Der nächste Tag war trüb und ohne Sonne, feucht und kühl für die Menschen. Shea und seine Begleiter entbehrten jede Wärme und jeden Trost, als sie durch das nebelige Hochland von Leah zogen und in das triste Klima des Tieflands hinabzusteigen begannen. Sie sprachen nicht miteinander, als sie der Reihe nach den schmalen Pfad hinunterstapften, der sich um graue, große Felsblöcke und abgestorbene, niedrige Büsche wand. Menion ging voraus, fand mit seinem scharfen Auge den oft kaum sichtbaren Weg und bewältigte den Abstieg mit sicheren Schritten. Auf seinem schmalen Rücken trug er einen Tragsack, an dem er einen großen Eschenholzbogen und Pfeile befestigt hatte. Mit einem langen Ledergürtel war an seinen Hüften das alte Schwert befestigt, das ihm sein Vater gegeben hatte, als er zum Mann geworden war — das Schwert, das dem Prinzen von Leah aus Geburtsrecht zukam.
Das kalte, graue Eisen schimmerte schwach im trüben Licht, und Shea, der einige Schritte hinter ihm ging, fragte sich, ob es Ähnlichkeit mit dem legendären Schwert von Shannara besaß. Er zog die Brauen hoch, während er in die Düsternis starrte. Nichts schien hier lebendig zu sein. Es war ein totes Land für tote Dinge, und die Lebenden waren hier Eindringlinge. Keine sehr anregende Vorstellung; Shea grinste schwach vor sich hin und zwang sich, an andere Dinge zu denken. Flick bildete die Nachhut; auf seinem kräftigen Rücken trug er den Großteil der Vorräte, die reichen mußten, bis sie das Tiefland von Clete durchwandert hatten und die Schwarzen Eichen hinter sich lassen konnten. Sobald sie so weit gekommen waren — vorausgesetzt, sie kamen so weit —, würden sie gezwungen sein, bei den weitverstreuten Bewohnern der Gebiete dahinter Lebensmittel zu kaufen oder einzutauschen oder, als letzte Möglichkeit, vom Land selbst zu leben, etwas, worauf Flick nicht gerade begierig war.
Der erste Tag verging schnell, als die drei die Grenzen des Königreichs Leah überschritten und bis zum Einbruch der Nacht den Rand des trostlosen Tieflands erreicht hatten. Sie fanden die Nacht über Unterschlupf in einem kleinen Tal im bescheidenen Schutz einiger nackter Bäume und dichter Sträucher. Der feuchte Nebel hatte ihre Kleidung völlig durchnäßt, und in der nächtlichen Kälte froren sie erbärmlich.
Sie versuchten, ein Feuer anzuzünden, um etwas Wärme und Trockenheit zu finden, aber das Holz hier war so feucht, daß es nicht brennen wollte. Schließlich gaben sie es auf und begnügten sich mit kalten Rationen. Sie lagerten in Decken gewickelt, die zu Beginn der Reise wasserdicht präpariert worden waren. Man sprach wenig, weil keiner Lust hatte, etwas anderes von sich zu geben als Flüche über die Witterung.
Aus der Dunkelheit, die sie umgab, drang kein Laut; die lastende Stille infizierte das Gemüt mit plötzlicher, unerwarteter Angst und zwang sie, angestrengt zu lauschen, um vielleicht irgendwo ein beruhigendes Rascheln zu entdecken, das Leben verriet. Aber es gab nur die Stille und die Dunkelheit, und nicht einmal der Hauch einer Brise berührte ihre kalten Gesichter, als sie regungslos in ihren Decken lagen. Mit der Zeit obsiegte die Erschöpfung, und sie schliefen, wenn auch unruhig.
Der zweite und dritte Tag waren noch viel schlimmer als der erste. Es regnete die ganze Zeit — ein träges, kaltes Nieseln, das zuerst die Kleidung durchtränkte, dann in Haut und Bein drang und schließlich die Nervenzentren selbst erreichte, so daß der erschöpfte Körper keine andere Empfindung als die einer allgegenwärtigen, unbehaglichen Nässe mehr zuließ. Die Luft war untertags feucht und kalt und wurde nachts frostig.
Alles rings um die Wanderer schien von dieser lastenden Kälte erdrückt zu sein; das wenige an Gebüsch und Laub, das man sehen konnte, war verkrümmt und leblos.
Formlose Klumpen Holz und zusammengerollte Blätter warteten lautlos darauf, zu zerfallen und ganz zu verschwinden.
Hier lebte kein Mensch und kein Tier — selbst das kleinste Nagetier wäre von der saugenden Weichheit einer Erde, die von der kalten Feuchtigkeit langer, sonnenloser, lebensferner Tage und Nächte durchtränkt war, verschluckt worden.
