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Dann, gerade als Flick seine müden Glieder entlasten und sich hinsetzen wollte, wurde der Himmel plötzlich von etwas Riesigem, Schwarzem verdunkelt, das vorbeischwebte und wieder verschwand. Einen Augenblick später tauchte es wieder auf, kreiste langsam, und sein Schatten hing drohend über den beiden versteckten Wanderern, als wolle er sich im nächsten Moment auf sie herabsenken. Ein plötzliches Gefühl des Entsetzens durchzuckte Flicks Gemüt und hielt es in eisernem Netz gefangen, als es den gräßlichen, nach innen dringenden Wahnsinn zu fliehen versuchte. Etwas schien in seine Brust hinabzugreifen und langsam die Luft aus seinen Lungenflügeln zu quetschen, und er bemerkte, daß er nach Luft rang. Die scharf umrissene Vision einer schwarzen Erscheinung, durchschossen von Rot, mit Klauenhänden und Riesenschwingen, zog an ihm vorbei, von einem so bösen Wesen, daß sein bloßes Dasein Flicks zerbrechliches Leben zu bedrohen schien. Einen Augenblick lang glaubte der junge Mann schreien zu müssen, womit er sich verraten hätte, aber die Hand des Fremden umklammerte hart seine Schulter und riß ihn vor dem Abgrund zurück. Der Riesenschatten verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war, und zurück blieb nur der friedliche Himmel der Nacht.

Die Hand auf Flicks Schulter lockerte langsam den Griff, und der Talbewohner sank schlaff und von kaltem Schweiß bedeckt zu Boden. Der große Mann ließ sich lautlos neben seinem Begleiter nieder. Über sein Gesicht huschte ein schwaches Lächeln. Er legte eine große Hand auf die von Flick und tätschelte sie wie die eines Kindes.

»Komm, komm, junger Freund«, flüsterte er, »du lebst und bist gesund, und das Tal liegt vor dir.«

Flick schaute hinauf in das gelassene Gesicht des anderen, die Augen furchtgeweitet.

»Dieses Ding! Was war dieses furchtbare Ding?«

»Nur ein Schatten«, erwiderte der Mann leichthin. »Aber das ist weder die Zeit noch der Ort, sich mit solchen Dingen zu befassen. Wir sprechen später darüber. Jetzt möchte ich etwas essen und an einem warmen Feuer sitzen, bevor ich die Geduld ganz verliere.« Er half Flick auf die Beine und gab ihm sein Bündel zurück. Dann zeigte er mit einer weiten Armbewegung auf den Weg. Sie verließen die Deckung des Strauchwerks, Flick nicht ohne Bedenken, mit häufigen Blicken zum Nachthimmel. Man hätte aber auch meinen können, daß das Ganze nur einer überhitzten Phantasie entsprungen sei. Flick dachte ernsthaft nach und entschied, daß er für einen Abend genug hatte, was immer es auch gewesen sein mochte; zuerst dieser namenlose Riese, dann der furchterregende Schatten.

Er schwor sich im Stillen, es sich zweimal zu überlegen, bevor er sich nachts wieder so weit hinauswagen würde.

Einige Minuten später wurden Bäume und Dickicht dünner, und in der Dunkelheit flackerte gelbes Licht. Ais sie näher kamen, nahmen in der Düsternis die verschwommenen Umrisse von Gebäuden als quadratische und rechteckige Gebilde Form an. Der Pfad verbreiterte sich zu einer glatteren Landstraße, die geradewegs in den Ort führte, und Flick lächelte die Lichter, die durch die Fenster der stillen Häuser freundlich grüßten, dankbar an. Niemand war auf der Straße unterwegs; wären die Lichter nicht gewesen, hätte man sich fragen können, ob hier überhaupt jemand lebte. Flicks Gedanken waren aber von solchen Fragen weit entfernt. Er überlegte schon, wieviel er seinem Vater und Shea erzählen sollte, um sie nicht unnötig mit fremdartigen Schatten zu beunruhigen, die leicht nur Produkte seiner Phantasie und der düsteren Nacht gewesen sein konnten. Der Fremde neben ihm mochte später einige Aufklärung geben können, aber bis jetzt hatte er sich nicht als sehr gesprächig erwiesen. Flick blickte unwillkürlich wieder auf die hochgewachsene Gestalt neben ihm. Erneut überlief es ihn kalt. Die Schwärze des Mannes schien von seinem Mantel und der Kapuze über den gesenkten Kopf und die schmalen Hände zu fließen und alles in Düsternis zu tauchen. Wer immer er sein mochte, Flick war überzeugt davon, daß er ein gefährlicher Feind sein würde.

