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Die weittragende Stimme wurde leiser, und der verärgerte Ton verschwand, als angekündigt von einem kurzen Auflachen, ein Anflug von Spott an seine Stelle trat. »Außerdem«, brummte die Gestalt, als ihre Finger den eisernen Griff lockerten und Flick auf den Boden rutschen ließen, »bin ich vielleicht ein besserer Freund, als du ahnen magst.«

Die Gestalt trat einen Schritt zurück. Flick richtete sich auf und rieb seine Handgelenke. Er wäre am liebsten davongelaufen, zweifelte aber nicht daran, daß der Fremde ihn dann wieder einfangen und ohne weiteres töten würde. Er bückte sich vorsichtig und hob den Dolch auf, um ihn einzustecken.

Flick konnte den anderen nun besser ausmachen, und kein Zweifel blieb, daß er eindeutig einen Menschen vor sich hatte, wenn auch einen viel größeren als jeder andere, den er bis dahin gesehen hatte. Der Riese war mindestens sieben Fuß groß, schien aber außerordentlich mager zu sein, obschon es in diesem Punkt keine Gewißheit gab, weil die hochgewachsene Gestalt in einen wehenden schwarzen Mantel mit einer enganliegenden Kapuze gehüllt war. Das Gesicht war schmal und von tiefen Falten durchzogen. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren fast völlig von buschigen Brauen verborgen, die sich über einer langen, flachen Nase wölbten. Ein kurzer, schwarzer Bart umgab einen breiten Mund, der im Gesicht nur ein Strich war — ein Strich, der sich nie zu bewegen schien. Die ganze Erscheinung war erschreckend, ganz Schwärze und riesenhafttigkeit, und Flick mußte den wachsenden Drang in sich unterdrücken, zum Waldrand davonzustieben.

Er blickte direkt in die tiefen, harten Augen des Fremden, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, und brachte ein mühsames Lächeln zustande.

»Ich dachte, Ihr seid ein Räuber«, murmelte er zögernd.

»Du hast dich geirrt«, lautete die ruhige Antwort. Dann wurde die Stimme noch sanfter: »Du mußt lernen, Freund von Feind zu unterscheiden. Dein Leben kann einmal davon abhängen. Also, nenn deinen Namen!«

»Flick Ohmsford.« Flick zögerte und fuhr dann etwas mutiger fort: »Mein Vater ist Curzad Ohmsford. Er betreibt in Shady Vale ein, zwei Meilen von hier einen Gasthof. Da könnt Ihr Essen und Unterkunft bekommen.«

»Ah, Shady Vale«, rief der Fremde plötzlich. »Ja, dahin will ich!« Er machte eine Pause, als überdenke er seine eigenen Worte. Flick beobachtete ihn wachsam, wie er sich das Kinn mit gekrümmten Fingern rieb und auf die sanft geschwungenen Wiesen des Tales vor dem Waldrand hinaussah, ehe er sagte: »Du... hast einen Bruder...«

Es war keine Frage, sondern eine schlichte Feststellung. Sie wurde so ruhig und gleichgültig hervorgebracht, als interessiere sich der hochgewachsene Fremde nicht im mindesten für eine Antwort.

Flick überhörte sie deshalb beinahe. Dann begriff er plötzlich die Bedeutung des Satzes, zuckte zusammen und starrte den anderen an.

»Woher... ?«

»Ach, nun«, sagte der Mann, »hat nicht fast jeder junge Talbewohner wie du irgendwo einen Bruder?«

Flick nickte stumm und fragte sich nebenbei, wieviel der Unbekannte über Shady Vale wissen mochte. Der Fremde sah ihn fragend an; offenbar wartete er darauf, zu Essen und Unterkunft geführt zu werden, "wie es versprochen war. Flick wandte sich hastig ab, um sein Bündel zu suchen, hob es auf und nahm es auf die Schulter, bevor er sich wieder nach der hochragenden Gestalt umsah.

»Der Weg geht dorthin.« Er zeigte mit dem Finger in Richtung Westen, und die beiden setzten sich in Bewegung.

Sie verließen den dichten Wald und kamen zu sanften, niedrigen Hügeln, die sich bis zum Dorf Shady Vale am anderen Ende des Tales erstreckten. Die Nacht war nun hell, nach dem Verlassen des Waldes. Der Mond stand als volle, weiße Scheibe am Himmel, sein Licht beleuchtete die Landschaft des Tales und den Weg, den die beiden Wanderer gingen. Der Pfad selbst war eine undeutliche Linie, die sich über die Wiesenhöhen hinzog, erkennbar nur an gelegentlichen, vom Regen ausgewaschenen Wagenspuren und flachen, harten Stellen, wo die Erde durch das dichte Gras kam. Ein starker Wind war aufgekommen und fegte den beiden Männern mit schnellen Stößen entgegen, die an ihrer Kleidung zerrten, so daß sie die Köpfe senken mußten, um die Gesichter ein bißchen zu schützen. Sie sagten beide nichts, als sie dahinschritten, jeder auf den Weg konzentriert. Bis auf das Fauchen des Windes blieb die Nacht still. Flick lauschte aufmerksam, und einmal glaubte er weit im Norden einen lauten Schrei zu hören, der aber im nächsten Augenblick wieder verhallt war. Den Fremden schien die Stille nicht zu beunruhigen. Seine Aufmerksamkeit galt offenbar nur einem ständig wandernden Punkt am Boden, etwa zwei Meter vor ihnen. Er schien genau zu wissen, wohin der andere ging.

