Dann war der Drache heran, zehnmal schneller, als er geglaubt hatte, und plötzlich kam er Skar gar nicht mehr klein und plump vor, sondern gigantisch, ein fünf Tonnen schwerer Koloß, der sich mit der Unaufhaltsamkeit einer Lawine heranwälzte und die Welt vor ihm von einem Ende zum anderen auszufüllen schien. Seine kleinen, pupillenlosen Augen musterten Skar voller stummer Wut, und darunter, absurd dicht darunter und absurd groß, klaffte plötzlich ein dunkelroter Schlitz in den Gewächsen aus Horn und Panzerplatten, in dem zwei Reihen gewaltiger Reißzähne blitzten. Skar begriff beinahe zu spät, daß dieses Ungeheuer kein stumpfsinniges Monster war, das nichts anderes konnte als Laufen und Niedertrampeln, sondern eine Bestie, die mindestens so intelligent wie ihre größeren Verwandten war, aber zehnmal so boshaft.
Im letzten Moment hechtete er zur Seite, überschlug sich zwei-, dreimal hintereinander im Schnee und verbarg den Kopf zwischen den Armen, als der Drache vorüberstampfte. Ein horngepanzerter Gigantenfuß krachte neben ihm in den Schnee, nicht durch Zufall oder im rasenden Rhythmus der Schritte, sondern in einem gezielten Tritt, mit dem ihn das Monster zermalmen wollte wie ein lästiges Insekt. Er fuhr hoch und herum, sah den stacheligen Schwanz der Drachenbestie auf sich zupfeifen - einen Schwanz, der halb so dicht wie deren eigener Körper mit halbmeterlangen hornigen Dornen bewachsen war -, brachte sich mit einem verzweifelten Hechtsprung in Sicherheit und sprang abermals hoch. Weniger als einen Meter hinter ihm spritzten Schnee und Erdreich unter dem Hieb dieser lebendigen Keule auseinander, aber für eine Sekunde hatte er Luft, denn das Ungeheuer rannte, vom Schwung seiner eigenen Masse einfach vorwärtsgerissen, noch ein gutes Stück weiter, ehe es seine fünf Tonnen Körpergewicht in eine Drehung zwang. Wie eine blitzartige Vision aus einem Alptraum sah er ein halbes Dutzend Quorrl-Krieger vorüberpreschen, die mit angelegten Lanzen auf einen zweiten Drachen zurasten.
Skar wartete nicht, bis das Ungeheuer die Wendung vollendet hatte und wieder heranstampfte, um dieses Mal vielleicht ein bißchen besser zu zielen. Mit zwei, drei gewaltigen Sätzen hetzte er hinter der Panzerechse her, warf sich mit einem gewaltigen Sprung nach vorne und bekam einen der armlangen Stachelfortsätze zu fassen, die aus seiner Flanke wuchsen. Der Drache brüllte auf wie unter Schmerzen, warf sich zur Seite und wieder zurück und begann schließlich zu bocken wie ein zu groß geratenes Pferd, aber Skar klammerte sich mit aller Macht fest. Er wurde mitgeschleift. Spitze Steine und Dornen unter der Schneedecke zerrissen seine Hose und hinterließen blutige Kratzer in seiner Haut, aber er biß die Zähne zusammen, versuchte sich an der Flanke des tobenden Ungeheuers in die Höhe zu ziehen und betete darum, daß der Drache nicht auf die Idee kam, sich einfach auf die Seite fallen zu lassen und ihn unter sich zu zerquetschen. So weit reichte die Intelligenz des Drachen denn doch nicht, aber dafür geschah etwas anderes: Über dem stacheligen Rücken des Ungeheuers erschien der gepanzerte Kopf seines Reiters, und plötzlich stieß eine lange eiserne Stange mit stumpfem Ende nach Skars Händen.
Der erste Hieb verfehlte ihn, aber er hinterließ einen langen, sehr tiefen Kratzer im eisenharten Horn des Drachenpanzers. Eine einzige, nur flüchtige Berührung dieser metallenen Stange mußte ihm einfach die Finger zerquetschen, das begriff Skar, und dann war es um ihn geschehen.
Er setzte alles auf eine Karte. Als die Stange das zweite Mal auf seine Hand herabstieß, versuchte er nicht, ihr auszuweichen, sondern griff im Gegenteil danach und zerrte mit aller Kraft daran.
