Выбрать главу

»Und jetzt?« fragte er. »Läßt du uns in Ketten legen?«

»Ihr dürft euch frei in diesem Turm bewegen«, gab ihm Del zur Antwort. »Aber ich verbiete euch, ihn zu verlassen oder mit irgend jemandem zu reden.«

»Und wie lange willst du uns hier festhalten?«

»So lange es nötig ist«, antwortete Del. »Ich stimme in einigen Punkten mit dir überein. Auch ich will hier weg, so schnell es geht. Das Heer wird sich ausruhen, einen Tag, zwei, allerhöchstens drei. Sobald wir weiterziehen, bist du frei. Meinetwegen kannst du dann zum Ende der Welt reisen und einen Gott suchen, mit dem du reden kannst, du Narr!«

19.

Mit dem Abend war die Kälte zurückgekommen. Skar und Kiina waren hinaufgegangen auf die Plattform des Turmes, hundert oder mehr Manneslängen über der Burg und die dreifache Höhe über dem Fluß, und sie waren in stummem Einvernehmen den ganzen Tag über dortgeblieben. Die Vorstellung, hier oben irgendwie in Sicherheit zu sein, war natürlich nur eine Illusion, aber Skar fühlte sich trotzdem erleichtert. Nachdem Del gegangen war, hatte er angefangen, sich wie lebendig eingemauert zu fühlen. Die Wände hatten ihm den Atem genommen, und wenn er zurücksah zu der Tür, die auf die Plattform hinausführte, hatte er das Empfinden, direkt in ein aufgerissenes steinernes Maul zu blicken. Vielleicht war der Vergleich nicht einmal so falsch, dachte er. Irgendwie war diese Burg viel mehr als ein gemauertes Gebäude. Sie war ein gewaltiges, steinernes Ungeheuer, das sie alle längst verschlungen hatte und ihnen nur noch vorgaukelte, am Leben und frei zu sein, während sie sich in Wahrheit nur noch in seinen Eingeweiden bewegten und aufs Verdautwerden warteten; gefressen waren sie schon.

Unruhig überquerte er zum -zigsten Male an diesem Abend den Turm und blickte auf die Ebene auf der anderen Seite der Burg hinab. Die hereinbrechende Dämmerung hatte sich über das Satai-Heer gelegt; jenseits des Flusses erstreckte sich nur noch Schwärze, in der stecknadelkopfgroße Lichter wie heruntergefallene Sterne blinzelten - die Feuer der Satai und Veden, die wenige Meilen vor der Burg zum letzten Mal ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Es waren erstaunlich wenige, dachte Skar. Nur ein paar hundert, bei einem Heer von zwanzigtausend Mann und fast doppelt so vielen Tieren.

Wie zum Ausgleich war das andere Ufer des Flusses fast taghell erleuchtet, so gut, daß er trotz der großen Entfernung die einzelnen Gestalten der Quorrl erkennen konnte, die sich dort bewegten.

Als hätte er noch nicht genug Sorgen, fragte er sich, was wohl geschehen würde, morgen, wenn das Heer herankam und auf die vierzigtausend Quorrl-Krieger traf, die dort unten lagerten. Er verscheuchte den Gedanken.

»Glaubst du wirklich, daß er kommt?«

Skar drehte sich von der Brüstung ab und sah Kiina an. Sie hatten wenig gesprochen in den Stunden, die sie hier oben verbracht hatten; einfach, weil es nichts mehr zu reden gab. Sie wußten beide, daß die Falle bereits zugeschnappt war. Sie konnten nur noch warten. Es dauerte Sekunden, bis Skar klar wurde, was Kiina überhaupt meinte - ihre Frage knüpfte an eine Bemerkung an, die er vor vielleicht einer halben Stunde gemacht hatte; daß er nämlich darauf hoffte, Titch würde erfahren, was hier passiert war, und kommen.

»Ich weiß es nicht«, gestand er. Und er wußte nicht einmal, ob er wirklich auf die Hilfe des Quorrl hoffen sollte. Daß Titch ihm seine geheimsten Gedanken offenbart hatte, mußte nicht unbedingt bedeuten, daß er ihm auch trauen konnte. Ganz und gar nicht.

»Ich weiß es nicht«, wiederholte er noch einmal und fügte hinzu: »Wir könnten fliehen. Der Turm ist hoch, aber es ist nicht unmöglich, an der Wand hinunterzusteigen und die Mauer zu erreichen.«

Kiina überlegte einen Moment. »Für dich«, gab sie zu bedenken. »Für mich schon, Satai. Und du willst auch nicht wirklich fliehen, oder?«

Nein, das wollte er nicht. Er konnte all diese Männer nicht im Stich lassen. Er konnte Del nicht im Stich lassen, trotz allem. »Ich habe Angst«, sagte Kiina plötzlich.

