errish und ihren Drachenvogel gestoßen war. Jetzt, als er danach suchte, schien plötzlich alles gleich auszusehen, und er hatte vorher noch nie bemerkt, wie groß das steinerne Labyrinth war, über dem sich die schwarzen Zinnen von Drasks Trutzburg erhoben.

Skar fühlte sich zwischen zwei völlig verschiedenen Empfindungen hin und her gerissen - auf der einen Seite war er erleichtert - nicht nur innerlich, sondern auch auf ganz real körperliche Weise -, aus der Burg heraus zu sein, auf der anderen Seite fühlte er sich nicht sehr wohl in Titchs Begleitung. Und um so mehr, als er festgestellt hatte, daß es sich bei ihren Begleitern ausschließlich um Quorrl handelte; ein halbes Dutzend großer, muskelbepackter Gestalten, welche die Kräftigsten aus Titchs Leibgarde zu sein schienen. Er mißtraute den Quorrl nicht - ganz im Gegenteil mußte er sich insgeheim eingestehen, daß er Titch und seinen Kriegern in den letzten Tagen weitaus mehr vertraute als den sogenannten Satai, die Del um sich geschart hatte -, aber er spürte, daß Titch ihn belog; oder ihm zumindest etwas nicht gesagt hatte, was wichtig gewesen wäre.

Als sie etwas mehr als die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatten, sahen sie das Heer. Es war noch sehr weit entfernt - die Männer würden sich beeilen müssen, um vor Dunkelwerden die Burg zu erreichen -, und es näherte sich auf der anderen Seite des Flusses, aber es bot trotzdem einen beeindruckenden Anblick. Die Ebene, die am Morgen noch weiß gewesen war, brodelte jetzt vor schwarzer und metallisch blitzender Bewegung, und über dem riesigen Heerwurm zog eine Wolke aus Staub und pulverfeinem Schnee dahin. Skar spürte ein sonderbares Gefühl, von dem er im ersten Moment selbst nicht genau wußte, was es war - einerseits etwas von dem erhebenden Gefühl von Macht, das eine so große Armee vermittelte, andererseits aber auch Furcht; und einen nie gekannten Zweifel. Plötzlich erinnerte ihn diese ungeheuerliche Karawane aus zwanzigtausend Männern und Pferden an eine Ameisenarmee, ein Heer hirn- und willenloser Etwasse, die er einfach nicht mit der Vorstellung denkender Individuen überein bringen konnte.

»Beruhigt dich der Anblick, Satai?«

Skar fuhr fast erschrocken zusammen und wandte sich im Sattel zur Seite. Titch war neben ihn herangeritten und hatte sein Pferd ebenfalls angehalten, und auch sein Blick war starr nach Westen gerichtet.

Fast gegen seinen Willen schüttelte Skar den Kopf. »Sollte er das?«

»Natürlich«, antwortete Titch. »Ihr seid uns jetzt ebenbürtig. Bis heute wart ihr fünfhundert Menschen, in der Gesellschaft von vierzigtausend Ungeheuern.«

»Warum bist du so bitter, Titch?« fragte Skar.

»Bin ich das?«

Skar nickte. Einen Moment lang lauschte er vergeblich auf den Zorn, den Titchs Worte eigentlich in ihm wachrufen sollten. Er kam nicht. Er spürte im Gegenteil nur Mitleid mit dem hünenhaften Quorrl. Er war jetzt davon überzeugt, daß Kiina recht gehabt hatte. Es war die Festung, die ihrer aller Denken vergiftete. »Das bist du«, antwortete er ruhig. »Du warst es, seit ich dich kennengelernt habe, aber es ist schlimmer geworden, seit wir hier sind.«

»Vielleicht habe ich meine Gründe«, antwortete der Quorrl kurz angebunden und wollte weiterreiten, aber Skar fiel ihm mit einer raschen Bewegung in die Zügel und hielt das Pferd zurück. »Dann solltest du sie mir verraten«, sagte er.

