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Die besten Stunden verbrachten sie in den Schenken von Thorbardin, wo sie mit unzähligen Krügen Bier die Zeit totschlugen. Diese besten Stunden wurden noch besser, wenn Kyan zurück von der Grenze kam und sich zu ihnen gesellte, um eine haarsträubende Geschichte nach der anderen als Reorx’ eigene Wahrheit zum besten zu geben.

Stanach wollte sie unbedingt begleiten. Doch zunächst mußte er Hornfell davon überzeugen, daß er dabeisein mußte.

Diese Überlegung fiel ihm nicht leicht. Schon der Gedanke, den Berg zu verlassen und sich von seinem wohlgeordneten Tagesablauf zu trennen, machte ihm angst.

Der Sohn der reichen Hammerfels-Sippe hatte eine gesicherte Zukunft. Er war ein guter Handwerker in einem angesehenen Gewerbe. Sein Vater hatte in letzter Zeit von Heiratsverträgen geredet, und seine Mutter ließ beim Abendessen immer Bemerkungen über das eine oder andere Zwergenmädchen einfließen. Stanach amüsierten diese versteckten Empfehlungen. Fünfundsiebzig war für einen Zwerg kein hohes Alter. In den Augen seines Volkes war Stanach noch jung und mußte es mit Heirat und Familiengründung nicht eilig haben. Aber auch eine Familie ist eine Art Schatz. Ein solcher Reichtum kann nicht aus den Truhen des Vaters ererbt werden.

»Du gewinnst ihn durch Vertrauen«, hatte seine Mutter ihm erklärt. »Es geht nicht um gefüllte Wiegen oder darum, die Kinder aufwachsen zu sehen. Es geht darum, daß die Frau, die du heiratest, die Kinder, die du zeugst, die Freunde, die du findest, dir vertrauen können. Dann bist du reich, selbst wenn du in Lumpen gehst.«

Stanach legte seine Stirn auf die angezogenen Knie. Er war ärmer als jeder zerlumpte Gossenzwerg. Er hatte in ihn gesetztes Vertrauen enttäuscht.

Ich hätte das Schwert besser bewachen sollen!

Doch das hatte er nicht. Das Königsschwert war gestohlen worden. Isarn hatte seinem Lehrling nicht die Schuld gegeben, aber das brauchte er auch nicht. Stanach gab sich selbst die Schuld und zahlte den Preis dafür jedesmal, wenn er ein Schmiedefeuer sah.

Einen Krieger und einen Zauberer würde Hornfell ausschicken. Wozu sollte er noch den Lehrling schicken, der das Schwert gleich zu Anfang verloren hatte?

Dann lächelte Stanach. Sein Vetter Kyan Rotaxt war ein gewandter Kämpfer, Pfeifer ein mächtiger Zauberer. Aber keiner von ihnen hatte das Schwert je gesehen, beide kannten es nur von der Beschreibung her. Stanach sah es jede Nacht im Traum.

Er erhob die Augen zum glitzernden Himmel, zu dem roten Stern, der über dem höchsten Gipfel des Berges leuchtete. Der Legende nach war dieser Stern der Schein von Reorx’ Esse.

»Ich weiß, ich hätte es besser bewachen müssen«, sprach er zu dem Gott. »Vater, wenn du mir die Beredsamkeit gibst, um Hornfell zu überzeugen, daß ich Kyan und Pfeifer begleiten muß, dann schwöre ich bei Sturmklinge selbst, daß ich es gut behüten und nach Hause bringen werde.«

Nach diesem Gebet erhob sich Stanach von dem Felsvorsprung. Auf dem Rückweg nach Thorbardin legte er die Sätze zurecht, die er seinem Lehnsherrn sagen würde. Vertrauensbrecher nannte er sich selbst. Er konnte nicht mehr länger mit diesem Namen leben. Mit Reorx’ Hilfe würde er einen Weg finden, seinen Vetter und Pfeifer in die Außenwelt zu begleiten und Sturmklinge heimzuholen.

3

Vier tote Zwerge lagen im blutgetränkten Straßenstaub. Das einzige, was sich bewegte, war der Wind, der mit kalten Fingern an ihren Haaren und Bärten zupfte, und eine Krähe, die am kalten, blauen Himmel krächzte.

Um drei der vier Zwerge scherte Stanach sich nicht, sondern war froh, daß sie tot waren. Der vierte war Kyan Rotaxt.

Stanach schloß die Augen und senkte den Kopf. Nicht einmal der beste, erfahrenste Kämpfer kann sich vor dem Hinterhalt eines Feiglings schützen. Sein Vetter Kyan Rotaxt war von einem Armbrustbolzen in den Rücken getroffen worden.

