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Balinor nickte und schaute sich nach dem Retter um.

»Er ist zur Ratshalle gegangen, um zu berichten«, sagte der Zwerg.

Balinor winkte den Brüdern, verließ den Hof, zwängte sich wieder durch die Menge und ging voraus zur Ratshalle. Darin befanden sich die Amtsstuben der Räte und die lange Halle, wo der Zwerg Höndel auf einer der langen Bänke saß und gierig aß, während ein Schreiber seinen Bericht aufnahm.

Höndel hob den Kopf, als sie herankamen, starrte die Talbewohner neugierig an und nickte Balinor kurz zu, aß aber unbeirrt weiter. Balinor schickte den Schreiber fort, und die drei Männer setzten sich zu dem gleichgültig wirkenden Zwerg, der erschöpft und ausgehungert wirkte.

»Was für ein Narr, mit dem Schwert auf eine Sirene loszugehen «, murrte er. »Aber sehr mutig. Wie geht es ihm?«

»Nach der Behandlung wird ihm nichts fehlen«, erwiderte Balinor und grinste die Brüder beruhigend an. »Wie habt Ihr ihn gefunden?«

»Hörte ihn schreien.« Der andere aß weiter. »Ich musste ihn fast sieben Meilen tragen, bevor ich auf Pahn und die anderen stieß.«

Er verstummte und starrte die beiden Brüder an, bevor er sich Balinor mit hochgezogenen Brauen zuwandte.

»Freunde des Hochländers — und von Allanon«, sagte Balinor.

Höndel nickte kurz.

»Hätte nie gewußt, wer er ist, wenn er nicht Euren Namen erwähnt hätte«, sagte der Zwerg zu Balinor. »Es wäre nützlich, wenn mir ab und zu jemand erzählen würde, was vorgeht — bevor es passiert, nicht nachher.«

Balinor lächelte die verwirrten Brüder belustigt an und ließ durch ein Augenzwinkern erkennen, daß der Zwerg ein reizbares Wesen war.

»Was habt Ihr aus Sterne und Wayford zu berichten?« fragte Balinor nach einer Pause, auf die großen Südlandstädte südlich und westlich des Anar anspielend.

Höndel hörte auf zu essen und lachte kurz.

»Die führenden Herren der beiden schönen Gemeinden werden die Angelegenheit überdenken und einen Bericht schicken. Typisch untüchtige Beamte, gewählt vom uninteressierten Volk, damit sie mit dem Ball jonglieren, bis man ihn einem anderen Narren zuwerfen kann. Fünf Minuten, nachdem ich den Mund aufgetan hatte, konnte ich erkennen, daß sie mich für verrückt hielten. Sie sehen die Gefahr nicht, bis das Schwert ihre eigene Kehle berührt — dann schreien sie bei jenen von uns, die es von Anfang an gewußt haben, um Hilfe.« Er beugte sich wieder über seine Mahlzeit.

»Das ist wohl zu erwarten gewesen«, meinte Balinor sorgenvoll. »Wie können wir sie von der Gefahr überzeugen? Es hat seit so vielen Jahren keinen Krieg mehr gegeben, daß niemand mehr an ihn glauben will.«

»Das ist nicht das eigentliche Problem, wie Ihr sehr wohl wißt«, warf Höndel aufgebracht ein. »Sie sind einfach nicht der Meinung, betroffen zu sein. Die Grenzen werden schließlich von den Zwergen geschützt, gar nicht zureden von Callahorn und der Grenzlegion. Wir haben das bis jetzt getan — warum nicht auch f fürderhin? Die armen Narren...« Er verstummte entmutigt. Drei Wochen lang war er unterwegs gewesen; wie es schien, erfolglos.

»Ich verstehe nicht, was geschehen ist«, sagte Shea leise.

»Nun, dann sind wir schon zu zweit«, gab Höndel mürrisch zurück. »Ich lege mich zwei Wochen lang ins Bett. Dann sehen wir uns wieder.« Er stand abrupt auf und verließ die Halle ohne Abschiedsgruß. Die drei Männer sahen ihm nach, dann blickte Shea fragend Balinor an, der schließlich sagte:

»Das uralte Problem der Selbstzufriedenheit, Shea.« Er seufzte tief und stand auf. »Wir stehen vielleicht vor dem größten Krieg seit tausend Jahren, aber niemand will es wahrhaben. Alle sind ins gleiche Fahrwasser geraten — ein paar Leute sollen die Tore der Stadt bewachen, während die anderen unbekümmert in ihre Häuser gehen. Das wird zur Gewohnheit — sich auf wenige zu verlassen, die den Rest schützen. Und dann sind eines Tages die wenigen nicht genug, und der Feind steht in der Stadt — alles ist verloren...«

»Wird es wirklich einen Krieg geben?« fragte Flick dumpf.

»Genau das ist die Frage«, erwiderte Balinor langsam. »Der einzige, der uns die Antwort geben kann, ist fort — und überfällig.«

In der Aufregung, Menion wohlbehalten wiedergefunden zu haben, hatten die Brüder Allanon vorübergehend vergessen.

