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Skarn hatte viele Jahre darauf gewartet, Torms Tod zu rächen. Jetzt hatte er einen Weg für seine Rache gefunden.

Kaltlächelnd hob Skarn das Schwert vom Amboß. Realgar wollte dieses Schwert. Der Dieb wußte nicht, weshalb, und das kümmerte ihn auch nicht. Er wußte nur, daß das Verlangen nach der Klinge offen in den Augen seines Lehnsherrn gestanden hatte, als dieser ihm den Auftrag erteilt hatte. Mehr als Verlangen, dachte Skarn jetzt. Realgar brauchte dieses Schwert.

Es gab geheime Pfade aus Thorbardin heraus, dunkle Wege durch die Außenwelt, die nicht einmal die Grenzer kannten. Skarn kannte sie. Er ließ Stanach liegen, wo er hingefallen war. Wenn Realgar erführe, daß Skarn ihm das Königsschwert nicht brachte, würde er schon aus Thorbardin verschwunden sein.

2

Ein Kind erwachte schluchzend aus demselben Alptraum, der die meisten der achthundert Menschen verfolgte, die im Schlaf Ruhe suchten: der Alptraum der Sklaverei. Wie tanzende, silberne Lichter in der schwarzen Weite des Himmels sahen die Sterne zu, wie eine Frau müde aufstand und sich im Halbschlaf zu dem Kind schleppte. Es war nicht die Mutter. Es war eine Frau, die am selben Morgen ihr eigenes Kind verloren hatte. In den zwei Tagen, seit diese Menschen aus der Sklaverei in den Minen von Pax Tarkas in die Berge geflohen waren, waren fünf alte, kranke Männer und zwei Kinder gestorben.

Das war es, was Tanis, der Halb-Elf, dachte. Er starrte in die Glut des heruntergebrannten Lagerfeuers und schob mit der Fußspitze einen Haufen Reisig näher heran. Er war zum Umfallen müde. Achthundert Menschen kamen in den engen Bergpässen zwischen Pax Tarkas und der Südstraße nur langsam voran.

Und an der Südstraße war die Freiheit noch lange nicht erreicht. Dort lag erst der Anfang eines weiten Weges.

Hinter Tanis war ein Schritt zu hören, der nicht lauter war als das Geflüster der Frau, die das weinende Kind tröstete. Er drehte sich um, wobei seine Hand nach seinem Kurzschwert griff, um dann ein entschuldigendes Lächeln aufzusetzen, als er sah, wer hinter ihm stand.

»Goldmond«, flüsterte er. »Ich hatte mich schon gefragt, wo du bist.«

Die Frau aus den Ebenen war wunderschön. Obwohl aus ihrem blassen Gesicht dieselbe Erschöpfung sprach, die Tanis fühlte, strahlte sie eine Art ruhigen Frieden aus, der den Halb-Elf wie eine besänftigende Hand berührte. »Ich habe Tolpan gesucht.«

»Und gefunden?«

Goldmond lächelte. »Nein. Natürlich nicht. Es war nur eine gute Entschuldigung, um eine Weile in den Hügeln spazierenzugehen.«

»Ich dachte nicht, daß jemand eine Entschuldigung für das suchen würde, was wir seit zwei Tagen hier tun und wahrscheinlich noch sehr lange tun werden.«

Sie ließ sich graziös neben Tanis nieder. »Manchmal hilft mir ein einsamer Spaziergang beim Nachdenken. Tanis, wo bringen wir diese Menschen hin?«

Ja, wohin? Tanis senkte den Kopf. »Es gibt keine große Auswahl. Verminaard wird seine Drakonier bald überall in den Bergen hinter uns herjagen – wenn er das nicht jetzt schon tut.

Tolpan hat das Tor gut versperrt, aber es wird nicht standhalten. Wir müssen diese Menschen schnell hier fortschaffen. Wir können nicht mehr zurück. Wir müssen vorwärts.«

»Wohin?«

»Es gibt nur einen einzigen Ort, der sie alle aufnehmen kann, Goldmond, nur einen Ort, der jetzt einigermaßen sicher ist.«

»Thorbardin.« Goldmond schüttelte den Kopf. »Die Zwerge haben sich drei Jahre lang aus dem Krieg herausgehalten, obwohl er Krynn in Stücke reißt. Warum sollten sie jetzt achthundert Flüchtlinge nach Thorbardin lassen?«

Tanis warf Reisig auf das Feuer und sah zu, wie die Flammen an Zweigen und Rinde leckten. »Wir werden mit ihnen verhandeln.«

»Das wurde schon versucht.«

»Wir werden bitten.«

Goldmond seufzte. »Sie hören nicht auf Bitten, Tanis.«

Tanis’ grüne Augen glitzerten gefährlich, als er freudlos lächelte. »Dann zwingen wir sie zum Zuhören.«

Achthundert Stimmen konnte man nicht ignorieren, dachte er.

Hoch auf den von Adlern bewohnten Hängen vor Thorbardin gab es eine Anzahl schmaler Felsvorsprünge, die von den tiefen Schluchten und Tälern aus nicht zu sehen waren. Die Zwerge aber kannten sie seit der Gründung von Thorbardin. Es war unmöglich, diese Vorsprünge vom Tal her zu erklettern. Die Berge waren ein unüberwindbares Hindernis. Doch aus dem Inneren der Zwergenfestung gab es einen Weg zu diesem Ausguck. Von Südtor aus führten schmale Pfade hinauf, die nur eine Bergziege oder ein Zwerg aus Thorbardin begehen würde. Der Wind heulte ein wildes Lied über diesen Pfaden. Sommers wie winters war die Luft dort kalt und dünn. Für Stanach Hammerfels hatten diese Vorsprünge immer nur ihm gehört.

Jetzt kletterte er dort hinauf. An seinem Gürtel hing eine volle Feldflasche. Den ganzen Tag lang hatte das Schmiedefeuer ihn bis aufs Blut ausgedörrt. Der Dampf von den Kühltrögen war in seine Lungen gedrungen, bis er sich fragte, wann er je wieder atmen könnte. Jetzt brauchte er den Frieden auf diesen Höhen. Er brauchte einen Platz zum Nachdenken.

Stanach lehnte sich an die ewige Stärke des Bergfelses. Der erste Schluck des kräftigen Zwergenschnapses wärmte ihm den Magen. Tief unten im Tal schickte die Nacht sich an, die Klamms und Schluchten einzuhüllen und die braungoldenen, laubbedeckten Hänge mit kaltem, schwarzem Samt zu überziehen.

Erst vor einer Stunde hatte Stanach erfahren, daß Sturmklinge in der Außenwelt vor Thorbardin gefunden worden war. Aus den Ländern, wo Drachen auf breiten, ledernen Schwingen den Himmel durchschnitten, wo Armeen kämpften und Götter miteinander rangen, kam das geflüsterte Gerücht über einen jungen Waldläufer, der ein mit Saphiren besetztes Schwert trug. Zwei Jahre nach dem Diebstahl war das Königsschwert aufgetaucht, und in diesem Moment bereitete sich Hornfell darauf vor, Männer loszuschicken, die es heimholen sollten. Es würde nicht einfach werden. Hornfell befürchtete, daß Realgar, der Theiwar, das Gerücht auch schon vernommen hatte. Die Männer des Hylaren würden rasch und vorsichtig vorgehen müssen. Ein Königsschwert war etwas, wofür Realgar töten würde.

Es gab keinen Tag, an dem Stanach in die Flammen der Schmiede blickte, ohne sich an die Nacht zu erinnern, als Sturmklinge aus Eisen, Feuer und Wasser geboren wurde. Es gab keinen Tag, an dem er vergessen konnte, daß das Königsschwert in der Nacht seiner Geburt gestohlen worden war. In dieser Nacht hatte der allmähliche Verfall von Isarn – seinem Meister, Verwandten und Freund – in Trauer und Wahnsinn begonnen. Die Gefahr war Stanach gleichgültig. Er wollte Sturmklinge nach Hause holen.

Wenn er ginge, würde er mit Kyan Rotaxt aus seiner Sippe losziehen. Keiner kannte die Außenwelt besser als der Grenzsoldat Kyan. Sagte Kyan zumindest, und Stanach glaubte ihm das auch weitgehend. Er und Stanach waren zwar gleichalt, aber Kyan hatte immer älter gewirkt. Es war seine Erfahrung, der Eindruck, daß er immer auf der Hut vor Gefahren war, die Stanach sich höchstens vorstellen konnte, und die Ausstrahlung, daß er mit solchen Gefahren fertigwerden würde, die ihn älter wirken ließen. Stanach hatte sich nie aus Thorbardin herausgewagt, sondern war wie die meisten Zwerge in seiner Heimat und bei seiner Familie geblieben. Darum würde er sein Leben und seine Sicherheit bereitwillig Kyan anvertrauen.

Als ob Kyan nicht ausreichte, schickte Hornfell auch noch den Zauberer Pfeifer mit. Was konnte schon passieren, das Pfeifers Kräfte überstieg, fragte sich Stanach. Er kannte den goldhaarigen Menschen schon die ganzen drei Jahre, die Pfeifer in Thorbardin lebte. Jordy war sein Name, doch jeder in Thorbardin nannte ihn Pfeifer, wie ihn die Zwergenkinder wegen der fröhlichen Melodien seiner Flöte getauft hatten. Stanach und der lange Pfeifer waren enge Freunde. Die gutgelaunte Sorglosigkeit des Zauberers brachte etwas Abwechslung in das dumpfe Brüten, das Stanach zur zweiten Natur geworden war.