»Was könnt Ihr also bieten?« fragte Allanon trocken. Shea und Flick waren offenkundig wie gelähmt.
»Ich bin der beste Bogenschütze im Südland«, erwiderte Menion. »Vielleicht auch der beste Fährtensucher.«
Allanon schien kurz zu zögern, dann warf er einen Blick auf Balinor, der die Achseln zuckte. Menion lächelte kühl.
»Warum sollte ich euch Rede und Antwort stehen?« fragte er Allanon.
Die schwarze Gestalt blickte ihn beinahe verwundert an, während Balinor unwillkürlich einen Schritt zurücktrat, Shea wußte sofort, daß Menion eine Herausforderung im Sinn hatte und daß alle am Tisch über den unheimlichen Allanon etwas wußten, nur die drei Reisenden nicht. Shea stand plötzlich auf und räusperte sich. Alle blickten in seine Richtung, er räusperte sich.
»Hast du etwas zu sagen?« fragte ihn Allanon. Shea nickte und warf einen Blick auf seinen Bruder, der ihm kaum merklich zunickte. Shea räusperte sich ein zweitesmal.
»Mein besonderes Talent scheint zu sein, daß ich in die falsche Familie hineingeboren worden bin, aber ich halte wohl besser durch. Flick und ich — und Menion — gehen mit nach Paranor.«
Allanon nickte befriedigt und lächelte sogar ein wenig, im Innersten erfreut über den jungen Talbewohner. Shea mußte, vor allen anderen, stark sein. Er war der letzte Sohn des Hauses Shannara, und das Schicksal von so vielen hing von diesem einen kleinen Zufall ab.
Menion Leah hatte sich hingesetzt und atmete ein wenig auf. Er hatte Allanon bewußt herausgefordert und damit Shea veranlaßt, ihm zu Hilfe zu kommen, indem er sich bereit erklärte, nach Paranor zu gehen. Es war ein verzweifeltes Hasardspiel gewesen, den kleinen Talbewohner zu einer Entscheidung zu bringen. Der Hochländer hätte sich beinahe auf eine tödliche Konfrontation mit Allanon eingelassen. Er hatte Glück gehabt. Er fragte sich, ob ihnen das Glück auch bei dieser bevorstehenden Reise beistehen würde.
9
Shea stand stumm in der Dunkelheit vor der Halle und ließ die kühle Nachtluft über sein heißes Gesicht streichen. Flick war rechts von ihm postiert, das Gesicht blickte grimmig im Mondlicht. Menion lehnte lässig an einer hohen Eiche. Die Beratung war beendet, und Allanon hatte sie gebeten, auf ihn zu warten. Der Wanderer befand sich noch im Innern des Gebäudes und besprach letzte Einzelheiten mit den Zwergen-Älteren. Balinor war bei ihnen, um den Einsatz der berühmten Grenzlegion mit jenem der Zwergen-Armee abzustimmen.
Shea war froh, im Freien zu sein, wo er noch einmal in Ruhe über seine Entscheidung nachdenken konnte. Er sah ein, daß ihm kein anderer Weg offen geblieben war; er mußte sich damit abfinden, daß er nicht länger nur der Adoptivsohn Curzad Ohmsfords war, sondern der Sohn des Elfen-Hauses Shannara, der Nachkomme von Königen, der Erbe des legendären Schwertes, und auch wenn er es sich anders gewünscht haben mochte, mußte er auf sich nehmen, was das Schicksal ihm zudiktierte.
Er blickte seinen Bruder an, der gedankenverloren auf die dunkle Erde starrte. Flick war mutig und liebte ihn, aber er hatte nicht mit dieser unerwarteten Wendung rechnen können, die sie ins Herz des feindlichen Landes führen würde.
»Früher hätte ich geschworen, daß ich mein Leben ohne große Ereignisse in Shady Vale verbringen werde«, meinte Flick halblaut. »Und jetzt sieht es so aus, als würde ich teilhaben an dem Versuch, die Menschheit zu retten.«
»Meinst du, ich hätte mich anders entscheiden sollen?« fragte Shea nach einer Pause.
»Nein, das glaube ich nicht.« Flick schüttelte den Kopf.
»Aber erinnere dich an das, was wir auf der Reise hierher gesprochen haben — daß die Dinge nicht unserem Einfluß unterliegen, daß wir sie nicht einmal begreifen. Du siehst, wie wenig wir darüber zu bestimmen haben, was aus uns werden wird.« Er sah seinen Bruder an. »Ich glaube, du hast richtig entschieden, und was auch kommen mag, ich stehe auf deiner Seite.«
Shea lächelte breit und legte die Hand auf Flicks Schulter.
