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Erst als die Fluten über ihm zusammenschlugen, wurde ihm bewußt, daß er ins Meer gestürzt war. Sofort begann er mit den Schwimmbewegungen, stieß zur Oberfläche durch, spuckte das verschluckte Wasser hustend aus und füllte seine Lungen mit frischer Luft.

Mehr und mehr Männer von dem Walfänger sprangen freiwillig oder fielen gezwungenermaßen ins Wasser. Es war auch besser so. Die LUCIFER verwandelte sich, wie zuvor die ALBANY, in eine Flammenhölle.

Jacob sah, wie das Feuer aufs Ruderhaus übergriff. Er dachte an John Raven, der am Ruder gestanden hatte.

Verbrannte der Kapitän des Teufelsschiffes in diesem Augenblick bei lebendigem Leib?

War Raven dem Untergang der CORA SUE nur entkommen, um jetzt mit der LUCIFER zu sterben?

Eine brennende Planke, die, von einer Explosion losgerissen, dicht bei Jacob ins Wasser fiel, machte ihm die Gefahr bewußt, in der er sich befand, wenn er in unmittelbarer Nähe des sinkenden Walfängers blieb. Also schwamm er, wie so viele andere, von der LUCIFER fort.

Ein großer Teil der Männer hielt auf das letzte Fangboot zu, das unter dem Kommando von Frenchy noch im Wasser schwamm. Aber das war ein hoffnungsloses Unterfangen. Das Boot hatte bereits Cyrus Stanford und seine Männer, darunter Elihu Brown, aufgenommen und war jetzt schon überfüllt.

Als Jacob weiter weg war, sah er, daß die Männer im Boot mit den Riemen auf die Schicksalsgefährten im Wasser einschlugen, weil letztere nicht in dem Bemühen aufgaben, an Bord zu klettern. Auf den ersten Blick erschien das hart und herzlos. Aber es war das einzig Vernünftige, was die Leute im Fangboot tun konnten. Sonst wäre auch dieses Boot gekentert.

Der junge Deutsche schwamm auf die im Meer treibenden Trümmer der ALBANY zu. Erst unbewußt, dann mit voller Absicht. Vielleicht hatte jemand von der Mannschaft überlebt!

Aber er fand nur Tote.

Viele von ihnen waren grausam verstümmelt. Die explodierende Ladung hatte ihnen Glieder abgerissen, oder das Feuer hatte ihre Haut verbrannt.

Ein weiterer Schock wartete auf ihn. Ein paar der im Wasser treibenden Leichen waren an Händen und Füßen gefesselt. Erst dachte er an sein eigenes Schicksal.

Hatte auch der Kapitän der ALBANY Männer shanghait, um seine Mannschaftszahl zu stärken?

Aber nein, das hätte Piet Hansen niemals getan!

Es mußte eine andere Erklärung geben.

Jacob stellte fest, daß die Gefesselten ausnahmslos zu den Männern gehörten, die schon auf der Fahrt nach San Francisco Hansen die Treue gehalten hatten. Eine ungefähre Ahnung von dem Drama, das sich an Bord der ALBANY abgespielt haben mochte, überfiel ihn.

»Jacob!«

Erst allmählich wurde dem Zimmermann bewußt, daß jemand seinen Namen rief. Er drehte seinen Kopf und sah eine müde winkende Gestalt, die auf einer im Wasser treibenden Planke lag. Rasch schwamm Jacob zu ihr hin.

Es war Piet Hansen!

Der Kapitän war schrecklich zugerichtet. Er blutete aus mehreren tiefen Wunden.

In abgehackten Sätzen, immer wieder Atem schöpfend, erzählte er dem Freund, was geschehen war.

»Ich wollte meine Fesseln durchscheuern, um die Signalraketen zu zünden. Hatte gerade eine Hand frei, als die ALBANY explodierte. Es war schrecklich. Überall Feuer und Tod. Wollte noch Captain Driscoll helfen. Es ging nicht. Er verbrannte vor meinen Augen.«

Jacob nickte verständnisvoll und fragte dann: »Was ist mit Schelp? Mit McCord und dem Mexikaner? Und mit Vivian Marquand?«

»Keine Ahnung.«, röchelte Hansen. »Habe sie nicht mehr gesehen.«

»Vielleicht hat das Meer sie verschluckt«, meinte Jacob.

»Hoffen wir's«, flüsterte der Verwundete.

Die Stimme des Kapitäns wurde immer schwächer.

Das Wasser um ihn herum war besonders dunkel. Dunkel von Piet Hansens Blut.

Jacob zog seine Jacke aus.

»Was tust du?« fragte der alte Seebär mit brüchiger Stimme.

