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»Vielleicht waren sie der Meinung, Enwor für sich selbst zu brauchen«, gab Skar sarkastisch zu bedenken, aber Drask schien seine Worte gar nicht zu hören.

»Als sie begriffen, was sie getan hatten, war es zu spät«, fuhr der Magier fort. »Sie versuchten, zusammen mit den Sternengeborenen zu leben, aber dieser Versuch scheiterte. Du weißt, was geschah.«

O ja, das wußte er. Er hatte Velas Worte nicht vergessen, obwohl es ihm unglaublich lange erschien, daß er sie vernommen hatte. Sie vernichteten sich gegenseitig: das Volk, dem diese Welt gehörte, und das mächtig genug geworden war, in gigantischen silbernen Schiffen zu den Sternen zu segeln, und all das, was es von diesen Sternen hierher holte. Und er hatte auch das andere nicht vergessen, was Vela ihm erzählt hatte: daß sie, als alles schon verloren schien, als Enwor bereits brannte und aus einer blühenden Welt eine Hölle wurde, einen letzten, verzweifelten Versuch unternahmen, eine Verbindung zu jenen Sternenwesen zu erschaffen, ein Ungeheuer, halb Mensch, halb Sternenkreatur, halb Gott und halb Teufel.

Ihn.

Oh, natürlich nicht ihn selbst, denn er war ein sterblicher Mensch, und das alles lag Tausende um Tausende von Jahren zurück, aber das Etwas in ihm, dieses finstere gestaltlose Ding, das er in Ermangelung eines besseren Namens stets seinen Dunklen Bruder genannt hatte, dies war ihr Erbe, der Nachkomme jenes entsetzlichen Gott-Teufel-Zwitters, den Männer wie Drask erschaffen hatten. Er hatte es immer gespürt, daß er etwas Besonderes war, daß ihn etwas von allen anderen Menschen unterschied. Aber verdammt, dachte er, von plötzlichem, rasendem Zorn erfüllt, niemand hatte ihn gefragt, ob er es auch wollte! »Es wird wieder geschehen«, führte Drask weiter aus, mit sehr leiser, fast suggestiver Stimme. Er hatte die ganze Zeit geschwiegen, aber Skar war plötzlich sicher, daß er seine Gedanken gelesen hatte. »Du weißt es, Skar. Du hast den Daij-Djan gesehen, und du hast ihr Erwachen gespürt. Sie werden siegen. Enwor wird ein zweites Mal untergehen, wenn niemand diesen Krieg verhindert, und diesmal wird niemand mehr übrig bleiben, um es wieder aufzubauen.« Seine Worte waren fast ein Flüstern, aber von jenem zwingenden Klang, der es Skar einfach unmöglich machte, die Ohren davor zu verschließen. Mit einem letzten, klar gebliebenen Teil seines Verstandes begriff er, daß Drask all seine Erfahrung und jedes bißchen Macht, das ihm trotz der Drogen noch geblieben war, dazu einsetzte, ihn zu überzeugen, aber dieses Wissen nutzte nichts; vielleicht, weil er ebenso deutlich spürte, daß Drask trotz allem die Wahrheit sprach. Es lag in seiner Macht, vielleicht nicht den Krieg zu verhindern, aber es wenigstens zu versuchen.

»Und... wo sind sie?« fragte Skar. Selbst das Sprechen fiel ihm schwer. Er war nicht sicher, daß er diese Frage wirklich hatte stellen wollen. Das Durcheinander hinter seiner Stirn entwirrte sich nicht, sondern schien im Gegenteil immer schlimmer zu werden.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Drask leise. Seine Stimme verlor an Kraft, und Skar erkannte, daß er jetzt starb. Diese letzte Anstrengung war zu viel gewesen. Skar konnte regelrecht sehen, wie das Leben aus seinem Körper wich. Seine Augen verloren zusehends an Glanz, und etwas in ihm zerbrach. Ganz plötzlich sank er im Stuhl zurück. Sein Gesicht erschlaffte, und mit einem Male tat er Skar nur noch leid. »Irgendwo im Süden, Skar, vielleicht. Vielleicht sind sie schon hier, oder... nirgendwo. Aber du bist der einzige, der sie finden kann. Such... meine Brüder, und du... du findest sie.«

Er bäumte sich auf. Ein Hustenanfall schüttelte seinen Körper, und Skar sah, wie eine der Wunden unter seinem Gewand wieder aufbrach, denn plötzlich zeigte sich auf seiner Brust ein feuchter dunkler Fleck, der rasch größer wurde. Aber er hob nur abwehrend die Hand, als Skar sich vorbeugen wollte, um ihm zu helfen. »Kann ich dir trauen, alter Mann?« fragte Skar leise.

»Warum bin ich wohl hiergeblieben, du Narr?« stöhnte Drask. »Du hattest recht - ich hätte fliehen können, und ich hätte noch ein verdammt langes Leben vor mir gehabt. Ich bin geblieben, um mit... mit dir zu sprechen.«

»Hast du mich deshalb gezwungen, meinen eigenen Sohn zu töten?« fragte Skar. In seiner Stimme war nicht einmal Vorwurf, ja, er suchte selbst in seinem Inneren vergebens nach einer Spur von Bitterkeit oder Zorn. Er verstand es nur nicht.

Drask machte eine Bewegung, die gleichzeitig ein Kopfschütteln wie ein Nicken war. »Ja«, antwortete er. »Es war der einzige Weg. Das Erbe der Götter wird im Fleisch weitergegeben. Vielleicht wäre der Sohn deines Sohnes wieder ein Mann wie du geworden, aber er war... nicht der Richtige. Und uns bleibt keine Zeit mehr zu warten. Ich verlange nicht, daß du mir verzeihst, Skar, aber vielleicht verstehst du es. Du mußtest wieder der werden, der du einmal warst, bevor ... dieses unselige Kind geboren wurde. Diese Närrin Vela, was hat sie getan?«

Er versuchte die Hand zu heben und hatte nicht mehr die Kraft dazu. Ein neuer Hustenanfall schüttelte seinen Körper, und plötzlich war in seinem Atem ein schreckliches röchelndes Geräusch. Er starb.

»Geh«, brachte Drask mühsam hervor. »Geh und suche sie, Skar. Du bist der einzige Mensch auf dieser Welt, der es kann, denn du wurdest zu diesem Zweck erschaffen. Geh und suche die alten Götter.«

Der einzige, der ihn beachtete, als er wenig später den Kerker wieder verließ, war der riesenhafte Quorrl. Er blickte ihn auf eine sehr sonderbare Weise an, mit dem Mißtrauen, das so sehr zu seiner Natur gehörte wie die schuppige Haut und das fürchterliche Raubtiergebiß, aber auch ... nachdenklich!

Fast, dachte Skar schaudernd, als hätte er durch das fingerdicke Holz hindurch jedes Wort verstanden. Aber das war natürlich Unsinn.

Er verscheuchte den Gedanken und beeilte sich, wieder ins Freie zu kommen. Plötzlich hatte er das Gefühl, hier unten nicht mehr atmen zu können.

»Das ist nicht dein Ernst«, entrüstete sich Del. Die Fassungslosigkeit in seiner Stimme war nicht gespielt, und was Skar auf seinen Zügen las, das war ebenso echt. »Du willst gehen, nur weil ein sterbender alter Mann dir gesagt hat, daß du es tun sollst?! Was ist los mit dir? Hast du einen Schlag auf den Kopf bekommen, oder wirst du jetzt wirklich alt?«

Skar lächelte dünn, obwohl Del mit einem Ernst gesprochen hatte, der die Wahl seiner Worte Lügen strafte, und in einer Art, die Skar sich schuldiger vorkommen ließ, als wenn er ihm Vorwürfe gemacht hätte.

Sie saßen sich im Thronsaal der Burg gegenüber, und hinter dem bunten Bleiglas der Fenster wurde es wieder Tag. Skar hatte nicht geschlafen in dieser Nacht, sondern war ruhelos in der Festung auf und ab gewandert, wie ein in einem Käfig gefangenes Raubtier, das es nicht wagt, durch die offenstehende Tür zu schlüpfen. Die Nacht war endlos gewesen - vielleicht die längste seines Lebens, sicher aber die schwerste. Es war nicht einfach so, daß er eine Entscheidung zu fällen hatte, die sein gesamtes weiteres Leben beeinflussen mochte - daran hatte er sich allmählich gewöhnt, so absurd das klang. Aber zweierlei Dinge waren diesmal anders: Zum einen war es nicht nur sein Leben, über das er entschied, und zum anderen war es nicht nur seine Entscheidung. Vielleicht war sie es niemals gewesen. Drask hatte es nicht einmal angedeutet, und es gab nicht die Spur eines Beweises, daß es so war - aber in letzter Zeit plagte Skar immer häufiger der Gedanke, daß vielleicht nichts von alledem, was geschehen war, Zufall gewesen sein mochte. Was, wenn sie alle nichts als Figuren in einem Schachspiel der Götter waren, wenn alles geplant gewesen war? Wenn dieses zweite Leben, das er lebte, kein Geschenk war, sondern er es leben sollte, um etwas ganz Bestimmtes zu tun - möglicherweise nichts weniger, als Enwor zu retten. Oder zu vernichten.