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Hornfell hatte kein Schwert. Er hatte auch kein Messer. Er hatte nur sein Leben, und das nicht mehr lange. Hornfell hob den Kopf und sprach mit schlichter Würde.

»Ermorde mich ruhig, Theiwar, und geh als der Verfluchte König in die Geschichte ein.« Seine braunen Augen glitzerten. »Und kein Fluch ist schwerer als der eines Ermordeten. Stell dich mir. Hast du den Mut, mir ohne deine Krieger gegenüberzutreten?«

Sie standen einander auf dem Sims gegenüber wie Statuen, die aus dem lebenden Stein des Berges gemeißelt waren: Hylarenlehnsherr und Theiwar. Obwohl der Wind kalt an ihnen riß und ihre Haare und Kleider um sie peitschen ließ, kam es Stanach so vor, als wären sie eine Skulptur der Zwietracht.

Realgar stand da, als wäre er mit dem Stein auf dem schmalen Weg fest verwurzelt. Seine blutverschmierten Schwerter reflektierten kaum das schwache, unheimliche Zwielicht. Obwohl sie Stanachs und kurz darauf Hauks Ankunft bemerkt haben mußten, sahen sich weder Realgar noch Hornfell um.

Stanach hörte seine eigene Stimme, bevor er sich bewußt war, daß er redete. »Wir können ihn erwischen, Lehnsherr Hornfell.«

Hornfell löste seinen Blick nicht von Realgar, während er die Waffe nahm, die der Theiwar ihm reichte. Dann sprach er zu Stanach.

»Das könnt ihr. Aber ich habe ihn zum Zweikampf gefordert, und er hat angenommen.«

Ja, dachte Stanach, aber wirst du es sein, der jetzt überlebt? Wir brauchen einen Regenten, nicht die verrückte Herrschaft eines Derro-Zauberers. Hornfell, Lehnsherr! Mach das nicht!

Wie Geistergeflüster hallten Isarns seltsame Worte in seinem Kopf wider: Für einen Lehnsherrn habe ich das Schwert geschmiedet. Realgar wird einen Hochkönig damit töten.

In den Tiefen Höhlen hatte Stanach die Worte seines alten Meisters nicht glauben wollen. Er wollte die Prophezeiung nicht hören. Jetzt, am Rande des Abgrunds, dreihundert Meter über dem brennenden Tal, leuchtete das stählerne Herz des Königsschwerts feuerrot als Widerschein von Reorx’ Esse. Stanach fragte sich, ob Isarn die Wahrheit gesagt hatte.

Seine Vernunft mischte sich ein. Wo war der Streithammer von Kharas? Wo war die Legende, die einen Hochkönig weihen würde? Niemand wußte das. Niemand suchte überhaupt noch nach dem sagenhaften Streithammer. Doch Isarn Hammerfels, der das gottbegnadete Königsschwert geschmiedet hatte, hatte von Hornfell gesprochen und ihn Hochkönig genannt, als ob der alte Meister in den letzten Momenten seines Lebens gesehen hätte, wie Legenden wahr wurden.

Hauk hinter ihm wurde unruhig. Stanach mahnte den Waldläufer mit einer Geste zur Ruhe.

»Wir kriegen ihn«, flüsterte Hauk. »Stanach, wir können dem ein Ende machen.«

Stanach schüttelte den Kopf. »Das ist Sache des Lehnsherrn. Wir warten, Hauk.«

Hauk hörte aus Stanachs Worten das Todesurteil für einen tapferen Krieger heraus. »Worauf warten wir?« fragte er barsch. »Auf Hornfells Tod?«

»Er ist ein guter Kämpfer. Er wird nicht sterben.« Realgars Lächeln war eiskalt. Er hob seine Hand etwas höher, als würde er den Sieg wittern. Im grauen Dämmerlicht waren die Augen des Theiwars wie die einer Schlange. Seine Pupillen verengten sich zu Schlitzen, um seine Netzhäute vor der für ihn gleißenden Helligkeit zu schützen. Stanach zitterte plötzlich vor Furcht. Seine Augen! Selbst im Zwielicht würde kein lichtscheuer Theiwar freiwillig kämpfen, wenn er es vermeiden konnte. Warum war Realgar hier? Warum hatte er Hornfell nicht in die Dunkelheit des Torhauses zurückgelotst?

Realgar hob die Hand und bewegte seine Lippen zu einem stimmlosen Zauberwort.

Angst durchschoß Stanach und erfüllte ihn mit einer schrecklichen Vorahnung.

»Hornfell –!«

Sein Warnschrei kam zu spät.

Aus Dämmerung wurde Mitternacht, ohne Sterne, ohne Mond, so finster wie in einem Sarg. Der Angriffsschrei eines Drachen gellte durch den kalten Himmel. Stanach fiel auf die Knie, weil ihn aller Mut und alle Kraft verließen. Festgenagelt durch die Drachenangst und blind durch den Dunkelheitsspruch des Drachen, hörte er Hauks Ruf und Hornfells Wutschrei nur von ferne.

Realgars triumphierendes Lachen gellte durch die Dunkelheit.

»Miese Ratte!« fauchte Stanach. »Verräterische, miese Ratte!«

Der Wind, den der vorbeifliegende Drache machte, warf ihn rücklings gegen die Felswand und drückte ihm die Luft aus den Lungen. Schwindelig, orientierungslos und wie betäubt vor Angst war Stanach ohne eigenen Willen und hilflos. Er konnte sich nicht rühren, denn er war in einem Netz aus Dunkelheit und Angst gefangen. Dreihundert Meter tiefer brannte immer noch das Tal. Die hochlodernden Flammen schienen mit der sicheren Zuversicht nach ihm zu greifen, daß sie ihn bekommen würden. Der Wind von den Bergen und der Luftzug von dem erneut vorbeifliegenden Drachen zogen ihn so nah an den Rand des Abgrunds, daß Stanach wußte, er würde abstürzen.

Hauk schrie seinen Namen. Mit der enormen Kraft der Panik packte eine Hand sein rechtes Handgelenk. Obwohl Stanach den Griff nicht spürte, fühlte er das Ziehen in seiner Schulter. Hauk hatte ihn und zerrte ihn mit aller Kraft vom Abgrund weg ins Torhaus.

Wie Echos aus einem Alptraum erklang in der Dunkelheit das Geräusch von Stahl, der auf Stahl traf.

Der Lehnsherr! Oh, Reorx, der Lehnsherr!

»Er kämpft blind!« schrie Hauk. Das Entsetzen des jungen Mannes raste blitzartig durch seine Hände und zuckte durch Stanachs Knochen.

Tyorl zog sich hoch, wobei er sich die ganze Zeit schwer auf Lavims Schulter stützte. Er hatte Männer gesehen, die das taten, die auf die Beine kamen, während sie eigentlich kaum fähig waren zu atmen. Damals hatte er sich gefragt, wie sich das wohl anfühlte. Jetzt wußte er es. Sein Blut tropfte aus der tiefen Schwertwunde in seinem Bauch.

Alles war in einem einzigen Moment geschehen. Die Wut des Kampfes hatte einen wahnsinnigen Höhepunkt erreicht, als rotsilbern uniformierte Daewars in die große Halle und das Torhaus strömten. Tyorl, der wieder seinen Platz auf dem Tormechanismus eingenommen hatte, hatte Realgar gesehen, der Sturmklinge in Hornfells ungeschützten Rücken stoßen wollte. Ihm blieb keine Zeit mehr, die Armbrust zu spannen. Der Elf hatte sich bewegt, ohne nachzudenken.

Tyorl hatte sich zwischen Realgar und Hornfell geworfen. Sturmklinge war wie eine heiße Nadel durchs Eis in ihn eingedrungen, und es hatte wie Feuer gebrannt, als Realgar den Stahl zurückriß. Nun fühlte er keine Schmerzen mehr, und das verriet ihm noch eher als die leblose Kälte, daß er starb.

Und was tat Drachenangst einem Sterbenden?

»Die… die Armbrust«, forderte er flüsternd.

Lavim schluckte hörbar. »Tyorl, ich finde nicht, daß du – «

»Bitte. Hilf mir jetzt, Lavim.«

»Nein, Tyorl! Du mußt hier auf Kern warten.« Verzweifelte Hoffnung brach die Stimme des Kenders. »Er wird dir helfen. Du wirst sehen. Du wirst sehen, Tyorl.«

Tyorl lehnte seinen Kopf an die Steinwand und stützte sich an die Felswand. Bei diesen kleinen Bewegungen wurde ihm nur noch kälter. Er fuhr mit der flachen Hand über Pfeifers Flöte, die immer noch an seinem Gürtel hing.

Lavim hatte mal behauptet, daß Pfeifer seine Gedanken lesen konnte. Tyorl umklammerte die Flöte.

Pfeifer, dachte er, sag ihm, daß er mir helfen soll. Ich kann den Drachen töten, wenn er mir nur hilft. Pfeifer…

Mach, was er sagt, Lavim. Mach es.

Als er Lavims heftige Widerworte hörte, griffen Tyorls Finger so fest um die Schulter des Kenders, daß seine Knöchel weiß hervortraten. »Bitte!«

Selbst als er Tyorl die Armbrust aushändigte, protestierte Lavim immer noch: »Tyorl, du mußt hierbleiben. Du mußt auf Kern warten. Er ist jetzt bei Kelida – «

»Kelida!« flüsterte Tyorl. »Lavim, wird sie durchkommen?«

Lavim nickte nachdrücklich. »Keine Probleme. Sagt Kern. Bitte, Tyorl, bitte laß mich dir helfen, dich hinzusetzen, bis er herkommen kann.«