»Was?« fragte Titch verstört.
»Ich weiß nicht, wieso, und ich weiß nicht, was sie hier wollte, aber sie stand auf unserer Seite, Titch!« drängte Skar erregt. »Begreif doch! Wir haben uns getäuscht, aber Bradburn muß es erkannt haben, in seinem letzten Moment! Was in ihrer Flasche war, war kein Gift! Es war eine Waffe gegen das Netz!« Titchs Augen weiteten sich ungläubig, aber es vergingen Sekunden, bis Skar erkannte, daß dies keine Reaktion auf seine Worte waren. Der Quorrl starrte auf einen Punkt hinter ihm, am anderen Ende der kleinen Felsplattform.
Und Skar wußte schon, was er dort gesehen hatte, noch ehe die anderen Quorrl entsetzt aufschrien und er selbst in die Höhe fuhr und sich blitzschnell umdrehte.
Er war da.
Es war eine getreuliche Wiederholung ihrer ersten Begegnung, und er hatte recht gehabt, mit seinem eigenen, spöttischen Gedanken - der Daij-Djan hatte auf sie gewartet, hier, an der einzigen Stelle, an der es vielleicht etwas gab, was seine Pläne zu durchkreuzen vermochte.
Für die Dauer eines Atemzuges stand Skar einfach da und starrte die kindsgroße Chimäre an, spürte den Blick seiner nicht vorhandenen Augen wie die Berührung einer weißglühenden Hand und fühlte wieder den alten Spott und Haß, aber zum allerersten Mal vielleicht auch so etwas wie Verunsicherung. Dann bewegte sich der Daij-Djan.
Und die Hölle brach los.
Skar hörte einen gellenden Aufschrei und wurde von etwas in den Rücken getroffen und zur Seite geschleudert. Ein Quorrl raste an ihm vorbei, brüllend, das gewaltige Schwert mit beiden Händen zum Schlag erhoben, und so schnell, wie er niemals einen Quorrl hatte laufen sehen.
Der Daij-Djan versuchte nicht einmal, dem Hieb auszuweichen. Er stand einfach da, ein Kind, das einem tobenden Drachen entgegenblickte, und die Klinge des Quorrl sauste herab, geführt von Muskeln, die in der Lage waren, einem Pferd das Rückgrat zu brechen. Der Hieb mußte ihn in zwei Hälften teilen.
Er wurde nicht zweigeteilt. Er erbebte nicht einmal unter dem Schlag des Quorrl-Kriegers. Aber dafür zerbrach dessen Schwert. Dann bewegte sich die dreifingrige Klauenhand des Daij-Djan, so schnell und mörderisch, wie sie nur dieses Wesen bewegen konnte, und der Quorrl torkelte röchelnd zurück, beide Hände gegen seine zerfetzte Kehle geschlagen.
Der Daij-Djan löste sich aus seiner Erstarrung und kam langsam auf Skar und Titch zu. Seine Hände waren jetzt geöffnet, wie dreifingrige Forken, zu nichts anderem geschaffen als zum Töten und Zerreißen, aber dazu perfekt. Skar machte einen stolpernden Schritt zur Seite, ehe er begriff, daß nicht er das Ziel der Sternenbestie war, sondern die überlebenden fünf Quorrl und Titch. Aus irgendeinem Grunde würde ihn der Daij-Djan auch diesmal noch am Leben lassen. Vielleicht konnte er ihn gar nicht töten.
Aber er tötete den zweiten Quorrl, der sich mit einem schrillen Angstschrei auf ihn stürzte, und er tat es so schnell und gnadenlos wie beim ersten Maclass="underline" Seine Klaue fing den Schwerthieb des Kriegers ab und zerbrach gleichzeitig seine Klinge und seinen Arm, dann riß er den vier Zentner schweren Koloß einfach in die Höhe, wirbelte ihn herum und schleuderte ihn davon, zehn, zwanzig, dreißig Meter weit durch die Luft, bis er zwischen den Felsen aufschlug. Der Daij-Djan ging weiter.
Skar erwachte endlich aus seiner Erstarrung. Mit einem gellenden Schrei fuhr er herum und zerrte sein Schwert aus dem Gürtel, wohl wissend, wie sinnlos diese Waffe gegen den Dämon war. Aber er kam gar nicht dazu, die Bestie anzugreifen, denn in diesem Moment geschah etwas, was vielleicht noch schlimmer war als der Tod der beiden Krieger.
Titchs überlebende Männer hatten sich um ihren Kommandanten geschart und bildeten einen lebenden Schutzwall. Der Daij- Djan bewegte sich ohne sonderliche Hast auf die lebende Festung zu, und die vier Quorrl und Titch wichen im gleichen Tempo vor ihm zurück, bis sie die Kante des Felsplateaus erreicht hatten. In den Gesichtern der Krieger stand der nackte Terror. Es war das erste Mal im Leben, daß Skar einen Quorrl vor Angst wimmern hörte. Vielleicht das erste Mal überhaupt, daß ein menschliches Ohr diesen Laut vernahm.
Und plötzlich schleuderte einer von ihnen sein Schwert davon, zog statt dessen einen kleinen, zweiseitig geschliffenen Dolch - und führte ihn mit einer raschen Bewegung an seiner Kehle entlang!
Etwas in Skar zerbrach.
Es war das erste Mal seit Bradburns Sai-Tan, daß er sie wieder spürte, jene finstere, brodelnde Macht, die tief in seinem Inneren verborgen war und nur manchmal erwachte, dann aber zu schrecklicher Kraft und Wut, ein Etwas, ebenso dunkel und vielleicht stärker als der Daij-Djan, auf jeden Fall aber ebenso gnadenlos. Sein eigenes Leben war ihm egal, nein, mehr noch, er wußte, daß ihm nichts geschehen würde, daß er unbesiegbar, unsterblich und unverwundbar war in diesem Moment, denn er war nicht mehr er, sondern sein Dunkler Bruder, ein körperloses Ding, von den gleichen Mächten erschaffen wie die Sternenbestie und ebenso wild, ebenso entschlossen und ebenso unfähig aufzugeben. Sein Körper mochte zerstört werden, denn er war nicht närrisch genug, sich im Ernst einzubilden, den entsetzlichen Kräften der Chimäre irgend etwas entgegensetzen zu können, aber es war auch nicht die Macht seines Schwertes, die den Daij-Djan stocken ließ, als sich Skar mit einem Schrei zwischen ihn und die überlebenden Quorrl warf. Sein Tschekal sauste herab und verharrte einen Fingerbreit vor dem flachen Nicht-Gesicht der Bestie.
»Geh!« schrie er. »Bring mich um oder geh, du Bestie! Ich lasse es nicht zu!«
Der Daij-Djan zögerte. Er hatte kein Gesicht, auf dem Skar so etwas wie eine Reaktion auf seine Worte hätte ablesen können, aber er spürte, daß ihm der Dämon plötzlich auf eine neue, fast unsichere Art gegenüberstand. Mit einer sonderbar unschlüssigen Bewegung hob er die Hand und streckte den Arm aus, wie um Skar einfach aus dem Weg zu schleudern, berührte ihn aber nicht.
»Verschwinde, Satai!« brüllte Titch hinter ihm. »Er will nur uns! Lauf, solange du es noch kannst, du Narr!«
Skar hörte gar nicht hin. Sein Blick war starr auf das Horngesicht des Daij-Djan gerichtet, und der Daij-Djan starrte ihn an. »Geh!« wiederholte Skar noch einmal. »Ich lasse nicht zu, daß du sie tötest!«
Willst du dein eigenes Leben opfern, um ein paar Quorrl zu retten? wisperte die unhörbare Stimme des Ungeheuers hinter seiner Stirn. Es waren nicht wirklich diese Worte, die Skar hörte, es waren überhaupt keine Worte, aber es war der Sinn seiner lautlosen gedanklichen Frage.
»Ja«, rief er laut. »Wenn es sein muß. Ich lasse es nicht zu, hörst du? Du wirst nicht mehr töten! Nicht, bevor du mich getötet hast! Ich lasse es nicht zu!«
Er hätte es nicht verhindern können, das wußte er. Nicht wirklich. Nicht mit diesem Schwert und seinem lächerlichen menschlichen Körper, den das Ungeheuer in Bruchteilen einer Sekunde einfach zerreißen konnte. Der Daij-Djan hätte die Hand heben, sein Schwert zerbrechen und ihn einfach zur Seite schleudern können, wenn er wirklich gewollt hätte, aber da war plötzlich noch etwas, die unsichtbare finstere Macht seines Dunklen Bruders, die wie eine Sturmflut aus den Tiefen seiner Seele emporkochte und sich der Chimäre entgegenwarf. Es dauerte nur Sekunden, aber für Skar vergingen Ewigkeiten, während die beiden unsichtbaren Ungeheuer miteinander rangen, nicht Gut und Böse, denn so etwas gab es nicht, das war eine reine Erfindung der Menschen, sondern zwei feindliche Brüder, der eine so haßerfüllt wie der andere.