Es war genau das, was er von Flick erwartet hatte. Er bemerkte, daß Menion von der anderen Seite herankam, und drehte sich herum.
»Du wirst mich wohl für einen Dummkopf halten, nach den Dingen, die im Haus passiert sind«, sagte Menion. »Aber der Dummkopf stellt sich hinter den alten Flick. Was auch geschehen mag, wir stehen zusammen.«
»Du hast das nur gemacht, um Shea zu veranlassen, daß er mitgeht, nicht wahr?« sagte Flick aufgebracht. »Das ist das Hinterlistigste, was mir je begegnet ist!«
»Laß das, Flick.« sagte Shea. »Menion wußte, was er tat, und er hat richtig gehandelt. Ich hätte mich ohnehin nicht anders entschieden — das hoffe ich jedenfalls. Jetzt müssen wir die Vergangenheit hinter uns lassen, unsere Meinungsverschiedenheiten vergessen und zusammenhalten, um die Gefahren zu bestehen.«
Die Tür zum Besprechungszimmer ging plötzlich auf, und Balinor trat heraus. Er lächelte ein wenig.
»Ich bin froh, daß ihr euch alle entschlossen habt mitzukommen «, sagte er. »Ohne dich wäre das Unternehmen aussichtslos gewesen, Shea, das muß ich sagen. Ohne den Erben von Jede Shannara ist das Schwert nur ein Ding aus Metall.«
»Was könnt Ihr uns über diese magische Waffe sagen?« fragte Menion.
»Das überlasse ich Allanon«, erwiderte Balinor. »Er wird bald herauskommen und mit euch reden.«
Menion nickte, während Shea und Flick einen Blick tauschten. Endlich würden sie erfahren, was im Nordland vorging.
»Warum seid Ihr hier, Balinor?« fragte Flick.
»Das ist eine lange Geschichte — sie würde euch nicht interessieren«, antwortete der andere. »Meine Familie und ich verstehen uns in der letzten Zeit nicht gut. Mein jüngerer Bruder und ich hatten — Meinungsverschiedenheiten, und ich wollte die Stadt eine Weile verlassen. Allanon bat mich, ihn zum Anar zu begleiten. Höndel und die anderen sind alte Freunde, und ich war einverstanden.«
»Kommt mir bekannt vor«, sagte Menion trocken. »Dergleichen erlebe ich auch öfter.«
Balinor nickte und lächelte schief, aber Shea merkte, daß er die Dinge nicht als komisch empfand. Was ihn auch veranlaßt haben mochte, Callahorn zu verlassen, es war ernster als alles, was Menion je in Leah begegnet war.
»Was könnt Ihr uns über Allanon sagen?« erkundigte sich Flick hastig. »Wir scheinen ihm sehr viel Vertrauen entgegenzubringen, ohne viel über ihn zu wissen. Wer ist er?«
Balinor zog die Brauen hoch und schmunzelte, dann entfernte er sich ein paar Schritte, kam aber sofort wieder zurück und deutete auf das Fenster.
»Ich weiß eigentlich selbst nicht sehr viel über ihn«, sagte er. »Er reist viel, durchwandert das Land und zeichnet die Veränderungen auf, denen er begegnet. Er ist überall bekannt — ich glaube, er hat alle Nationen besucht. Das Ausmaß seines Wissens über diese Welt ist ungewöhnlich — das meiste davon steht nicht in Büchern. Er ist sehr bemerkenswert...«
»Aber wer ist er?« drängte Shea.
»Ich kann es nicht mit Gewißheit sagen, weil er sich auch mir nicht ganz anvertraut hat, obwohl er mich fast wie einen Sohn behandelt«, sagte Balinor leise. »Die Älteren der Zwerge und meines eigenen Reiches sagen, er sei der Größte der Druiden, von jenem fast vergessenen Rat, der die Menschen vor über tausend Jahren regiert hat. Sie sagen, er sei ein direkter Nachkomme des Druiden Brimen — vielleicht sogar von Galaphile selbst. Ich glaube, daran ist etwas Wahres, weil er oft in Paranor gewesen und dort lange geblieben ist, um seine Erkenntnisse in den großen Büchern niederzulegen.« Er schwieg einen Augenblick, und seine Zuhörer sahen sich an und fragten sich, ob der düstere Historiker wahrhaftig ein direkter Nachkomme der Druiden sein konnte. Shea hatte schon früher vermutet, daß Allanon einer der alten Philosophen und Lehrer sei, die man Druiden genannt hatte, und es hatte den Anschein, als besitze der Mann ein größeres Wissen von den Rassen und den Ursprüngen der Bedrohung, der sie sich gegenübersahen, als irgendein anderer.