Nichts bewegte, nichts regte sich, während die drei jungen Männer nach Osten durch ungeformtes Land schritten, wo es keinen Weg gab und keinen Hinweis, daß hier schon jemals irgend jemand vorbeigekommen war oder das in Zukunft je tun würde. Während ihrer Wanderung kam die Sonne nie heraus, keine Spur ihrer Strahlen zeigte, daß irgendwo jenseits dieses toten, vergessenen Landes eine Welt des Lebens existierte. Ob es der ewige Nebel war oder die dicken Wolken oder beides zusammen, wodurch der Himmel immer verhüllt blieb, konnte man nicht entscheiden.
Am vierten Tag begannen sie zu verzweifeln. Obwohl von den geflügelten Jägern des Dämonen-Lords nichts mehr zu sehen war und die Verfolgung von ihnen aufgegeben worden zu sein schien, lieferte das wenig Trost. Die Stunden schleppten sich dahin, die Stille wurde immer tiefer, das Land immer trostloser. Selbst Menions Munterkeit verlor sich, und er wurde von Zweifeln beschlichen. Er begann sich zu fragen, ob sie die Richtung verloren und sie sich vielleicht im Kreis bewegt hatten. Er wußte, daß das Land es ihnen nicht verzeihen würde und daß sie, einmal in die Irre gegangen, nie mehr hinausfinden würden. Shea und Flick empfanden die Unruhe noch stärker. Sie wußten nichts vom Tiefland und verfügten nicht über Menions Jägerinstinkte. Sie verließen sich völlig auf ihn, spürten aber, daß nicht alles stimmte, obwohl der Hochländer seine Zweifel bewußt für sich behalten hatte. Die Stunden gingen, und die Kälte, die Nässe und die Leblosigkeit des Landes blieben unverändert. Sie spürten, wie ihre letzten Reste an Vertrauen zueinander schwanden. Schließlich, als der fünfte Tag des Marsches sich dem Ende zuneigte und die Trostlosigkeit des Tieflands sich vor ihnen erstreckte, ohne von den langerwarteten Schwarzen Eichen etwas ahnen zu lassen, gebot Shea halt und sank zu Boden, während er den Prinzen von Leah fragend ansah.
Menion zuckte die Achseln und schaute zweifelnd in die Runde.
»Ich will euch nicht belügen«, sagte er leise. »Ich bin nicht sicher, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Es könnte sein, daß wir im Kreis laufen. Vielleicht haben wir uns hoffnungslos verirrt.«
Flick entledigte sich seiner Traglast erbost und warf seinem Bruder einen Blick zu, der ihm sagte: >Was habe ich erwartet?<
»Ich kann nicht glauben, daß wir uns verirrt haben«, sagte Shea hastig zu Menion. »Können wir uns nirgends orientieren?«
»Ich warte auf Vorschläge.« Menion lächelte schief, reckte sich und ließ auch seinen Rucksack auf den Boden fallen.
»Was ist los, Flick? Habe ich dich wieder mit hineingerissen?«
Flick sah ihn zornig an, aber als er in die grauen Augen blickte, besann er sich. Dort war echte Sorge zu lesen, und sogar eine Spur von Traurigkeit darüber, daß er sie im Stich gelassen hatte. Flick streckte plötzlich die Hand aus und berührte den anderen kameradschaftlich an der Schulter, während er stumm nickte. Shea sprang plötzlich auf und begann in seinem Rucksack zu kramen.
»Die Steine können uns helfen!« rief er.
Einen Augenblick starrten ihn die beiden anderen verständnislos an, bis ihnen ein Licht aufging und sie erwartungsvoll zu ihm traten. Shea zog den kleinen Lederbeutel mit seinem kostbaren Inhalt heraus. Sie blickten gebannt auf den Beutel, in der Hoffnung, die Elfensteine würden endlich ihren Wert beweisen und ihnen helfen. Shea zog die Schnur auseinander und schüttete die kleinen Steine in seine Handfläche.
Sie schimmerten schwach, während die drei sie anstarrten und warteten.
»Halt sie hoch, Shea«, drängte Menion schließlich. »Vielleicht brauchen sie Licht.«
Shea tat, wie ihm geheißen, und beobachtete die blauen Steine angespannt. Nichts geschah. Er wartete noch einen Augenblick, bevor er die Hand sinken ließ. Allanon hatte ihn gewarnt, die Elfensteine nur im äußersten Notfall anzuwenden.
Vielleicht kamen sie ihm nur in besonderen Lagen zu Hilfe. Er spürte, wie die Verzweiflung in ihm hochkam, und starrte seine Freunde an.
»Na, versuch etwas anderes!« stieß Menion hervor.