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Moulders Hände waren jetzt frei wie die von allen Shanghaiten. Nach seiner Machtdemonstration schien Kapitän Raven zu glauben, die Männer ausreichend eingeschüchtert zu haben.

Und so war es wohl auch. Kreuzbrav standen die Entführten in einer ordentlichen Reihe vor dem Achterdeck, wo John Raven und Cyrus Stanford einen nach dem anderen in die Musterrolle eintrugen.

Jacob lag bäuchlings unter dem Großmast und bemühte sich, ruhig und kräftig durchzuatmen, um rasch wieder zu Kräften zu kommen.

Er schämte sich, daß sein Körper nach der Strafe derart geschwächt war.

Gewiß, es war eine harte Strafe. Aber er hatte schon von Schiffen gehört, auf denen aufsässigen Mannschaftsmitgliedern noch viel mehr Peitschenhiebe verabreicht wurden.

Daß ihn, der er doch jung und stark war, schon die fünfundzwanzig Hiebe so mitgenommen hatten, führte er auf Stanfords besondere Kunstfertigkeit in dieser blutigen Tätigkeit zurück. Der Erste Steuermann des Walfängers hatte es nur zu gut verstanden, den Delinquenten so zu treffen, daß jeder Schlag die Wirkung von mehreren besaß.

Jock Moulder tauchte seine Hände wieder in den hölzernen Kübel und verteilte eine weitere dicke Schicht der gelblichen Paste auf Jacobs Rücken.

»Was ist das für ein Zeug?« erkundigte sich der Deutsche.

»Keine Ahnung. Sie ham Elihu Brown auch damit behandelt. Ich hab nach Walfett gefragt, aber das hatten'se nicht. Erstaunlich für einen Walfänger.« Seine Stimme wurde leiser, und er raunte: »Überhaupt is' auf diesem Schiff einiges seltsam.«

»Wieso? Was meinen Sie?«

»Ich hab mich ein wenig auf dem Kahn umgesehen, als ich das Fett holen ging. Ich war ja in meinem Leben schon auf mehreren Walfängern, aber solch einen hab ich noch nich' kennengelernt.«

Eine von Moulders schlanken, jetzt fettbeschmierten Händen zeigte mit ausgestrecktem Finger in Richtung Fockmast, vor dem sich das Schutzdach der Trankocherei erhob.

»Muß lange her sein, daß sie hier Wale gefangen ham, ziemlich lange. Hab mir kurz die Kocherei angesehen, die Kessel und auch den Kühlbehälter. Das sieht aus wie abgelegt. Als sei die ganze Anlage niemals auch nur mit einem Tropfen Walöl in Berührung gekommen. Nicht mal Feuerholz ham'se dort gelagert, um die Öfen im Fall eines Fanges schnell anheizen zu können.«

»Und?« fragte Jacob verständnislos.

»Wenn du keine verfluchte Landratte wärst, wüßtest du, was das bedeutet. Wenn ein Walfänger auf einen Wal oder eine ganze Bande von diesen Riesenviechern stößt, is' Eile geboten. Die Tiere müssen schnell zerlegt und zerkocht werden, damit man möglichst viele erwischt, bevor sie weiterziehen. Darauf is' man hier an Bord aber gar nicht vorbereitet.«

Er kicherte verächtlich und schnaubte: »Sie ham ja noch nicht mal leere Fässer an Bord!«

»Leere Fässer?« echote Jacob. »Wozu braucht man die?«

»Na, um das Walöl reinzufüllen«, antwortete Moulder und schüttelte den Kopf über soviel Unwissenheit der Landratte.

Jacob nickte. Jetzt verstand er. Und er machte sich seine Gedanken über John Raven und sein seltsames Schiff.

»Das alles ist sehr geheimnisvoll«, murmelte der Deutsche.

»Was?« fragte der Seemann, während er seine Hände an der bunten, viel zu weiten Kalikohose abwischte.

»Die Fahrt der LUCIFER, Jock. Sie haben ganz recht, es sieht nicht so aus, als wolle Kapitän Raven auf Walfang gehen. Aber was hat er dann vor? Schließlich hat er eine ziemlich große Mannschaft hier versammelt.« Bitter fügte er hinzu: »Und das zum Teil mit roher Gewalt!«

»Yeah, Kumpel, is' mir auch schon aufgefallen. Sind doppelt so viele Männer an Bord, als nötig wäre. Eine kleine Armee.« Moulder kicherte wieder. »Wirkt eh wie ein Kriegsschiff, die LUCIFER.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Mußt dich nur mal über die Reling beugen, wenn dein Rücken das wieder zuläßt. Dann siehst du die Stückpforten, neun auf jeder Seite. Hatte leider keine Zeit nachzusehen, ob auch Kanonen dahinter stecken.«

»Vielleicht war die LUCIFER früher mal ein Kriegsschiff«, suchte Jacob nach einer sinnvollen Erklärung.

