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Es gab Gerüchte von einem Angriff auf die Burg; er fürchtete um die Sicherheit des Schwertes. Er hat mich hergeschickt, um dich zu schützen. Ich wäre schon früher gekommen, wurde aber vom Wetter aufgehalten — und von denen, die mir zu dir folgen wollten.« Er machte eine Pause und sah Shea ins Gesicht. »Allanon hat dir deine wahre Identität enthüllt und von der Gefahr gesprochen, der du dich einmal wirst stellen müssen. Ob du ihm geglaubt hast oder nicht, spielt keine Rolle mehr. Die Zeit ist gekommen — du mußt sofort fliehen!«

»Einfach weggehen?« rief Shea. »Das kann ich nicht!«

»Du kannst es und wirst es, wenn du am Leben bleiben willst. Die Träger des Schädels vermuten dich im Tal. In ein, zwei Tagen finden sie dich, und das wird das Ende für dich sein, wenn du dann noch hier bist. Du mußt gleich fort. Reise schnell und mit leichtem Gepäck; halte dich an Wege, die du kennst, und suche Zuflucht im Wald, wo es geht. Wenn du im Freien unterwegs sein mußt, dann nur am Tag, wo ihre Macht schwächer ist. Allanon hat dir gesagt, wo du hingehen sollst, aber du mußt auf deine eigene Einfallskraft vertrauen, dein Ziel zu erreichen.«

Shea starrte den anderen verwundert an und wandte sich an Flick, der sprachlos war. Wie konnte der Mann erwarten, daß Shea einfach aufbrach?

»Ich muß gehen.« Der Fremde erhob sich plötzlich und raffte den Mantel enger um sich. »Ich würde dich mitnehmen, wenn ich könnte, aber man ist mir gefolgt. Diejenigen, die dich vernichten wollen, erwarten, daß ich dich früher oder später verrate. Sie sahen in mir einen Lockvogel. Ich wünsche, sie fahren fort, mir zu folgen, und ich kann dir dadurch Gelegenheit verschaffen, unbemerkt zu entschlüpfen. Ich reite eine Strecke nach Süden und dann in weitem Bogen nach Culhaven. Dort treffen wir uns. Merk dir, was ich gesagt habe. Bleib nicht länger im Tal — flieh heute noch! Tu, was Allanon verlangt hat, und bewache die Elfensteine gut! Sie sind eine mächtige Waffe.«

Shea und Flick standen ebenfalls auf und drückten die ausgestreckte Hand, wobei sie erstmalig sahen, daß der Arm von einem schimmernden Kettenpanzer umschlossen war. Balinor ging mit langen Schritten durch die Gaststube und verschwand in der Nacht.

»Also, was nun?« sagte Flick, der sich wieder auf den Stuhl fallen ließ.

»Woher soll ich das wissen?« gab Shea zurück. »Ich bin kein Wahrsager. Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob stimmt, was er erzählt hat, so wenig wie bei Allanon. Wenn er recht hat — und ich werde das Gefühl nicht los, daß zumindest etwas Wahres an seinen Worten ist —, dann muß ich um aller Beteiligten willen das Tal verlassen. Falls jemand hinter mir her ist, müssen wir befürchten, daß andere, etwa du und Vater, zu Schaden kommen könnten, wenn ich bleibe.« Er starrte düster vor sich hin. Flick betrachtete ihn stumm, dann beugte er sich vor und legte die Hand auf die Schulter seines Bruders.»Ich gehe mit dir«, sagte er leise.

Shea fuhr herum und starrte ihn an.

»Das kann ich nicht zulassen. Vater würde das nie begreifen.

Außerdem gehe ich vielleicht nirgends hin.«

»Vergiß nicht, was Allanon gesagt hat — ich gehöre mit dir zusammen«, antwortete Flick störrisch. »Nicht nur in dieser Sache. Du bist mein Bruder. Ich kann dich nicht allein gehen lassen.«

Shea kämpfte mit sich, dann nickte er und lächelte.

»Wir sprechen später noch darüber. Auf jeden Fall kann ich nicht aufbrechen, bevor ich entschieden habe, wohin ich gehe und was ich brauche — falls ich überhaupt gehe. Ich muß Vater einen Brief hinterlassen- ich kann nicht einfach davonlaufen, gleichgültig, was Allanon und Balinor denken.«

Sie verließen den Tisch und kehrten zum Nachtmahl in die Küche zurück. Den Rest des Abends verbrachten sie ruhelos zwischen Küche und Gaststube, mit mehreren Abstechern ins Schlafzimmer, wo Shea seine Habe durchmusterte. Flick folgte ihm schweigend überall hin, von der Befürchtung geplagt, sein Bruder könne plötzlich beschließen, nach Culhaven aufzubrechen und ihn zurückzulassen. Er sah zu, wie Shea Kleidung und Ausrüstungsgegenstände in einen Ledersack stopfte, und als er ihn fragte, weshalb er packe, bekam er zur Antwort, das sei nur eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, daß er plötzlich fliehen müsse. Shea versicherte aber, er werde nicht gehen, ohne es Flick zu sagen, doch dieser blieb mißtrauisch und ließ Shea keine Minute aus den Augen.

