Aber er bezweifelte ohnehin, daß er ihn noch erreichte. Der Abstand zwischen den drei Panzerechsen und dem grünen Läufer schmolz jetzt zusehends, und die beiden Daktylen stießen immer öfter auf den Fliehenden herab. Skar erkannte nun, daß auch auf dem Rücken des zweiten Drachenvogels ein Reiter saß; groß und dunkel und irgendwie mißgestaltet, ohne daß er genau sagen konnte, was es war, das an seiner Erscheinung einfach nicht stimmte.
Er kam auch nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn in diesem Augenblick entdeckte ihn der Reiter der zweiten Daktyle - und Skar sah, wie er sein bizarres Reittier mit unglaublicher Schnelligkeit herumzerrte und die Daktyle erschrocken die Schwingen ausbreitete; eine fünfzehn Meter messende Pfeilspitze aus Lederhaut und Knochen, die mit einem wütenden Schrei auf ihn herabstieß. Etwas blitzte in der Hand des Drachenreiters auf, und obwohl Skar nicht erkennen konnte, was es war, reagierte er ganz instinktiv, und ganz instinktiv richtig. Mit einem Ruck, der sein Pferd vor Schmerz und Schrecken aufschreien ließ, riß er das Tier in vollem Galopp herum und zur Seite, eine Sekunde, bevor neben ihm eine grelle Lichtnadel in den Boden stach und unter dem Schnee einen Vulkan zur Explosion brachte. Eine weißorangene Feuersäule, nicht dicker als sein Oberschenkel, aber zwanzig Meter hoch und heiß wie die Hölle, versengte den Schnee und schleuderte geschmolzenes Gestein und Flammen in den Himmel. Die Hitze streifte Skar wie eine glühende Hand. Sein Pferd kreischte vor Schmerz und stolperte, stürzte aber nicht, sondern fand im letzten Moment wieder Tritt und raste wie von Furien gehetzt weiter. Einen Augenblick später strich ein ungeheuerlicher Schatten über ihn hinweg, so dicht, daß er den scharfen Reptiliengeruch des Drachen spürte. Skar duckte sich ganz automatisch tiefer über den Hals des Pferdes. Wahrscheinlich war es diese Bewegung, die das Tier endgültig aus dem Gleichgewicht brachte. Es strauchelte, versuchte mit einem fast grotesken Hüpfer noch einmal auf die Beine zu kommen und stürzte vornüber. Skar wurde aus dem Sattel geschleudert; der Himmel und die weiße Ebene überschlugen sich drei-, vier-, fünfmal vor seinen Augen, ehe er selbst aufprallte und mit einem erstaunlich weichen Ruck zum Liegen kam.
Als er sich aufrichtete, waren die Drachen fast heran. Sie waren jetzt nahe genug, daß er das grüne Tier identifizieren konnte - einen Koloß von dreifacher Mannsgröße, der entfernt den schlanken Laufechsen ähnelte, die er bei seinem ersten Besuch in Elay kennengelernt hatte, nur daß er mehr als doppelt so gewaltig war. Mit seinen übergroßen, ungeheuer starken Hinterbeinen und dem lächerlich kleinen, runden Kopf, der auf einem meterlangen Schlangenhals pendelte, erinnerte er fast an einen Strauß, nur daß sein Leib von handgroßen grünen Schuppen bedeckt war und er keine Flügel hatte, dafür aber einen Schwanz, der fast so lang war wie sein ganzer Körper, und den er im Rennen steil erhoben hatte, um das Gleichgewicht zu halten. In seinem Nacken, die Beine hinter den winzigen Vorderärmchen des Drachen verhakt, saß eine Gestalt in einem erdbraunen Mantel. Skar konnte nur erkennen, daß es eine Frau war, deren langes blondes Haar von einem dünnen Stirnband zurückgehalten wurde, und daß sie von sehr schlankem, fast kindlichem Wuchs sein mußte. Er sprang auf, zog sein Schwert (angesichts des heranrasenden Berges aus Fleisch und Panzerplatten kam er sich dabei selbst fast lächerlich vor) und opferte eine weitere Sekunde dazu, auch die drei anderen Tiere genauer in Augenschein zu nehmen. Es waren Drachen von einer Art, wie er sie niemals zuvor gesehen hatte - sehr viel kleiner als die Rennechse, aber ungeheuer massig, und von schwer zu definierender Form: Ihre grauen Panzerplatten waren zu klumpigen Stachelgebilden verwachsen, zwischen denen die Gestalten ihrer Reiter wie aufgespießte Riesenkäfer aussahen. Ihr Laufen hatte nichts mit dem eleganten Gleiten der Rennechse gemein. Sie wirkten wie lebende Mauerrammen, die einfach alles niederwalzten, was sich ihnen in den Weg stellte. Über ihm erscholl ein krächzender Schrei, und der Laut riß ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück. Er sah hoch, auf eine weitere Attacke gefaßt, aber diesmal war nicht er das Ziel des Angriffes. Die beiden Daktylen hatten sich geteilt - das Tier, das ihn gerade angegriffen hatte, schwenkte in einem engen Bogen herum und setzte zu einem neuen Sturzflug an, während der zweite Drachenvogel mit reglos ausgebreiteten Schwingen, aber sehr schnell, Dels Satai entgegenschoß. Hinter seinem häßlichen Hammerkopf blitzte es weiß und blendend auf, und ein dünnes Band aus Licht spannte sich für Sekundenbruchteile zwischen der Hand seines Reiters und einem Punkt irgendwo in dem heransprengenden Heer.
