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Der hochgewachsene Mann schien gegen eine innere Wut von großer Heftigkeit anzukämpfen.

»Narr... du Narr«, fauchte der Riese. »Du weißt so wenig... Kinder seid ihr! Was weiß die Menschheit von der Wahrheit — was hat der Mensch anderes getan, als sich zu verstecken, in den tiefsten Gebieten des Südlandes wie ein entsetztes Kaninchen angstvoll in seinen Bau zu kriechen? Du wagst zu sagen, daß ich ein Märchen verbreite — du, der du in deinem behüteten Tal nie etwas von Mühsal erlebt hast. Ich bin gekommen, um das Blut von Königen zu finden, aber entdeckt habe ich einen kleinen Jungen, der mich zutiefst enttäuscht. Du bist nichts als ein Kind!«

Flick wünschte sich, im Boden versinken oder einfach verschwinden zu können, als er zu seiner Verblüffung Shea aufspringen sah, das schlanke Gesicht zorngerötet, die Fäuste geballt. Shea war so von Wut übermannt, daß er nicht sprechen konnte und zitternd vor Zorn und Demütigung seinem Ankläger gegenüberstand. Allanon war jedoch nicht beeindruckt.

»Halt, Shea! Sei nicht ein noch größerer Narr! Achte auf das, was ich dir jetzt sage. Alles, was ich dir erzählt habe, ist durch die Zeiten als Legende überliefert und den Menschen so mitgeteilt worden. Aber die Zeit für Märchen ist vorbei.«

»Was ich dir mitgeteilt habe, ist nicht Legende, sondern Wahrheit.

Das Schwert gibt es wirklich; es liegt in Paranor. Doch was das Wichtigste ist: Der Dämonen-Lord ist Wirklichkeit!

Er lebt heute, und das Schädelreich ist sein Gebiet!«

Shea zuckte zusammen. Er begriff, daß der Mann nicht bewußt log — daß er das Ganze nicht für ein Märchen hielt. Er atmete tief ein und setzte sich langsam, den Blick noch immer auf das dunkle Gesicht gerichtet. Plötzlich kamen ihm die Worte des Historikers zum Bewußtsein.

»Ihr sagtet >Könige<... Ihr sucht einen König...?«

»Wie lautet die Legende des Schwerts von Shannara? Wie die Inschrift auf dem Tre-Steinblock?«

Shea konnte sich nicht erinnern. Er antwortete:

»Ich weiß es nicht... kann mich nicht entsinnen. Irgend etwas von einem nächsten Mal...«

»Von einem Sohn!« sagte Flick plötzlich. »Wenn der Dämonen-Lord wieder im Nordland erscheine, werde ein Sohn des Hauses Shannara auftreten und das Schwert gegen ihn ergreifen.

Das war die Legende!«

Shea blickte erregt Allanon an.

»Wie betrifft mich das?« fragte er schnell. »Ich bin kein Sohn des Hauses Shannara — ich bin nicht einmal ein Elf. Ich bin ein Halbblut, kein Elf, kein König. Eventine ist der Erbe des Hauses Shannara. Wollt Ihr behaupten, ich sei ein verlorener Sohn — ein vermißter Erbe? Das glaube ich nicht!«

»Du hast Elfen-Blut in dir, Shea, du bist nicht der leibliche Sohn Curzad Ohmsfords. Das weißt du. Und Eventine entstammt nicht direkt dem Haus Shannara.«

»Ich habe immer gewußt, daß ich ein Adoptivsohn bin«, gab Shea zu, »aber ich kann doch nicht von... Flick, sag es ihm!«

Aber sein Bruder starrte ihn nur verwundert an. Shea verstummte plötzlich und schüttelte ungläubig den Kopf, während Allanon nickte und sagte.

»Du bist ein Sohn des Hauses Shannara — aber nur halb, und weit entfernt von der direkten Abstammungsfolge, die man in den letzten fünfhundert Jahren zurückverfolgen kann.

Ich habe dich als Kind gekannt, Shea, bevor du bei den Ohmsfords wie ein eigenes Kind aufgenommen worden bist.

Deine Mutter gehörte zur Rasse der Menschen. Dein Vater war von den Elfen — ein großer Mann. Sie starben beide, als du noch sehr klein warst, und du bist zu Curzad Ohmsford gekommen und von ihm wie sein eigener Sohn aufgezogen worden. Aber du bist ein Nachkomme Jerle Shannaras, wenn auch ein entfernter und nicht von reinem Elfenblut.«

Shea nickte abwesend, verwirrt und immer noch argwöhnisch.

Flick sah seinen Bruder an, als habe er ihn noch nie gesehen.

»Was bedeutet das alles?« fragte er Allanon.