Nach einer Weile fiel es Flick schwer, mit dem großen Mann Schritt zu halten. Manchmal mußte er fast laufen, um auf gleicher Höhe zu bleiben. Ein- oder zweimal blickte der Mann auf seinen kleineren Begleiter herunter, sah, daß dieser Schwierigkeiten hatte, Schritt zuhalten, und wurde ein wenig langsamer. Als die Südhänge des Tales endlich näherrückten, ebneten sich die Hügel zu buschbewachsenen Wiesen, die das Erscheinen neuer Wälder ankündigten. Der Weg führte nun ein wenig abwärts, und Flick erkannte mehrere vertraute Merkmale am Ortsrand von Shady Vale. Unwillkürlich verspürte er Erleichterung. Das Dorf und sein eigenes warmes Heim lagen vor ihm.

Der Fremde sprach kein Wort, und auch Flick zögerte, ein Gespräch zu beginnen. Statt dessen versuchte er, den Riesen mit kurzen Seitenblicken zu studieren, ohne diesen das merken zu lassen. Sein Staunen war begreiflich. Das lange, kantige Gesicht, verdunkelt von dem schwarzen Bart, erinnerte ihn an die schrecklichen Dämonen, die ihm, als er noch ein Kind gewesen, strenge Ältere vor den glühenden Scheiten des Kaminfeuers am späten Abend beschrieben hatten. Am erschreckendsten waren die Augen des Fremden — oder vielmehr die tiefen, dunklen Höhlen unter den zottigen Brauen, wo seine Augen sich befinden mußten. Flicks Blicke vermochten die schweren Schatten, die diesen ganzen Gesichts- bereich des Fremden verdeckten, nicht zu durchdringen. Das tief zerfurchte Gesicht schien aus Stein gemeißelt zu sein, starr und ein wenig zum Weg hin geneigt. Während Flick über das undurchdringliche Gesicht nachdachte, fiel ihm plötzlich ein, daß der Fremde noch nicht einmal seinen Namen genannt hatte.

Die beiden befanden sich am Außenrand des Tales, wo der jetzt deutlich sichtbare Weg sich durch hohes, dichtes Gebüsch wand, das beinahe kein Vorankommen mehr erlauben wollte. Der hochgewachsene Fremde blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, den Kopf gesenkt, und lauschte angestrengt.

Flick hielt neben ihm an und wartete still, ebenfalls lauschend, konnte aber nichts wahrnehmen. Sie verharrten scheinbar endlose Minuten lang regungslos, dann drehte sich der große Mann plötzlich herum.

»Schnell! Versteck dich im Gebüsch! Los, lauf!« Er selbst rannte auch auf das hohe Gebüsch zu und stieß Flick vor sich her. Flick hastete angstvoll zur Zuflucht des Buschwerks, während das Bündel auf seinem Rücken klatschte und die Metallgeräte klirrten. Der Fremde riß ihm das Bündel von der Schulter und schob es unter seinen langen Mantel.

»Leise!« zischte er. »Lauf jetzt! Keinen Laut!«

Sie rannten eilig zu der dunklen Gebüschwand, die etwa fünfzehn Meter entfernt war, und der große Mann schob Flick zwischen den belaubten Zweigen hindurch, die ihre Gesichter peitschten, hinein in die Mitte eines großen Gebüschs, wo sie schweratmend stehenblieben. Flick warf einen Blick auf seinen Begleiter und sah, daß dieser nicht durch das Gesträuch auf die Landschaft ringsum blickte, sondern nach oben, wo der Nachthimmel durch das Laub in kleinen Ausschnitten sichtbar war. Für Flick schien der Himmel klar zu sein, als er dem durchdringenden Blick des anderen folgte, und nur die unwandelbaren Sterne funkelten ihn an. Minuten vergingen. Einmal wollte Flick etwas sagen, wurde aber von den starken Händen des Fremden daran gehindert, die warnend nach seinen Schultern griffen. Flick blieb stehen, starrte in die Nacht und strengte auch die Ohren an, um von der angeblichen Gefahr etwas wahrzunehmen. Er bemerkte aber nichts als ihre eigenen schweren Atemzüge und das Rauschen des Windes in den schwankenden Zweigen.