»Vielleicht is' sie es jetzt noch, auf irgendeine Art und Weise«, erwiderte Moulder und streckte wieder seine Hand aus, erst zum Bug, dann zum Heck. »Ob im Bauch dieses Teufelsschiffes Kanonen stecken, weiß ich nich'. Aber an Bug und Heck ist je eine Drehbasse mit 'ner eisenrohrigen Lady aufgebaut. Zweiunddreißigzigpfünder, wenn ich mich nich' irre.«

Eine fremde Stimme mischte sich in das Gespräch: »Was quatscht ihr da, he?« es war der harte, russisch gefärbte Dialekt des Steuermannsmaates Petrov. Der Pockennarbige hatte sich von der Steuerbordseite genähert und starrte die beiden Shanghaiten kalt an. In der Rechten hielt er mit nur scheinbarer Lässigkeit seinen schweren Holzprügel.

»Ich hab dem Dutch nur erklärt, daß er noch lange Freude an seinem kaputten Rücken ham wird«, sagte Moulder eilig.

»Das wird er«, kicherte Petrov mit heftigem Nicken. »Jeder einzelne Schmerz wird ihn daran erinnern, daß man seinen Vorgesetzten bedingungslos zu gehorchen hat.«

Das sadistische Lächeln, das Petrovs schiefe Lippen umspielte, verschwand wieder und machte einem dienstlichsachlichen Ausdruck Platz.

»Ihr beide müßt euch noch in die Musterrolle einschreiben. Beeilt euch!«

»Aber der Dutch kann bestimmt noch nich' laufen«, wandte Moulder ein.

Der Steuermannsmaat hob die Hand mit dem Knüppel.

»Wenn er nicht weiß, wie man läuft, werde ich es ihm einprügeln!«

»Es wird schon gehen«, sagte Jacob.

Seine Hände umklammerten die Wanten am Fuß des Großmastes, und er zog sich nach oben. Dort stand er ein wenig unsicher.

Die beiden erfahrenen Seeleute Moulder und Petrov fingen das Schlingern der LUCIFER mit leicht gespreizten Beinen mühelos ab.

Jacob aber mußte sich erst wieder daran gewöhnen. Trotz der kühlenden Paste, die Moulder großzügig auf seinem Rücken verteilt hatte, war der Schmerz ziemlich stark. So stark, daß der Deutsche kurzzeitig vergessen hatte, wie man sich auf einem fahrenden Segler bewegte.

Moulder hob Jacobs Hemd und Jacke auf und legte beides ganz vorsichtig über die Schultern des viel größeren Mannes.

Der blickte den wieselhaften Seemann dankbar an. Es tat gut, besonders in dieser Lage, daß es nicht nur Schurken wie Raven, Stanford, Petrov und Frenchy gab, sondern auch aufrechte, verläßliche Männer wie Moulder und Elihu Brown.

»Los jetzt!« schnaubte der Steuermannsmaat. »Käpten Raven wartet nicht gern.«

Er drückte seinen Knüppel in Jacobs Rücken, um den hünenhaften Deutschen in Richtung Achterdeck zu schieben. Daß Jacobs Wunden dabei wieder aufbrachen, kam dem verschlagenen Russen gewiß nicht ungelegen.

Tatsächlich waren Jacob und Jock Moulder, abgesehen von dem noch unter Deck liegenden Elihu Brown, die letzten, die sich noch in die Musterrolle eintragen mußten.

Der dicke, ledergebundene Foliant lag auf einer Kiste vor Kapitän Raven, der sich auf einem grob zusammengezimmerten Schemel niedergelassen hatte.

Schräg hinter dem Kapitän stand Cyrus Stanford und musterte Jacob mit brennendem Haß in den tiefliegenden Augen.

»Du siehst mir aus wie ein echter Seemann, Kerl«, sagte John Raven zu Moulder. »Du bewegst dich mit der Sicherheit eines Mannes über das Schiff, der die meiste Zeit seines Lebens nichts als ein paar gischtumspülter Planken unter den Füßen gehabt hat.«

»Aye, Käpten.« Moulder lächelte, schien erfreut zu sein, daß Raven ihn so richtig einschätzte. »Bin Seemann gewesen, immer schon. Auch schon auf Walfang gewesen. Jock Moulder is' mein werter Name.«

Raven nickte zufrieden und zeigte auf das schwere Buch.