Er rannte los. Hinter ihm mischte sich orangeroter Feuerschein in das klare Licht des Morgens, und plötzlich übertönte ein ungeheures Dröhnen und Bersten das dumpfe Stakkato der Hufschläge; dann Schmerzens- und Angstschreie und der dumpfe Aufprall stürzender Körper. Skar widerstand der Versuchung, sich noch einmal umzusehen, und jagte im Zickzack auf die Laufechse zu. Auch die zweite Daktyle schoß jetzt wieder heran, aber Skar vermutete, daß er kein gutes Ziel bot: Er bewegte sich schnell und auf einem unberechenbaren Kurs, und Scanner waren zwar fürchterliche Waffen, aber schwer zu handhaben; vor allem vom Rücken eines bockenden Flugdrachen herab.
Der Abstand zwischen ihm und dem heranstampfenden Drachen schmolz jetzt rasend schnell, auch wenn das Tier viel von seiner natürlichen Eleganz verloren hatte; aus seinen federnden Sprüngen war ein ungeschicktes Hoppeln geworden, und bei jedem zweiten oder dritten Schritt taumelte es vor Erschöpfung. Seine Reiterin hatte Mühe, sich noch in seinem Nacken zu halten. Skar lief schneller, riß sein Schwert in die Höhe und begann hektisch damit zu winken. »Hierher!« schrie er mit vollem Stimmaufwand. »Zu mir!«
Er bezweifelte, daß die Errish seine Worte überhaupt hörte, denn das Stampfen der Drachen auf der einen und der fast zweihundert Pferde auf der anderen Seite war mittlerweile zu einem wahren Orkan aus Lärm angeschwollen; aber sie schien seine Bewegung zu bemerken. Ihr Kopf ruckte herum, und für einen Moment durchfuhr Skar ein eisiger Schrecken, als er erkannte, wie jung sie war. Großer Gott! dachte er. Das ist ein Kind! Das Mädchen war sechzehn, allerhöchstens achtzehn Jahre alt. Im Nacken der riesigen Echse sah sie aus wie ein lebendiges Spielzeug.
»Hierher!« schrie er noch einmal. »Zu den Reitern! Sie helfen dir!« Gleichzeitig schlug er einen Haken nach rechts, hetzte mit weit ausgreifenden Schritten an der Laufechse vorbei und direkt auf den ersten Verfolger zu. Etwas in ihm übernahm die Kontrolle über sein Handeln, ohne daß es seines bewußten Zutuns bedurfte. Die Drachen waren nicht einmal die schlimmste Gefahr - trotz ihrer Größe waren sie plump und schwerfällig, nicht annähernd so wendig wie ein Reiter oder gar ein Mann zu Fuß. Die Gefahr waren die Reiter, die auf ihren stacheligen Rücken saßen. Wenn sie mit denselben fürchterlichen Waffen ausgerüstet waren wie die Männer auf den Daktylen, konnte der nächste Schritt sein letzter sein ...
Der vorderste Drache walzte wie ein lebender Berg aus Stacheln und Panzerplatten auf ihn zu. Unter seinen gewaltigen Elefantenfüßen stob der Schnee in einer unablässigen Folge staubiger Explosionen in die Höhe, und Skar fühlte trotz der Entfernung den Boden unter seinen Füßen erzittern. Er versuchte, die Distanz abzuschätzen, die noch zwischen ihm und dem Ungeheuer lag, und die Zeit, die sie beide brauchten, um sie zu überwinden. Gleichzeitig sah er aus den Augenwinkeln, wie sich Dels Heer hinter ihm in Dutzende unterschiedlich großer Gruppen aufteilte, ein scheinbares Chaos, das trotzdem einem geordneten Plan folgte: Die Reiter bildeten eine gewaltige, doppelte Zange, die sich um die angreifenden Drachen schloß und gleichzeitig ihr Opfer von ihnen abschnitt. Vom Rücken der beiden Daktylen zuckten noch immer dünne weiße Fäden aus Licht herab, aber sie trafen jetzt kaum noch; es war ein Unterschied, blindlings in eine große Reitertruppe hineinzuhalten oder einen einzelnen, sich schnell bewegenden Mann zu treffen.