Nun stellten sich die alten Fragen mit neuer Dringlichkeit, aber die Talbewohner hatten in den vergangenen Wochen gelernt, damit zu leben, so daß sie alle Zweifel wieder einmal beiseite schoben. Balinor winkte ihnen, als er zur Tür ging, und sie folgten ihm bereitwillig.

»Bei Höndel dürft ihr euch nichts denken«, versicherte ihnen der hochgewachsene Mann, als sie nebeneinander hergingen.

»Er ist bei allen so unwirsch, aber einer der besten Freunde, die man sich vorstellen kann. Er hat die Gnomen am oberen Anar seit Jahren bekämpft und besiegt, seine Leute und die selbstzufriedenen Bürger des Südlandes geschützt, die so gern vergessen, welche entscheidende Rolle die Zwerge als Wächter an dieser Grenze spielen. Die Gnomen würden ihn nur zu gern in ihre Hände bekommen.«

Shea und Flick schwiegen, beschämt von der Tatsache, daß die Angehörigen ihrer eigenen Rasse so selbstsüchtig waren; sie begriffen aber auch, daß sie bis dahin nichts von der Lage im Anar gewußt hatten. Der Gedanke an neuerliche Feindseligkeiten zwischen den Rassen beunruhigte sie zutiefst.

»Warum geht ihr beiden nicht zu den Gärten zurück?« fragte der Prinz von Callahorn. »Ich lasse euch verständigen, sobald über Menions Verfassung mehr bekannt ist.«

Die Brüder erklärten sich widerstrebend einverstanden, weil sie wußten, daß ihre Einflußmöglichkeiten gering waren.

Bevor sie sich an diesem Abend zu Bett begaben, gingen sie dort vorbei, wo Menion in einem Zimmer lag, aber ein Zwerg, der Wache hielt, erklärte ihnen, ihr Freund schlafe und dürfe nicht gestört werden.

Am folgenden Nachmittag jedoch war Menion wach und durfte besucht werden. Selbst Flick war erleichtert, ihn gesund und wohlbehalten zu sehen, obwohl er wieder einmal feierlich betonte, er habe ihr Mißgeschick seinerzeit richtig vorausgesagt, als sie sich darauf eingelassen hätten, durch die Schwarzen Eichen zu ziehen. Menion und Shea lachten, ließen ihn aber räsonieren. Sie tauschten ihre Erfahrungen aus und wunderten sich über die unerklärlichen Vorgänge, für die es keine logischen Grundlagen gab.

Am frühen Abend desselben Tages kam die Nachricht, daß Allanon zurückgekehrt sei. Shea und Flick wollten gerade ihre Zimmer verlassen, um Menion zu besuchen, als sie die aufgeregten Rufe von Zwergen vernahmen, die an ihrem Fenster vorbei zur Ratshalle eilten, wo eine Versammlung stattfinden sollte. Die besorgten Talbewohner hatten noch keine zwei Schritte zur Tür hinaus getan, als sie von vier Wachen abgeholt und durch die Menge geführt wurden, vorbei an den offenen Türen der großen Halle zu einem kleinen Raum, in dem sie bleiben sollten. Die Zwerge schlössen von außen wortlos die Türen, verriegelten sie und nahmen draußen Aufstellung.

Das Zimmer war hell erleuchtet und ausgestattet mit langen Bänken und Tischen; Shea und Flick setzten sich verwirrt.

Die Fenster waren geschlossen und vergittert. Aus der Halle hörten sie die tiefe Stimme des Redners herüber.

Einige Minuten später ging die Tür auf, und Menion wurde von zwei Wachen hereingeführt. Als sie allein waren, berichtete der Prinz, aus Gesprächsfetzen entnommen zu haben, daß die Zwerge in Culhaven und vermutlich im ganzen Anar sich auf den Krieg vorbereiteten. Die Nachrichten, die Allanon mitgebracht hatte, schienen Erregung ausgelöst zu haben.

In der Halle nebenan erhob sich Geschrei, das anschwoll und draußen von den Zwergen aufgenommen wurde. Auf dem Höhepunkt des Lärms wurde plötzlich die Tür zu ihrem Zimmer aufgerissen, und die dunkle, riesige Gestalt Allanons stand vor ihnen.

Er ging auf die Talbewohner zu, drückte ihnen die Hände und beglückwünschte sie zu ihrer erfolgreichen Ankunft in Culhaven. Er war gekleidet wie bei der ersten Begegnung mit Flick, das schmale Gesicht war in der langen Kapuze halb verborgen. Er begrüßte Menion höflich, trat an einen Tisch und bedeutete den anderen, sich zu setzen. Hinter ihm waren Balinor und eine Anzahl Zwerge hereingekommen, offenbar führende Persönlichkeiten im Ort, unter ihnen der reizbare Höndel. Das Ende des Zuges bildeten zwei schlanke, fast schattenhafte Gestalten in weiter Waldbewohnerkleidung, die sich wortlos zu Allanon setzten. Shea entschied nach einem kurzen Blick, daß sie Elfen aus dem fernen Westland sein mußten. Ihre scharfen Züge, von den steilen Brauen bis zu den seltsam spitzen Ohren, deuteten darauf hin. Shea bemerkte, daß Flick und Menion sein Aussehen mit dem der Fremden verglichen. Noch keiner hatte einen Elf gesehen und mit Shea vergleichen können.