Der Quorrl riß ihm die Zügel aus der Hand und ritt weiter, aber nicht sehr schnell, so daß Skar schon nach ein paar Schritten wieder zu ihm aufgeschlossen hatte. »Es ist nicht sehr fair, über etwas zu schweigen, das unser aller Schicksal beeinflussen kann, Titch.«

Titch lachte leise. »Unser Schicksal? Du leidest an einer typisch menschlichen Krankheit, Satai - du überschätzt dich. Niemand kann sein Schicksal beeinflussen. Was geschehen wird, geschieht.«

»Warum bist du dann hier?« fragte Skar. »Du glaubst, alles wäre vorbestimmt?«

»Ich glaube es nicht«, antwortete Titch. »Ich weiß es.«

»Warum kämpfen wir dann?« bohrte Skar weiter. »Warum versuchen wir, die Sternengeborenen zu schlagen, wenn doch alles schon vorherbestimmt ist? Warum seid ihr nicht in euren Wäldern im Norden geblieben und habt zugesehen, wie Enwor zugrunde geht?«

»Weil es vorherbestimmt ist«, antwortete Titch stur. »Und weil wir Krieger sind. Wir wurden als Krieger geboren.«

Skar warf einen Blick zu dem Heer im Westen, ehe er erwiderte. »Das bin ich auch, Titch, und trotzdem -«

Der Zornesausbruch des Quorrl kam völlig unvorbereitet; und seine Bewegung so schnell, daß Skar sie nicht einmal sah - im einen Moment war Titch noch ruhig neben ihm hergeritten, eine viel zu groß geratene, mißgestaltete Kröte, unter der das Schlachtroß winzig und verloren wirkte, und im anderen fühlte sich Skar von zwei unmenschlich starken Händen gepackt und halb aus dem Sattel gerissen. Titchs Gesicht war plötzlich sehr nahe vor ihm. Seine Augen füllten fast sein ganzes Gesichtsfeld aus. »Nein, Satai!« zischte der Quorrl, leise, aber in einem Ton, der Skar einen eiskalten Schauer der Furcht über den Rücken laufen ließ. »Das bist du nicht. Du bist zum Krieger geworden, aus freien Stücken oder durch Zwang, aber du hattest eine Chance. Wir nicht. Keiner dieser Vierzigtausend, die ich in den Tod zu führen habe, hatte eine Chance!«

Skar versuchte Titchs Griff zu sprengen, aber es war sinnlos. Er schlug die gefalteten Hände mit aller Macht von unten gegen die Titchs, die seinen Hals gepackt hatten, aber der Quorrl zuckte nicht einmal. Skar bekam keine Luft mehr.

Aber dann, nach einer weiteren Sekunde, ließ Titch ihn los und versetzte ihm einen Stoß, der ihn zurück und um ein Haar aus dem Sattel stürzen ließ.

»Was meinst du damit?« fragte er verstört, nachdem er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. »Ihr seid -«

»Krieger!« unterbrach ihn Titch, noch immer leise, und noch immer kaum weniger wütend als zuvor. Seine Augen flammten. »Wir wurden als Krieger geboren. Wir wurden als Krieger gezeugt, Satai. Keiner dieser Vierzigtausend ist je gefragt worden, ob er ein Leben als Krieger führen will, und keiner ist je auf die Idee gekommen, an seiner Bestimmung zu zweifeln!«

»Als Krieger gezeugt?« wiederholte Skar zweifelnd. Er begriff sehr wohl, was Titch mit diesen Worten meinte, aber er weigerte sich einfach, es zu glauben. »Du meinst, ihr... ihr wißt vor der Geburt, was aus dem Kind wird? Ihr zeugt eure Krieger und Handwerker und Bauern, so, wie... wie wir sie erziehen?« Titch antwortete nicht, aber sein Schweigen war Antwort genug. Vielleicht mehr, als Skar überhaupt hören wollte. »Das wußte ich nicht«, gab er leise zu. »Bitte verzeih.«