Die Tür wurde aufgestoßen, und Torian kam zurück. In seiner Begleitung befand sich ein grauhaariger, vielleicht sechzigjähriger Mann mittlerer Größe und Statur, der wie der Hethmann einen scharlachroten Mantel trug, darunter jedoch keinen gepanzerten Harnisch, sondern eine gold- und silberbestickte Robe mit hohem Kragen, der unter sein Kinn drückte. Seine Hände staken in dünnen, ebenfalls goldfarbenen Handschuhen, und an seiner Seite hing ein dünnes Prachtschwert, nur zur Zierde, nicht zum Kämpfen gedacht.
Skar betrachtete das Gesicht des Ältesten genau, während Torian eine herrische Handbewegung machte. »Das ist Jamaß«, stellte er den Veden vor. »Und das da sind die Hohen Satai Del und Skar. Sie glauben, daß der Gefangene dich belogen hat, Jamaß.«
Der Älteste lächelte sanft, aber seine Augen blieben ernst, und etwas war in ihrem Blick, was Skar schaudern ließ. Er wußte, daß Jamaß nicht wirklich ein Zauberer war; ebensowenig, wie Bradburn einer gewesen war, oder Drask. Aber ebenso wie diese beiden war er ein Mann von großer Macht und noch größerem Wissen, dessen Fähigkeiten sicherlich ausreichten, den Eindruck echter Zauberei zu erwecken. Skar begann sich unter seinem Blick beinahe sofort unwohl zu fühlen. Er fragte sich, ob Jamaß seine Gedanken lesen konnte, wie Drask.
»Niemand kann mich belügen, Satai«, stellte Jamaß nach einer Weile fest. Seine Stimme war leise und angenehm, und er sprach mit der Ruhe eines Mannes, der den Geheimnissen der Schöpfung ein gutes Stück weiter auf die Spur gekommen war als die meisten anderen und wußte, wie wenig menschliches Tun und Hasten bedeutete. »Weißt du das nicht?«
»Man sagt es«, antwortete Skar ausweichend. »Aber man sagt auch, daß niemand eine Errish zwingen kann, Dinge zu tun, die sie nicht tun will. Oder einen Quorrl.«
Jamaß sah ihn fragend an, schwieg.
»Ihr seid getäuscht worden«, erklärte Del gepreßt. »Die Quorrl, die euch angriffen, gehörten nicht zu Titchs Heer. Und es gab auch niemals den Plan, euch und uns anzugreifen.« Jamaß lächelte, aber jetzt wirkte es ein ganz kleines bißchen unsicher. »Der gefangene Quorrl, den ich verhörte, behauptete das Gegenteil«, betonte er. »Und er hat nicht gelogen, Satai.«
»Natürlich nicht«, antwortete Del zornig. »Weil er nämlich glaubte, daß es so wäre. Weil ihn etwas gezwungen hat, das zu glauben. Begreifst du denn nicht, daß man euch getäuscht hat?«
»Du begreifst nicht, daß man mich nicht täuschen kann«, antwortete Jamaß, noch immer in seiner ruhigen, Skar allmählich auf die Nerven fallenden Art. Er lächelte. »Ihr seid es, die genarrt wurden, Satai. Die Quorrl haben sich in euer Vertrauen geschlichen, und ihr wollt einfach nicht zugeben, daß euch ein solcher Irrtum unterlaufen konnte.«
»Jamaß hat recht«, mischte sich Torian ein. »Zum Teufel, ich habe die Drachen gesehen, die hinter unserem Lager auf der Lauer lagen, Satai! Hör endlich auf, dieses widerwärtige Quorrl-Pack zu verteidigen! Sie schlachten dort draußen meine Leute ab, und du behauptest, sie wären unsere Verbündeten?« Skar ging langsam auf Torian und den Ältesten zu. Der Hethmann war voll und ganz damit beschäftigt, Del anzufunkeln, aber Jamaß' Blick folgte aufmerksam jeder seiner Bewegungen. Skar fühlte sich unsicher, aber gleichzeitig auch irgendwie alarmiert. Etwas an Jamaß war nicht so, wie er erwartet hatte. Er glaubte eine Feindseligkeit zu spüren, die über den uralten Zwist zwischen Veden und Satai hinausging, und ein Lauern, das nicht zu einem wissenden Mann wie ihm passen wollte. Er hörte kaum zu, wie Del antwortete und Torian und er sich weiterstritten, sondern ging dicht an Jamaß vorbei, tat so, als würde er einen Blick aus dem Fenster werfen und drehte sich dann wieder herum.