»Was ich euch erzählt habe, ist auch dem Herrn der Dunkelheit bekannt, obwohl er noch nicht weiß, wo du lebst oder wer du bist. Aber seine Abgesandten werden dich früher oder später finden, und dann wirst du vernichtet.«

Sheas Kopf zuckte hoch, und er sah Flick erschrocken an, als er sich an den Bericht über den riesigen Schatten am Rand des Tales erinnerte. Auch sein Bruder fühlte sich von einem kalten Hauch angeweht.

»Aber warum?« fragte Shea stockend. »Was habe ich getan, um das zu verdienen?«

»Du mußt noch vieles begreifen lernen, bevor du die Antwort auf diese Frage verstehen kannst, Shea«, erwiderte Allanon, »und ich habe nicht die Zeit, dir jetzt alles zu erklären.

Du mußt mir glauben, wenn ich dir sage, daß du von Jerle Shannara abstammst, daß du Elfenblut in dir hast und daß die Ohmsfords dich nur aufgenommen haben. Du bist nicht der einzige Sohn des Hauses Shannara, aber der einzige, der heute noch lebt. Die anderen waren Elfen, man fand sie leicht und tötete sie. Das hat den Schwarzen Lord so lange gehindert, dich zu finden — er ahnte nicht, daß es im Südland einen Halbsohn gibt. Von den Elfen-Söhnen wußte er.

Aber wisse dies, Shea. Die Macht des Schwertes ist grenzenlos — es ist die eine große Furcht, mit der Brona lebt, die einzige Macht, der er vielleicht nicht standzuhalten vermag.

Die Legende vom Schwert ist ein mächtiges Amulett in den Händen der Rassen, und Brona möchte der Legende ein Ende bereiten. Er wird es dadurch erreichen, daß er das ganze Haus Shannara ausrottet, damit kein Sohn mehr auftreten und das Schwert gegen ihn erheben kann.«

»Aber ich wußte nicht einmal von dem Schwert«, wandte Shea ein. »Ich wußte nicht einmal, wer ich war, wußte nichts vom Nordland oder —«

»Darauf kommt es nicht an!« unterbrach ihn Allanon scharf. »Wenn du tot bist, gibt es keinen Zweifel über dich mehr.« Seine Stimme verlor sich in einem Murmeln, und er blickte wieder zu den fernen Berggipfeln hinüber. Shea ließ sich im Gras langsam zurücksinken und starrte in das blasse Blau des Spätwinterhimmels, über den kleine Wölkchen zogen.

Er schloß die Augen und dachte an sein Leben im Tal, an die gemeinsamen Pläne mit Flick, an ihre Hoffnungen. Sie würden alle in Rauch aufgehen, wenn zutraf, was er erfahren hatte. Schließlich setzte er sich wieder auf.

»Ich weiß nicht, was ich denken soll«, sagte er langsam. »Es gibt so viele Fragen, die ich Euch stellen muß. Der Gedanke, etwas anderes zu sein als ein Ohmsford, verwirrt mich — jemand zu sein, den der Tod durch die Hand eines — einer Legende bedroht. Was, meint Ihr, soll ich tun?«

Allanon lächelte zum erstenmal freundlich.

»Im Augenblick nichts. Noch droht dir keine unmittelbare Gefahr. Denk über alles nach, was ich dir gesagt habe, und wir sprechen ein andermal über die Folgen. Da beantworte ich gern alle deine Fragen. Aber sprecht mit keinem darüber, auch nicht mit eurem Vater. Das gilt für euch beide. Tut so, als habe dieses Gespräch nicht stattgefunden, bis wir Gelegenheit haben, uns näher mit den Problemen zu beschäftigen. «

Die beiden jungen Männer nickten und sahen einander an.

Allanon erhob sich lautlos und streckte sich, bevor er auf die Brüder hinuntersah, die ebenfalls aufgestanden waren.

»Legenden und Mythen, die es in der Welt von gestern nicht gegeben hat, wird es in der von morgen geben. Böses, unbarmherzig und verschlagen, wird, nachdem es Jahrhunderte geschlummert hat, erwachen. Der Schatten des Dämonen-Lords wird auf die vier Länder fallen.« Er schwieg kurze Zeit. »Ich wollte nicht grob werden«, sagte er mit sanfter Stimme, »aber wenn dies das Schlimmste ist, was in den kommenden Tagen geschehen wird, solltet ihr froh sein. Du stehst langfristig vor einer echten Bedrohung, Shea, nicht vor einem Märchen, das man lachend abtun kann. Nichts, was geschieht, wird gerecht für dich sein. Du wirst vieles über das Leben lernen, das dir nicht gefallen wird.« Er verstummte, ein langer, grauer Schatten vor dem Grün der Hügel. Eine Hand griff kurz nach Sheas Schulter, dann wandte er sich ab und verschwand.