Das Ergebnis überraschte ihn selbst. Er spürte nur für eine Sekunde Widerstand, dann erscholl über ihm ein halb verwunderter, halb zorniger Schrei, und plötzlich fiel die Eisenstange neben ihm in den Schnee; dicht gefolgt von ihrem Besitzer, der mit wild rudernden Armen einen grotesken Salto in der Luft schlug, ehe er in einer Explosion stiebenden Schnees verschwand. Skar sparte sich die Mühe, ihm nachzublicken, sondern griff hastig kräftiger zu, fand endlich auch mit dem Fuß festen Halt auf den Stacheln und begann, an der Flanke des drei Meter hohen Ungetümes emporzuklettern. Er brauchte nur wenige Augenblicke dazu, aber sie kosteten ihn jedes bißchen Kraft, das er hatte, denn der Drache tobte wie ein durchgehendes Pferd. Trotzdem blieb ihm noch Zeit, einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen. Was er sah, ließ ihn entsetzt aufstöhnen. Dels Angriff war gescheitert. Die Drachen hatten die dreifach gestaffelte Phalanx der Reiter einfach durchbrochen, wie eine Lawine einen Schutzzaun aus untauglichem Holz, und sie hatten einen entsetzlichen Blutzoll gefordert - Dutzende von toten oder verwundeten Kriegern lagen im Schnee oder flohen in heller Panik vor den tobenden Giganten, deren stahlharte Panzerung ihre Speere und Pfeile einfach abprallen ließ.
Dann hatte er die Krümmung des Drachenrückens erreicht und sah sich den anderen Reitern gegenüber.
Es waren zwei, wovon der eine mit weit gespreizten Beinen im Nacken des Drachen stand und sich mit der Hand an den hornigen Fortsätzen seiner Panzerung festhielt, während er mit der anderen an einem Zügel zerrte, mit dem er das außer Rand und Band geratene Tier zu beruhigen versuchte. Der zweite kroch, auf den Knien und beide Hände erhoben, direkt auf Skar zu. In seiner rechten Hand schimmerte das silberne Metall eines Scanners.
Es war wie ein Schlag in den Magen. Der Drachenreiter sah Skar direkt an, und im allerersten Moment glaubte Skar, dem Daij-Djan gegenüberzustehen. Ein Gefühl ungläubigen, lähmenden Entsetzens durchfuhr ihn, ehe er seinen Irrtum erkannte: Es war nicht der Daij-Djan, sondern ein ganz normaler Mensch, der lediglich in einer Rüstung steckte, die dem Äußeren der Sternenbestie nachgemacht war. Der Mann war schlank und nicht besonders groß, und von Kopf bis Fuß in einen Panzer aus einem mattschwarzen Material gehüllt, aus dem nur seine Hände herausragten, schlanke, in schwarzen Handschuhen steckende Hände, die sonderbar unpassend zu seiner übrigen Erscheinung wirkten. Auch der Helm war dem Nicht-Gesicht der Sternenbestie nachempfunden, ein glattes schwarzes Oval ohne erkennbare Konturen, in das zwei haarfeine Risse geschnitten worden waren, durch die er sehen konnte. Zumindest die Augen hinter diesen Sehschlitzen waren menschlich.
Skar erwachte endlich aus seiner Erstarrung, zog sich mit einem kraftvollen Ruck vollends auf den Rücken des Drachen hinauf und schlug gleichzeitig zu. Der Hieb war ungeschickt gezielt und ohne wirkliche Kraft, aber er schmetterte die Waffenhand des Schwarzgekleideten zur Seite. Der Scanner entlud sich mit einem peitschenden Knall, aber der grelle Lichtblitz ging harmlos ins Leere, und Skar gab ihm keine Gelegenheit zu einem zweiten, besser gezielten Schuß. Sich mit der linken Hand und beiden Beinen auf dem Rücken des bockenden Ungetüms festklammernd, packte er mit der anderen zu und verdrehte das Handgelenk des Kriegers mit einem harten Ruck. Ein dumpfer Schmerzlaut drang unter dem Insektenhelm des Drachenreiters hervor. Keuchend ließ er seine Waffe fallen, warf sich herum und versuchte das Schwert aus dem Gürtel zu zerren.
Es war nicht einmal ein wirklicher Kampf. Der Mann hatte keine Chance. Skar entrang ihm das Schwert, noch ehe er es halb aus der Scheide gezogen hatte, drehte die Waffe blitzschnell herum und versetzte ihm einen Hieb mit der stumpfen Seite, der ihn in hohem Bogen vom Rücken des Drachen herunterstürzen ließ.
Er wollte sich aufrichten, führte die Bewegung aber nicht einmal zu Ende, denn der Drache tobte mittlerweile so sehr, daß er vermutlich schon nach dem ersten Schritt nach vorne geschleudert und wie ein übergroßer Schmetterling auf den armlangen Stacheln aufgespießt worden wäre. Eher zornig als alles andere kroch er die wenigen Schritte auf den Mann am Zügel los, hob das Schwert und schlug nach dessen Brustpanzer.