Jamaß vollzog die Bewegung nach, aber den Bruchteil einer Sekunde langsamer als er. Und für einen winzigen Augenblick glaubte Skar etwas Dunkles, Glitzerndes zu erkennen, das aus seinem Nackenhaar kroch und im hohen goldbestickten Kragen seiner Zaubererrobe verschwand. Er mußte sich mit aller Macht beherrschen, um ein erschrockenes Zusammenzucken zu unterdrücken.
Jamaß sah ihn an. Er runzelte die Stirn, und Skar fragte sich, ob er sein Erschrecken bemerkt hatte. Etwas Dunkles, Fremdes, glomm in seinen Augen auf. »Was hast du, Satai?« fragte er. Er hatte es gemerkt.
»Nichts«, antwortete Skar ausweichend. »Ich... ich frage mich nur, wie es diesem Quorrl gelingen konnte, einen Mann wie dich zu täuschen, Jamaß.«
»Das hat er nicht«, widersprach der Vede. »Ich verlange nicht von dir, daß du mir glaubst. Warte einfach ab, bis die Quorrl diese Festung stürmen und uns alle niedermachen, dann wirst du erkennen, wer recht hat.«
»Der Gedanke scheint dich nicht besonders zu stören«, meinte Skar.
Jamaß lächelte kalt. »Doch«, gab er zu. »Aber wir Veden haben eine andere Einstellung zum Tod als ihr. Es spielt keine Rolle, wie lange man lebt, Satai. Wichtig ist nur, wie du gelebt hast.«
»Ja«, bestätigte Skar und fügte im gleichen, fast beiläufigen Ton hinzu: »Sag, Jamaß - warst du mit dem Gefangenen allein?«
»Was soll diese Frage?« schnauzte Torian.
»Und hast du ihn berührt?« fuhr Skar unbeirrt fort, noch immer an den Ältesten gewandt. Jamaß antwortete auch jetzt nicht, aber in seinem Blick war etwas Neues. Er wirkte alarmiert. »Ich frage dich noch einmal - was soll das?« herrschte Torian ihn an. Er ließ Del einfach stehen und versuchte, sich zwischen Skar und Jamaß zu schieben.
Es blieb bei dem Versuch. Skar versetzte ihm einen Stoß, der ihn zurück und direkt in Dels Arme taumeln ließ. In der gleichen Bewegung zog er sein Schwert und richtete die Spitze auf Jamaßens Gesicht. Torian begann vor Wut zu brüllen, aber Del hatte verstanden, was Skars Frage bedeutete, und so schnell und wortlos reagiert, wie er es gewohnt war - der Vede zappelte in seinem Griff wie ein Kind in den Fäusten eines Riesen.
Auf Jamaß' Zügen war keine Furcht zu sehen. Ruhig, ja beinahe spöttisch, blickte er Skar an.
»Zieh den Mantel aus«, befahl Skar.
Jamaß zögerte, hob dann langsam die Hände und löste die goldene Spange, die das Kleidungsstück hielt, als Skar seiner Aufforderung mit einem sanften Schwertstoß Nachdruck verlieh. »Und jetzt?« fragte er ruhig.
Statt einer direkten Antwort senkte Skar das Tschekal um eine Winzigkeit und schlitzte mit der rasiermesserscharfen Klinge die goldbestickte Robe des Ältesten von der Schulter bis zur Hüfte auf. Torian kreischte, als würde ihm ein glühender Dolch in den Leib getrieben - und verstummte mit einem fast absurden, würgenden Geräusch, als sein Blick auf das fiel, was unter dem zerschnittenen Zauberergewand zum Vorschein kam.
»Großer Gott!« stöhnte Del.
Skar war nicht überrascht. Er war nicht einmal sehr erschrocken. Alles, was er fühlte, war eine tiefe Niedergeschlagenheit, eine mit Hilflosigkeit gepaarte Wut, die durch Jamaß' herablassendes Lächeln noch geschürt wurde.
»Es nützt euch nichts mehr«, triumphierte Jamaß - das Ding, das wie Jamaß aussah und sich seiner Stimme und seines Körpers bediente.
Skar versetzte ihm einen Stoß mit dem Schwert, der ihn gegen die Tür prallen ließ. Einen Moment lang kämpfte er mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht, und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Aber das Lächeln auf seinen Zügen erlosch nicht. »Ihr habt verloren, Satai«, fuhr er fort. »Niemand kann uns besiegen. Ihr hattet schon verloren, bevor ihr angefangen habt, gegen uns zu kämpfen.«