»Mit irgend etwas muß ich Ihre Wunden verbinden, Piet.«

»Das ist. zwecklos.«

Jacob ließ sich nicht beirren. Er legte mehrere Verbände um Hansens verwundetes Fleisch, so gut das im Wasser ging.

Der Kapitän blickte den jungen Mann dankbar an, als Jacob fertig war. Mit Dankbarkeit und Freundschaft in den Augen starb Piet Hansen in Jacobs Armen.

Die Nacht senkte sich über den Pazifik.

*

In der Nacht starben viele. Sie ertranken oder erlagen ihren Verletzungen. Immer wieder hörte Jacob Schreie und Wimmern. Aber er konnte nichts tun.

Er fühlte sich völlig ausgelaugt. Die Strapazen der letzten Tage forderten ihren Tribut von ihm.

Mit letzter Kraft klammerte er sich an der Planke fest und versuchte auch, Piet Hansens Leiche über Wasser zu halten. Er wollte, daß der alte Seebär ein würdiges Begräbnis erhielt.

Doch irgendwann nickte Jacob ein. Er kam wieder zu sich, als Hansens ergrauter Kopf gerade ins Wasser tauchte. Jacob wollte nach ihm greifen, kam aber zu spät. Er sah noch eine Hand des Kapitäns, die sich im Wasser bewegte, als wolle der Alte ihm ein letztes Mal zuwinken.

Mit unendlicher Trauer im Herzen sah Jacob zu, wie Piet Hansen in der Tiefe verschwand.

*

Der Morgen brachte die Rettung in Gestalt schwarzgrauer Rauchfahnen. Wie riesige Trauerflore angesichts der großen Katastrophe hingen sie am blaugrauen Himmel.

Sie wuchsen, während die Schiffe näherkamen, aus deren Schornsteinen der Rauch entwich. Es waren die US-Kriegsschiffe GENERAL STEUBEN, RELIANCE und HORNET.

Die drei Dampfer sammelten die Überlebenden der Katastrophe ein. Es waren etwa vierzig Männer von der LUCIFER, aber kein einziger von der ALBANY.

An Bord der HORNET traf Jacob Elihu Brown wieder. Wie uralte Freunde schlössen sie sich in die Arme.

Auch Cyrus Stanford, Petrov und Frenchy kamen an Bord der zur Schrauben-Fregatte umgerüsteten Brigg. Aber das war Jacob und dem Harpunier egal.

John Raven schien ebenso von der See verschluckt zu sein wie Schelp und seine Komplizen.

Jacob dachte nur kurz an sie. Dann wanderten seine Gedanken voraus, dorthin, wo hinter dem Horizont San Francisco lag. Das Ziel der kleinen Flottille.

Der deutsche Auswanderer konnte die Ankunft in der Stadt am Golden Gate kaum erwarten. Das Ungewisse Schicksal von Irene und Jamie bohrte in ihm.

Was war mit der Frau, die er insgeheim liebte, und mit ihrem kleinen Sohn geschehen, nachdem sie vorgestern morgen überfallen worden waren?

Hatte der heimtückische Überfall in der Sackgasse nur Jacob gegolten oder auch ihnen?

Wenn es die Schlägertruppe auch auf die Frau und das Kind abgesehen hatte, aus welchem Grund?

Und wer hatte die Männer beauftragt?

Was hatten die Männer doch gesagt? Der Hai von Frisco schicke sie!

Doch wer war das?

Je länger Jacob über die Sache nachdachte, desto mehr Fragen türmten sich auf.

Aber keine Antworten. Die würde er erst in San Francisco erhalten.

Obwohl die drei Schiffe der Stadt an der kalifornischen Küste mit jeder Minute näherkamen, wuchs Jacobs Unruhe.

Er befürchtete das Schlimmste und hoffte das Beste. Er schwor sich, Irene und Jamie zu finden. Eher würde Jacob Adler keine Ruhe geben.

ENDE

Und so geht das Abenteuer weiter

CHINATOWN - der Bezirk San Franciscos, wo neben dem Zentrum am Portsmouth Square und den Lasterhöhlen in Barbary Coast am meisten nächtliches Leben pulsierte. Hier drängten sich nicht nur die langbezopften Asiaten in ihrer geschäftigen Gangart durch die engen Gassen, sondern auch jede Menge Amerikaner und Angehörige anderer Nationalitäten. Sie suchten die speziellen Vergnügungen, für die Chinatown berühmt war, in den rauchgeschwängerten Opiumhöhlen und den parfümerfüllten Häusern der Freude.

Es war ein Ort, der auch Jacob Adler in seinen Bann schlug. Denn hier residierte eine geheimnisvolle, erotische Frau, die gleichermaßen Schicksal und Erfüllung für den jungen Deutschen werden sollte: