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21.

Es dauerte vier Stunden, bis die letzten Überlebenden des Satai-Heeres durch das Tor getaumelt waren, verfolgt von einer lebenden Lawine aus grüngeschuppten Quorrl, die sich selbst durch den wütenden Hagel aus Pfeilen und Bolzen kaum zurückhalten ließen, mit denen Dels Schützen sie überschütteten. Und es waren entsetzlich wenige.

Skar hatte ununterbrochen versucht, Titch zu erreichen: Er hatte seinen Namen in die Nacht hinausgebrüllt, so laut er nur konnte, hatte Leuchtsignale und Spiegelbotschaften auf das Quorrl-Heer hinabgesandt, und er hätte auch Boten zu Titch geschickt, hätten die Männer nur eine Chance gehabt, nicht von ihren eigenen Kameraden überranm zu werden, die in blinder Panik den schmalen Pfad zum Tor hinaufdrängten. Schließlich hatte er Befehl gegeben, eine Strickleiter auf der dem Heer abgewandten Seite der Burgmauer herunterzulassen, um auf diese Weise die Burg zu verlassen. Einer der Männer, welche die Leiter befestigen sollten, war mit einem Pfeil im Hals gestorben, bevor sie den Belagerungsring entdeckten, den die Quorrl rings um die Burg aufgerichtet hatten.

So blieb ihm nichts anderes übrig, als hilflos zuzusehen, wie das sinnlose Töten weiterging. Es war genauso gekommen, wie er befürchtet hatte: Nachdem sich die Quorrl von ihrer ersten Überraschung erholt und zu wirksamem Widerstand zusammengeschlossen hatten, waren sie dazu übergegangen, Torians Krieger einfach niederzuwalzen, nur durch ihre pure Übermacht. Skar schätzte, daß nicht mehr als zwei Drittel des Heeres die Flucht in die Sicherheit der Burg gelungen war, und von denen, die entkamen, war kaum einer unverletzt. Es war weniger der Kriegskunst der Satai zuzuschreiben, daß wenigstens diese Männer überlebten, als vielmehr der simplen Tatsache, daß die Quorrl auf dem schmalen gewundenen Pfad zur Burg hinauf gar nicht so schnell vorrücken konnten, wie sie die Flüchtenden niedermetzelten. Das Gefühl der Hilflosigkeit, mit dem er alles mit ansehen mußte, brachte ihn fast um den Verstand.

»Du willst wirklich dort hinunter?«

Skar löste seinen Blick von der lebenden Mauer aus schuppigen Leibern, die nur widerwillig unter dem Hagel aus Pfeilen und brennenden Wurfgeschossen zurückwich, der sich von der Mauerkrone herab auf sie ergoß, drehte sich zu Kiina um und sah ihr ernst in die Augen. Er wußte, daß er eigentlich nicht einmal Zeit für diese wenigen Worte hatte - die Quorrl würden ihnen keine Gelegenheit lassen, sich zu erholen und neue Kräfte zu schöpfen. Skar war im Grunde sogar erstaunt darüber, daß sie nicht sofort angegriffen hatten, um die Mauer und ihre Besatzung einfach zu überrennen, wie sie es schon einmal getan hatten. Aber vielleicht ahnte Titch, daß hier irgend etwas ganz und gar nicht so war, wie es schien. Quorrl oder nicht. Titch war ein sehr intelligenter Mann. Der scheinbar so sinnlose Angriff der Satai und Veden mußte ihn maßlos verwirrt haben.

»Es ist unsere einzige Chance«, erklärte er.

»Sie werden dich in Stücke reißen«, warnte Kiina voll Sorge. »Du wirst nicht einmal aus dem Tor herauskommen, Skar.«

»Vielleicht«, gab Skar zu. »Wahrscheinlich sogar. Aber dann sterbe ich nur kurze Zeit vor euch allen.«

»Unsinn!« widersprach Kiina erregt. »Wir sind drinnen, und sie sind draußen, oder? Wir können uns wochenlang halten und auf Verstärkung warten!«