Es war völlig dunkel, als Shea von einer Hand auf seinem Arm geweckt wurde. Er hatte nicht tief geschlafen, und die kalte Berührung weckte ihn sofort; sein Herz hämmerte. Er schlug um sich und wollte den unsichtbaren Angreifer packen.

Ein Zischen erreichte seine Ohren, und plötzlich erkannte er Flicks breites Gesicht im schwachen Licht der von Wolken teilweise verhangenen Sterne und des schmalen Sichelmonds.

Die Angst verschwand.

»Flick! Du hast mich...«

Seine Erleichterung schwand ebenso schnell, als Flicks kräftige Hand sich auf seinen offenen Mund preßte und das warnende Zischen sich wiederholte. Shea sah im Dunkeln die angstvollen Züge seines Bruders. Er wollte hoch, aber die kräftigen Arme packten ihn fester und zogen sein Gesicht näher an den verkrampften Mund heran.

»Nichts sagen«, flüsterte Flick ihm ins Ohr. »Das Fenster — leise!«

Die Hände lockerten den Griff und zogen ihn aus dem Bett, dann schlichen die beiden zum Fenster, das einen Spalt offen war. Als sie es erreichten, stieß Flick seinen Bruder an, mit Händen, die jetzt zitterten.

»Shea, am Haus — schau!«

Stumm vor Schrecken hob Shea den Kopf zur Fensterbrüstung und schaute vorsichtig hinaus in die Nacht. Er sah das Wesen fast augenblicklich — eine riesige, schreckliche, schwarze Erscheinung, halb geduckt, schleppte sich langsam durch die Schatten der Gebäude auf der anderen Seite des Gasthofs, den Buckelrücken bedeckt von einem Mantel, der sich wölbte und langsam blähte, als darunter etwas dagegenstieß und pulsierte. Das grausige Rasseln seines Atems war selbst aus dieser Entfernung deutlich vernehmbar, und die Füße erzeugten ein sonderbares schnarrendes Geräusch. Shea umklammerte das Fensterbrett, den Blick auf die sich nähernde Erscheinung gerichtet, und im gleichen Moment, in dem er sich unter dem halboffenen Fenster duckte, sah er deutlich einen Silberanhänger in Form eines funkelnden Totenschädels.

4

Shea sank wortlos neben seinem Bruder zusammen, und sie kauerten beide in der Dunkelheit. Sie konnten das Wesen hören, das Scharren wurde mit jeder Sekunde lauter, und sie waren gewiß, daß sie Balinors Warnung zu spät beachtet hatten.

Sie warteten, wagten nicht zu sprechen, kaum zu atmen, während sie lauschten. Shea wäre am liebsten davongelaufen, hin- und hergerissen von dem Wissen, daß das Ding dort draußen ihn töten würde, wenn es ihn fand, und von der Befürchtung, erkannt und eingefangen zu werden, wenn er sich bewegte. Flick kauerte neben ihm, zitternd im kalten Nachtwind, der die Vorhänge bauschte.

Plötzlich hörten sie einen Hund heftig bellen, immer wieder, bevor er in einer Mischung aus Angst und Haß heiser zu knurren begann. Vorsichtig schoben die Brüder die Köpfe über das Fensterbrett und starrten hinaus. Das Wesen mit dem Schädelzeichen stand geduckt drei, vier Meter vor einem großen Wolfshund, der den Eindringling mit geblecktem Gebiß anknurrte. Die beiden Erscheinungen standen einander in den nächtlichen Schatten gegenüber, das Wesen atmete gleichmäßig rasselnd und langsam, und der Hund knurrte und schnappte, halb geduckt vorwärtsrückend. Dann sprang der große Wolfshund mit zornigem Fauchen das Wesen an und versuchte den schwarzen Kopf zu fassen, aber er wurde in der Luft plötzlich von einem klauenartigen Glied erfaßt, das unter dem sich wölbenden Mantel hervorschnellte, die Kehle des Tieres erwischte und es leblos auf den Boden schleuderte. Das geschah in einem einzigen Augenblick, und die Brüder waren so entgeistert, daß sie beinahe vergaßen, sich wieder zu ducken, um nicht gesehen zu werden. Sekunden später hörten sie wieder das seltsame Scharren, als das Wesen sich an der Mauer des gegenüberliegenden Gebäudes entlangschleppte — aber das Geräusch wurde leiser und schien sich vom Gasthof zu entfernen.