Und hindurch. Der Ansturm der Schuppenkrieger verlor nicht einmal an Schwung.
»Bogenschützen!« befahl Del. »Jetzt!«
Auch auf der Mauer begannen die Sehnen mit ihrem peitschenden Lied, als die Spitze des Quorrl-Heeres in Reichweite war. Die vorderste Reihe der Quorrl fiel komplett, jeder einzelne Krieger von drei, vier, fünf Geschossen gleichzeitig getroffen, und auch die unmittelbar dahinter Vordringenden überlebten ihre Kameraden kaum um Sekunden. Dels Satai - und vor allem Torians Veden, wie Skar feststellte - schossen mit unheimlicher Präzision. Die dritte und vierte Kampfreihe der Quorrl mußte über die Leiber ihrer gefallenen Kameraden hinwegsteigen, ehe auch sie in den tödlichen Hagel geriet und starb.
Die Quorrl stürmten weiter.
Skar hob die linke Hand, spreizte die Finger, ballte sie ganz langsam zur Faust - und ließ den Arm ruckartig fallen. Fünfzig Manneslängen über ihm, auf den Plattformen der beiden Türme, erschollen helle, peitschende Laute, als sich die Katapulte entluden. Ein halbes Dutzend unförmiger dunkler Geschosse torkelte über den Hof hinweg, dünne zerrissene Bahnen aus grauem Rauch und Funken hinter sich herziehend.
Einer der Säcke explodierte zwanzig Meter über den Köpfen der Quorrl und überschüttete sie mit brennendem Öl, während die anderen inmitten ihrer Reihen aufschlugen und auseinanderplatzten, ehe die Flüssigkeit Feuer fing. Fast ein Drittel der Quorrl-Front verschwand hinter einem brüllenden Vorhang aus Feuer.
Die Quorrl rasten weiter.
Skar sah, daß viele von ihnen verwundet waren. Manche brannten lichterloh, aber sie stürmten weiter, schreiend vor Schmerz und Wut, aber unaufhaltsam wie lodernde Dämonen, bis sie schließlich zusammenbrachen. Und hinter ihnen kamen immer mehr und mehr und mehr Quorrl herangestürmt.
Skar löste seinen Blick kurz von dem Kampfgeschehen und versuchte, durch Flammen und Rauch hindurch einen Blick zum Fluß hinunter zu werfen. Dort unten begann sich der zweite Quader aus grünen Schuppen aufzulösen und zu einer Schlange zu formieren. Er war doppelt so groß wie der erste. Sie hatten keine Chance.
Dann erreichten die ersten Quorrl die Mauer. Tief unter Skars Füßen dröhnte das bronzene Tor wie eine gewaltige Glocke, als die Krieger dagegenprallten, und von einem Augenblick auf den anderen löste sich der Heereszug der Quorrl vollends auf; das Plateau vor dem Tor verwandelte sich in einen tobenden Hexenkessel aus schuppiger grüner Bewegung und Schreien und Waffengeklirr. Ein zweiter, noch härterer Stoß ließ das Tor erzittern, als die Krieger ihre mitgebrachten Rammen einsetzten, um es aufzusprengen, und plötzlich erhob sich ein ganzes Gewirr von Sturmleitern und langen, mit Steighaken versehenen Balken an der Mauer. Die grüne Flut brandete gegen den Fuß der Mauer und begann zu steigen. Skar sah, daß sich etliche Quorrl anschickten, an der Wand hinaufzuklettern, so schnell, daß man den Eindruck haben konnte, sie liefen einfach an ihr in die Höhe. Kochendes Pech und breite Ströme aus geschmolzenem Blei ergossen sich von der Mauerkrone auf die Angreifer hinab, aber nicht einmal das vermochte sie wirklich aufzuhalten.
Nur eine Armeslänge neben Skar erschien plötzlich das Ende einer hastig zusammengezimmerten Leiter über der Brüstung. Skar griff sich eine der Stangen, die für diesen Zweck bereitstanden, spreizte die Beine und versuchte, die Leiter von der Wand wegzustoßen, aber sie war zu schwer. Zwei, drei weitere Krieger sprangen ihm zu Hilfe, aber selbst mit vereinten Kräften gelang es ihnen kaum, die Leiter umzuwerfen. Und sie hatten es kaum geschafft, da prallte eine zweite, dritte und vierte Kletterstange gegen die Wand. Plötzlich waren da schuppige, flache grüne Gesichter unter wuchtigen Lederhelmen. Der Mann neben Skar brach mit einem gefiederten Bolzen in der Schläfe zusammen. Etwas flog wirbelnd und sich ununterbrochen überschlagend auf Skar zu, prallte von seinem Harnisch ab und brachte ihn für Augenblicke aus dem Gleichgewicht. Für eine Sekunde drohte er die Orientierung zu verlieren, nahm nur noch wirbelnde schattenhafte Bewegung und den apokalyptischen Lärm der Schlacht wahr. Jemand schlug nach ihm. Skar parierte den Schwerthieb blind, stach den Angreifer nieder und setzte mit einem Sprung über den zusammenbrechenden Quorrl hinweg. Del schrie irgend etwas; Worte, die ihm galten, denn er hörte seinen Namen selbst über den Lärm des Kampfes hinweg, aber ihm blieb keine Zeit, darauf zu reagieren, denn plötzlich war die Mauer voller riesenhafter grüner Krieger, tobende Kolosse, die wie aus dem Nichts aufzutauchen schienen und auf die Verteidiger eindrangen.
Vor Skar ragten plötzlich gleich drei der grüngrauen Giganten in die Höhe, das Gesicht des einen zerstört, von einer tödlichen Wunde gezeichnet, die ihn trotzdem nicht daran hinderte weiterzukämpfen, solange noch Leben in ihm war.
Skar duckte sich unter einem fürchterlichen Schwerthieb des ersten Quorrl hinweg, führte seine eigene Klinge schräg und blitzartig nach oben und zerschmetterte die Waffe des Quorrl; samt der Hand, die sie hielt. Der Quorrl taumelte zurück. Skar setzte ihm nach, packte sein Tschekal mit beiden Händen und schwang die Klinge zu einem wütenden, mit aller Gewalt geführten Hieb. Sein Schwert spaltete den Schild des zweiten Angreifers, prallte federnd zurück und grub noch in der gleichen Bewegung eine tiefe, blutige Furche in die Brust eines weiteren Quorrl. Etwas traf seinen Harnisch. Eine riesige, dreifingrige Klaue krallte sich in seinen Arm und versuchte ihn zurückzuzerren, aber Skar stemmte sich nicht gegen die Bewegung, sondern sprang im Gegenteil auf den Quorrl zu, rammte ihm die Schulter in den Leib und drehte sich dann blitzschnell zur Seite. Der Quorrl taumelte. Skar ließ sein Schwert fallen, packte den sieben Fuß großen Giganten mit beiden Händen an den Unterarmen und ließ sich selbst nach hinten kippen. Der Quorrl keuchte vor Überraschung, als er plötzlich den Boden unter den Füßen verlor und in hohem Bogen über Skar hinwegflog. Eine halbe Sekunde später durchbrach er die hölzerne Brüstung auf der Innenseite des Wehrganges und stürzte schreiend in den Hof hinab. Skar rollte herum, riß seine Waffe wieder an sich und streckte noch im Aufspringen einen weiteren Quorrl nieder.
Es war ein Alptraum. Der Kampf dauerte nur wenige Minuten, aber Skar konnte sich nicht erinnern, jemals inmitten eines solch unerbittlichen Ringens gestanden zu sein. Er begriff plötzlich, was Titch gemeint hatte, als er sagte, alle seine Krieger wären bereits tot, denn die Quorrl griffen erbarmungslos an, mit der Rücksichtslosigkeit von Maschinen, die keine Furcht, keinen Schmerz und keinen Tod kannten. Der Kampf wogte mit entsetzlicher Verbissenheit hin und her, und mehr als nur einmal war Skar davon überzeugt, daß sie bereits diesem ersten Ansturm erliegen würden. Es war gar kein wirklicher Kampf, sondern bald nur noch ein blindwütiges Gemetzel. Die Zahl der Quorrl schien kein Ende zu nehmen. Egal, wie viele sie erschlugen, es tauchten immer neue und neue Gegner über der Mauerkrone auf. Die Pech- und Bleikessel waren längst geleert oder ihre Besatzung erschlagen, und wahrscheinlich war der einzige Grund, warum sie dem Ansturm der Barbarenkrieger überhaupt noch widerstanden, der, daß gar nicht so viele Quorrl auf den schmalen Wehrgang paßten, wie von unten heraufdrängten. Mehr und mehr Verteidiger fielen, und für jeden getöteten Satai oder Veden tauchten drei Quorrl über der Mauerkrone auf. Skar sah Del unweit von sich inmitten der grünen Giganten, einen schreienden Riesen, der in seiner blutbesudelten Rüstung wie ein leibhaftiger Rachedämon wirkte, der unter die Quorrl gefahren war, und auch er selbst kämpfte wie ein Berserker; er focht längst nicht mehr, sondern schlug und hackte und stach nur noch blind auf die heran wogende Flut grüner Schuppen ein. Vor und neben und hinter ihm starben Männer und Quorrl, und auch er selbst wurde getroffen, aber er spürte keinen Schmerz, keine Schwäche. Und irgendwie schafften sie es. Skar wußte hinterher selbst nicht mehr, wie es ihnen gelungen war, und wie lange es gedauert hatte, aber irgendwann wurde der Strom grüner Giganten schwächer, der über die Mauer flutete. Und dann, von einer Sekunde auf die andere, hörte es auf. Ein letzter Quorrl erschien links von ihm zwischen den Zinnen, riß sein Schwert hoch und starb, von einer geschleuderten Lanze durchbohrt. Aber als sein Todesschrei verhallt war, breitete sich eine fast unheimliche Ruhe über der Burg aus. Es war vorbei.