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Schätzungsweise drei bis vier Stunden war das jetzt her. Stunden, in denen Driscoll reglos wie ein Toter im Zwischendeck gelegen hatte. Nur wenn Hansen sein Gesicht ganz dicht über das des Captains hielt, spürte er erleichtert dessen schwachen Atem.

Jetzt beugte sich der Seebär, so gut es seine engen Fesseln erlaubten, erneut über den Soldaten.

Flatternd hoben sich Driscolls Lider, und die dunkelgrauen Augen blickten den älteren Mann fragend an. Allmählich trat der Ausdruck der Erkenntnis in den trüben Blick des Nordstaatlers.

»Wie fühlen Sie sich, Captain?« fragte Hansen.

»Als hätte mich jemand durch den Fleischwolf gedreht.« Die Antwort kam leise und endete in einem heftigen Stöhnen. »Was ist das für ein verfluchter Schmerz in meiner Brust?«

»Captain McCord hat Ihnen ein Stück Blei da reingejagt. Leider steckt es noch drin. Ich konnte nur die Wunde verbinden.«

»Vielen Dank, Käpten.« Driscoll versuchte sich an einem reichlich gequält wirkenden Lächeln. »Schätze, das Schiff ist in der Hand dieses Rebellen-Captains und seiner Sympathisanten.«

»So ist es, schon seit ein paar Stunden. Sieht ganz so aus, als seien wir geliefert.«

»Nicht unbedingt«, knurrte Driscoll mit einem verbissenen Optimismus, der Hansen ganz und gar unverständlich erschien.

»Sie scheinen aus irgendeinem kühnen Grund zu hoffen, daß sich das Blatt wenden könnte«, bemerkte der deutsche Seemann erstaunt. »Gibt es irgend etwas, das ich als Kapitän der ALBANY wissen sollte? Ich meine, nur für den hoffentlich nicht eintretenden Fall, daß Sie nicht mehr einsatzfähig sein sollten.«

»Sie meinen, wenn ich an meiner Verletzung krepiere, Käpten. Sprechen Sie's ruhig aus!«

»Die Wunde ist nicht so schlimm wie die von Grosser. Sie haben gute Aussichten durchzukommen.«

»Mag sein.« Driscoll holte tief Luft. »Ich denke, ich kann Ihnen vertrauen, Mr. Hansen. Wie ist es mit den anderen hier?«

»Die Männer hier unten sind mir bedingungslos ergeben. Sonst lägen sie nicht in Fesseln. Allerdings steht am Decksaufgang ein bewaffneter Posten. Wir sollten also leise reden.«

»Wird mir nicht schwerfallen«, stöhnte Driscoll, dessen Sprechen aufgrund seiner schmerzenden Wunde sowieso nicht mehr als ein Flüstern war.

Dann klärte er den deutschen Kapitän darüber auf, daß sein Schiff als Lockvogel für ein Fischboot der Konföderierten gedacht war, das seit über einem Jahr die Gewässer vor der kalifornischen Küste heimsuchte. Und darüber, daß ein Walfänger namens LUCIFER in der Nähe kreuzen sollte und im Falle eines Angriffs durch das >stählerne Monsterc, wie dieses Fischboot genannt wurde, der ALBANY zu Hilfe kommen sollte. Das angebliche Walfangschiff war speziell für die Jagd auf das Fischboot ausgerüstet.

»Deshalb also haben Sie sich so auffällig benommen«, brummte Hansen, endlich verstehend. »Sie wollten, daß die angeblich geheime Mission der ALBANY bekannt wird, um eine andere Geheimmission, das Aufspüren dieses von Menschenhand geschaffenen Monsters, zu ermöglichen.«

»Right«, grinste Driscolls trotz der kühlen Atmosphäre im Zwischendeck schweißglänzendes Gesicht.

»Aber warum ein Walfänger und nicht ein Kriegsschiff?«

»Wir befürchten, daß konföderierte Spione in San Francisco das Fischboot über alle unsere militärischen Maßnahmen unterrichten. Kriegsschiffe als Geleitschutz wären zu sehr aufgefallen. Die Rebellen hätten den Braten vielleicht gerochen. Da kam es uns zupaß, daß John Raven, der Kapitän der LUCIFER, aus privaten Gründen einen Rachefeldzug gegen das angebliche Seeungeheuer führt.«

Driscoll berichtete vom Untergang der CORA SUE und fuhr fort: »Übrigens sind auch drei unserer Kriegsschiffe Bestandteil des Plans, der Raddampfer GENERAL STEUBEN sowie die Schrauben-Fregatten RELIANCE und HORNET. Sie sollen sich für den Fall zur Verfügung halten, daß die Konföderierten mit weiteren Seekräften angreifen. Oder für andere Notfälle. Aber weit genug entfernt, um nicht den Verdacht des Feindes zu erregen.«

»Dann verstehe ich nicht, wie Ihre Kriegsschiffe im Notfall rechtzeitig zur Stelle sein sollen. Besonders jetzt, wo die ALBANY mit größter Wahrscheinlichkeit einen anderen Kurs fährt. Das kann übrigens auch verhindern, daß uns die LUCIFER zu Hilfe kommt.«

Das Gesicht des Navy-Captains verdüsterte sich schlagartig.