Skar wollte ihre Bemerkung mit einer Handbewegung abtun - aber dann nahm er sie statt dessen in die Arme und drückte sie behutsam an sich. Sie zitterte ganz leicht, und ihr Atem strich heiß über seinen Hals. »Ich auch«, gestand er. »Aber es gibt nichts, was wir noch tun könnten.«

»Es ist genau wie in Elay«, flüsterte Kiina. »Dort begann es ganz genau so. Freunde wurden zu Feinden, und Mütter bekämpften ihre Töchter.« Sie löste sich aus seiner Umarmung und sah ihm von unten her ins Gesicht. Wieder fiel Skar auf, wie ähnlich sie ihrer Mutter war; und nicht nur äußerlich. Sie hatte Angst, sie war fast wahnsinnig vor Angst, aber trotzdem war sie stark. Ganz egal, was geschah, dieses Mädchen würde nicht aufgeben. »Aber dort gab es keinen, der uns hätte warnen können«, fügte sie nach kurzer Pause hinzu.

»Es hätte nichts genutzt«, antwortete Skar traurig. »Du hast Del erlebt.«

»Das habe ich.« Kiina nickte. »Ich verstehe nicht, wie ihr einmal Freunde gewesen sein könnt, Skar.«

»Wir sind es noch«, erwiderte Skar. »Das war nicht Del, der uns gefangengenommen hat, Kindchen. Er ist nicht verantwortlich für das, was er tut. Es ist dieser Ort. Etwas hier will nicht, daß wir gehen.«

»Es ist wie ein Spinnennetz«, verglich Kiina. »Du kannst strampeln, so sehr du willst, aber du verstrickst dich immer tiefer in seine Maschen. Ich habe Angst.«

Skar lächelte. »Uns wird nichts geschehen«, beruhigte er sie. »Heute noch nicht.« Er deutete auf die Lichtpunkte des Satai-Heeres weit draußen in der Ebene. »Es will sie. Es wird warten, bis sie alle hier sind.«

»Und wenn nicht?«

»Wer immer diese Falle aufgebaut hat, wäre ziemlich dumm, sie jetzt schon zuschnappen zu lassen«, erwiderte Skar überzeugt. »Wir sind nur fünfhundert, hier in der Burg. Ein Nichts gegen das Heer dort draußen. Nein -« Er schüttelte noch einmal und sehr überzeugt den Kopf. »- noch sind wir sicher. Und wenn ich hier heraus könnte, dann könnte ich vielleicht sogar etwas tun. Ich weiß nur nicht genau, was«, fügte er mit einem verlegenen Lächeln hinzu. »Vielleicht die Burg anzünden.«

Tatsächlich hatte er kurz mit diesem Gedanken gespielt. Es war irgendwo hier drinnen, vielleicht überall, und es würde ihnen nichts mehr antun können, sobald sie die Burg verlassen hatten. Aber die Festung war einfach zu groß, als daß ein einzelner Mann ihr nennenswerten Schaden zufügen konnte. Und sie war massiv erbaut, einzig und allein aus Stein, der bekanntlich nicht besonders gut brannte.

Aber ihm waren auch noch andere, kaum weniger verrückte Gedanken durch den Kopf geschossen, die eigentlich allesamt nur eines gemeinsam hatten: Sie waren undurchführbar. Er zweifelte nicht daran, daß er mit Gewalt ausbrechen konnte, wenn es wirklich sein mußte, und auch Del mußte wissen, daß ihn die vier Mann, die er zu seiner und Kiinas Bewachung unter der Treppe zurückgelassen hatte, nicht wirklich aufhalten konnten. Aber wenn er sich seinen Weg aus diesem Turm heraus erkämpfte, dann würde er damit genau das tun, was seine Feinde von ihm erwarteten. Nein, dachte er: Del - beziehungsweise die Macht, die sich seiner bediente - hatte ihn gründlich außer Gefecht gesetzt.

»Was ist das?« fragte Kiina plötzlich.

Skar schrak aus seinen Gedanken hoch und folgte Kiinas Blick. Sie sah an ihm vorbei zum Fluß hinab, auf das Lager der Quorrl, und auch Skar erkannte sofort, daß sich dort etwas verändert hatte - er wußte nicht was, aber das undurchschaubare Muster aus grün und graugeschuppten Gestalten und behäbiger Bewegung hatte sich irgendwie... verändert.