Sie gingen langsam zwischen den Gebäuden des Dorfes dahin, und Flick sah durch die Holzrahmen der breiten Fenster Fackeln brennen. Die Häuser selbst waren lange, niedrige Bauten, jeder nur mit einem Geschoß unter einem flach geneigten Dach, das meist an einer Seite herabführte und eine kleine Veranda bedeckte, getragen von dicken Stangen an einem langen Vorbau. Die Häuser bestanden aus Holz, einige verfügten über Steinfundamente und Steinfassaden. Flick blickte durch die Fenster mit ihren Vorhängen, erhaschte hier und dort einen Blick auf die Bewohner, und der Anblick vertrauter Gesichter tröstete ihn in der Dunkelheit. Es war eine furchterregende Nacht gewesen, und er war erleichtert, wieder zu Hause unter Leuten zu sein, die er kannte.

Der Fremde blieb für all dies unempfänglich. Er begnügte sich mit einem beiläufigen Blick auf den Ort und hatte, seitdem sie ihn erreicht hatten, noch kein einziges Wort gesprochen.

Flick wunderte sich immer noch darüber, wie der ändere ihm folgte. Er ging Flick gar nicht nach, sondern schien genau zu wissen, wohin der junge Mann sich wenden wollte. Wenn die Straße sich gabelte, fiel es dem Schwarzen nicht schwer, den richtigen Weg selbst zu finden, obwohl er Flick kein einzigesmal ansah und auch nie den Kopf hob, um sich zu orientieren.

Die beiden erreichten bald den Gasthof. Es war ein großer Bau, bestehend aus einem Hauptgebäude mit Veranda und zwei langen Flügelbauten, die auf beiden Seiten vorne und hinten hinausgingen. Er war errichtet aus riesigen Stämmen, auf einem hohen Steinfundament verfugt, und bedeckt von dem vertrauten Holzschindeldach, das aber hier viel höher war als bei den Wohnhäusern. Das Hauptgebäude war hell erleuchtet, und aus dem Inneren drangen gedämpfte Stimmen, vermischt mit Lachen und Rufen. Die Flügelbauten des Gasthofs lagen im Dunkeln; dort befanden sich die Schlafräume der Gäste. Es roch nach Braten, und Flick ging schnell voraus über die Holzstufen der langen Veranda zu der breiten Doppeltür in der Mitte des Hauses. Der Fremde folgte wortlos.

Flick schob den schweren Schnappriegel zurück und zog an den Türknöpfen. Die große Tür auf der rechten Seite ging auf, und sie traten in einen großen Aufenthaltsraum mit Bänken, hochlehnigen Stühlen und mehreren langen, schweren Holztischen an der Seiten- und Rückwand. Der Raum war hell erleuchtet von zahlreichen Kerzen auf den Tischen und in den Wandhaltern sowie von dem großen offenen Kamin in der Mitte der linken Wand; Flick war für kurze Zeit geblendet, denn seine Augen mußten sich erst an die Lichtfülle gewöhnen.

Er kniff sie zusammen und blickte vorbei an Kamin und Mobiliar zur geschlossenen Doppeltür an der Rückwand und hinüber zur langen Theke, die entlang der rechten Wand verlief. Die an der Theke versammelten Männer hoben die Köpfe, als die beiden hereinkamen, und ihre Gesichter verrieten unverhohlenes Erstaunen über die Erscheinung des Fremden. Flicks stummer Begleiter schien aber keinen der Männer wahrzunehmen, und diese kehrten deshalb schnell zu ihren Gesprächen und Getränken zurück. Die beiden Männer blieben noch kurze Zeit an der Tür stehen, während Flick sich ein zweitesmal in der Runde nach seinem Vater umsah. Der Fremde wies auf die Stühle an der linken Seite und sagte: »Ich setze mich, während du deinen Vater holst. Vielleicht können wir gemeinsam essen, wenn du zurückkommst.« Er ging zu einem kleinen Tisch an der Rückseite des Raumes und setzte sich von den Männern an der Theke abgewandt. Flick beobachtete ihn für Augenblicke, dann ging er schnell zur Doppeltür an der Rückwand und trat hindurch in den Korridor.

Sein Vater war vermutlich in der Küche und aß mit Shea zu Abend. Flick eilte durch den Flur, vorbei an mehreren geschlossenen Türen, bevor er die Küche erreichte. Als er eintrat, begrüßten die beiden Köche im hinteren Teil des Raumes den jungen Mann fröhlich. Sein Vater saß an einer langen Theke auf der linken Seite. Wie Flick vermutet hatte, war er gerade am Ende der Mahlzeit angelangt. Er hob eine kräftige Hand zur Begrüßung.