»Ja, das ist wirklich ein Problem«, ächzte er matt. »Man müßte die Signalraketen abfeuern!«

»Was für Signalraketen?«

»Grüne Leuchtraketen. Wir haben gleich drei Kisten davon an Bord der ALBANY gebracht.«

Driscolls Kopf ruckte zur Seite, und er richtete den Blick in die Tiefe des Zwischendecks.

»Wenn mich nicht alles täuscht, lagern die Kisten sogar dort hinten. Man müßte nur irgendwie herankommen. Der massive Einsatz der Raketen sollte für die LUCIFER und für die NAVY-Geleitschiffe das Zeichen zum Einsatz sein.«

»Man müßte irgendwie freikommen und die Raketen hochjagen«, flüsterte Hansen und begann, seinen gefesselten Körper in grotesken Verrenkungen auf den hölzernen Planken hin und her zu schieben.

»Was tun Sie da?«

»Die Planken hier sind ziemlich rauh. Vielleicht kann ich die Fesseln durchscheuern.«

Driscoll blickte Hansen zweifelnd an.

»Falls Ihnen das gelingt, Käpten, wird es sehr lange dauern. Darüber kann es Nacht werden.«

»Na und?« fragte Hansen, ohne seine seltsam aussehende Tätigkeit einzustellen. »Ich habe gerade nichts anderes vor!«

*

Ein paar Stunden später, an Bord der GREY SHARK.

Die riesige Zigarre aus Stahl glitt durch den Pazifik. Nur der obere Teil des Zylinders mit den beiden Einstiegsluken schaute aus dem Wasser. Die vordere Luke war ein ganzes Stück höher als die hintere, um das Hereinschwappen von Wasser zu verhindern. Hier war der Platz des Ausgucks, den Lieutenant Alva Devane einnahm.

Der Kommandant der GREY SHARK - des grauen Hais -, ein drahtiger junger Mann, der einen Ölumhang über die graue Uniform der konföderierten Marine gezogen hatte und einen Südwester auf dem Kopf trug, kniff das linke Auge zu und preßte ein im Licht der immer tiefer sinkenden Sonne funkelndes Fernrohr gegen das rechte.

Fast den ganzen Tag hatte er in dieser Haltung verbracht und sich nur für kurze Ruhepausen von Bill Brixton, dem kantigen Maat und Stellvertreter des Bootskommandanten, ablösen lassen. Zu wichtig war die Mission, den scheinbar harmlosen Frachter ALBANY abzufangen.

Devane wußte um die brisante Ladung der Bark: hochmoderne Geschütze aus Deutschland, die eigentlich für die Konföderierten bestimmt gewesen waren. Wenn der Süden die Kanonen schon nicht bekommen konnte, sollten sie auch nicht vom Norden gegen die Südstaatler eingesetzt werden. Der Auftrag der GREY SHARK lautete deshalb, die ALBANY abzufangen und mitsamt ihrer Ladung zu versenken.

Daß sich die Bark derzeit in der Hand Arnold Schelps und seiner Komplizen befand, den Agenten des Südens, wußte der junge Marineoffizier nicht.

Er machte sich vielmehr Sorgen um den roten Sonnenball, der sich anschickte, mit den Fluten des Pazifiks zu verschmelzen. Wenn das geschah, minderten sich die Chancen der GREY SHARK, den Dreimaster abzufangen.

Das durch die Muskelkraft seiner Besatzung angetriebene Fischboot war bei weitem nicht so schnell wie der vom kräftigen Wind profitierende Segler. Wenn erst einmal die Nacht über den Pazifischen Ozean sank, würde die ALBANY einen Vorsprung gewinnen, der nicht mehr einzuholen war.

Alva Devane bezwang die trüben Gedanken mit der Erinnerung an die vielen Schiffe, die schon von der GREY SHARK auf den Grund des Pazifiks geschickt worden waren. Kürzlich erst war ein großer Postdampfer dem >stählernen Monster< zum Opfer gefallen, und es gab keinen heißersehnten Steamer-Day in San Francisco.