Ein Steinhügel, dachte Stanach. Er sah zu der Krähe hoch. Wir müssen einen Steinhügel errichten. Wenn ein Zwerg nicht begraben wurde, wenn nicht ein Steinhügel oder ein Sarg seinen toten Körper schützte, galt das als Strafe eines Verräters. Das hatte Kyan Rotaxt nicht verdient. Stanach drehte sich der Magen um, als er erkannte, daß dies das Schicksal seines Vetters werden konnte.

Der leichte, kühle Wind frischte auf und trug einen leichten Schwefelgestank heran. Der Rauch, der erst wenige Augenblicke zuvor dicht aufgequollen war, wurde dünner, bis nur noch gewundene Fäden von dem erloschenen magischen Feuer übrig waren. Stanach drehte sich zu dem Zauberer um. Er sah ihn etwas abseits an der Straßenseite am dicken Stamm einer Eiche lehnen. Seine rote Robe hatte die Farbe von Kyans Blut.

Blut, das für Sturmklinge vergossen worden war.

»Pfeifer, wir können ihn nicht hier liegen lassen.«

Pfeifer schüttelte den Kopf. »Wir können nicht bleiben. Sie kommen zurück. Sie sind nicht zufällig hier, mein Freund. Diese Straße führt nur nach Langenberg oder ans Meer. Realgars Männer haben sich sofort auf uns gestürzt, als wir mit dem Transportspruch hier ankamen. Sie haben uns erwartet. Wir stecken in großen Schwierigkeiten, Stanach.«

Stanach sah den Zauberer an, während seine Hand auf Kyans Brust lag, als wenn er noch immer ein Lebenszeichen suchte. Wie die meisten Menschen wirkte Pfeifer größer als notwendig. Sein Gesicht war weiß und abgespannt, die blauen Augen trüb. Der Magier hatte sich verausgabt. Trotz der Kälte schwitzte er, und der Schweiß ließ ihm das sonnengelbe Haar an Gesicht und Hals kleben.

Pfeifer hatte zwei Feuerzauber, lange Flammenarme, losgelassen, sobald er und die beiden Zwerge aus dem Transportspruch gekommen waren, denn Realgars Männer hatten sie erwartet. Jetzt, wo der Zauberer durch die anstrengenden Sprüche ausgelaugt war, würde er zumindest während der nächsten Stunden für niemanden eine Bedrohung darstellen. Ganz sicher nicht für die vier Theiwarsoldaten, die immer noch irgendwo in der Nähe lauerten.

Stanach sah sich um. Rechts im Schatten lag der dunkle Waldrand. Links stieg das kahle Gelände zu steinigen Hügeln an. Auf halber Höhe der Bäume begann ein Geröllhaufen, der sich am Waldrand bis oben auf den Hügel hinzog.

Das laute Krächzen der Krähe schien näherzukommen.

Pfeifer stieß sich von der Eiche ab, ging durch den Schatten und stellte sich neben Stanach. »Wir müssen ihn liegen lassen, mein Freund. Es tut mir leid. Aber wir können es nicht wagen, länger hierzubleiben.«

Stanach schloß wieder die Augen. Kyan hatte einen Kriegsschrei wie ein Sommergewitter gehabt, wie das Geheul eines Verrückten. Er hatte einen starken Schwertarm gehabt und das Herz eines Kriegers, hitzig und großzügig. Er würde keine Grabrede bekommen, nicht einmal einen hastig aufgeschichteten Grabhügel. Aber man würde sich an ihn erinnern.

Stanach kam langsam auf die Beine. Er sah zum Himmel auf. Die Sonne hatte ihren Abstieg im Westen begonnen und würde bald untergehen. Er wollte nicht bei Nacht überrascht werden. Im Dunkeln waren die Theiwaren in ihrem Element.

»Pfeifer, wie weit ist es nach Langenberg?«

Der Magier zuckte mit den Schultern. »Acht, vielleicht zehn Meilen durch den Wald. Fünf auf der Straße.«

Stanach stöhnte. Er hob sein Schwert auf, an dem noch das feuchte Blut der Theiwaren klebte, und wischte es so gut wie möglich im Gras am Straßenrand ab. Er steckte es in die Scheide, die über seinen Rücken hing, und schwang sein Bündel über die Schulter. »Wir sollten gehen. Wenn die Stadt besetzt ist, wie du sagst, kann ich mir nicht vorstellen, daß sie nach Einbruch der Dunkelheit Fremde einlassen, hm?«

»Wahrscheinlich nicht. Und – « Pfeifer brach mitten im Satz ab und zeigte auf den Grat des nächsten Hügels.

Heimlich wie Wölfe waren die gerade erst geflohenen Theiwaren zurückgekehrt. Der kleinste von ihnen zeigte zum Waldrand hinunter.

Pfeifer legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. »Und wir sollten uns lieber trennen.«