»Verstärkung?« Skar lachte leise, aber nicht besonders humorvoll. Er trat an Kiina vorbei und beugte sich aus dem Fenster, um zu Del herabzusehen, der seines und die beiden Packpferde bereits vor das Tor geführt hatte. Auf den Rücken der beiden überzähligen Pferde lagen zwei große, in dunkle Zeltplanen eingehüllte Körper. Mehr als zwei Dutzend bewaffneter Männer bildeten einen dichtgestaffelten Kordon rings um sie herum, um zu verhindern, daß jemand einen Blick unter die Plane warf und erkannte, welche Last die beiden Pferde trugen. Außer Del, ihm selbst und den beiden Kriegern, die ihnen geholfen hatten, Torians und Jamaßens Leichen aus dem zerfallenen Netz herauszuschneiden und in die Zeltplanen zu hüllen, wußte niemand, was die beiden Bündel enthielten. Nicht einmal Kiina. Skar war der Meinung gewesen, daß sie genug mit Titchs Quorrl zu tun hatten. Sie brauchten nicht noch zwanzigtausend Satai und Veden, die in Panik gerieten. Er hob die Hand, um Del anzudeuten, daß er gleich käme, und wandte sich wieder zu Kiina um.

»Verstärkung?« fragte er noch einmal. »Woher denn? Diese Männer hier sind alles, was wir haben. Und was sie gegen die Quorrl ausrichten können, hast du ja gesehen. Außerdem haben wir nicht die Zeit, von der du sprichst. Titch wird keinen Tag brauchen, diese Burg zu stürmen. Er hat es schon einmal getan.«

»Unter deiner Führung, ja«, antwortete Kiina. »Und gegen Drasks lächerliche fünf- oder sechshundert Krieger. Jetzt -«

»Es reicht«, schnitt ihr Skar scharf das Wort ab, und zu seiner Überraschung verstummte Kiina tatsächlich. Plötzlich begriff er, daß es nur Angst gewesen war, die sie zu ihren Äußerungen verleitet hatte. Er hob die Hand, strich ihr fast zärtlich über das Haar und schob sie dann mit sanfter Gewalt aus dem Weg. Sie versuchte, sich an ihn zu klammern, aber damit hatte er gerechnet, und diesmal ließ er es nicht zu. Er winkte einen der Posten herbei und gab ihm mit Gesten zu verstehen, das Mädchen festzuhalten.

»Laß mich nicht allein, Skar!« schrie Kiina. »Bitte!«

Skar ging bis zur Tür, drehte sich noch einmal um und lächelte ihr zum Abschied zu. »Du kannst sie loslassen, sobald ich fort bin«, wies er den Mann an, der das zappelnde Mädchen mit sichtlicher Anstrengung festhielt. »Aber gib acht, daß sie keinen Unsinn macht. Ich werde versuchen wiederzukommen.«

Und damit wandte er sich um und rannte fast aus dem Zimmer. Als er auf den Hof hinaustrat, fand er Del bei dem, was in den letzten Wochen seine Lieblingsbeschäftigung geworden zu sein schien: Er stritt lautstark mit drei Männern, von denen einer den schwarzen Mantel der Satai und zwei andere das Scharlachrot der Veden trugen. Skar konnte nicht verstehen, worum es ging, aber er hatte die drei vorhin schon einmal gesehen, zusammen mit einem Dutzend anderen Unterführern des Heeres in Dels Thronkammer, und sie waren da genauso wütend gewesen wie jetzt. Vielleicht, überlegte er spöttisch, nahmen sie es Del immer noch übel, daß er von ihnen verlangt hatte, sich bis auf die Haut auszuziehen, bevor sie ihm gegenübertraten.

Er verscheuchte den Gedanken, trat neben Del und sah ihn und die drei Hauptleute der Reihe nach fragend an. »Was ist los?«

»Wir sind dagegen!« antwortete einer der Veden.

»Wogegen?« fragte Skar. »Gegen etwas Bestimmtes, oder prinzipiell gegen alles?«

Das Gesicht des schwarzhaarigen Veden verdüsterte sich. »Jetzt ist kaum der richtige Moment für alberne Wortspielereien, Satai«, sagte er betont. »Was du vorhast, ist Wahnsinn! Du willst hinuntergehen und mit diesen Tieren verhandeln?«

»Hast du eine bessere Idee?« fragte Skar.

»Verdammt, es sind Quorrl!« schrie der Mann. »Niemand verhandelt mit Quorrl! Du hast gesehen, was passiert, wenn man versucht, sich mit diesen Bestien zu verbünden!«

»Ich habe nichts gesehen«, antwortete Skar. »Ich habe nur gesehen, wie ihr die Quorrl angegriffen habt. Und ich habe gesehen, wie ihr vor ihnen geflohen seid.«

»Schluß jetzt!« befahl Del scharf. »Skar geht, das ist entschieden.«