1. Kapitel
Als Eddie Davis an jenem Montagmorgen erwachte, hatte er noch keine Ahnung, daß ihm an diesem Tag das aufregendste Abenteuer seines ganzen Lebens bevorstand, geschweige denn, daß in ein paar Tagen ein halbes Dutzend Leute, von denen er noch nie etwas gehört hatte, ihn zu ermorden versuchen würden.
Eddie Davis war Schauspieler. Kein großer und berühmter. Offen gesagt, er war nicht einmal ein besonders guter. Aber er war ein freundlicher und anständiger Mensch. Er war klein und dunkelhaarig, hatte braune Augen, dicke Brauen und trug einen kleinen Schnurrbart. Er lebte zusammen mit seiner Frau Mary, die gerade ihr erstes Baby erwartete, in einer kleinen Wohnung in New York.
Eddie hatte schon seit mehreren Monaten kein Engagement mehr und brauchte dringend eines, um Geld für das erwartete neue Familienmitglied zu verdienen. Er war bereits mit der Miete im Rückstand, und im Lebensmittelladen konnte er auch bald nicht mehr anschreiben lassen.
»Ich fahre mal heute nachmittag zu Johnson in die Stadt«, sagte er zu Mary, »und mache ihm klar, daß ich unbedingt Arbeit brauche.«
Johnson war sein Agent.
»Bis dann also.«
Er zog seinen besten Anzug an und ging los.
Johnson war ein sehr beschäftigter Mann. Er vertrat eine Anzahl bedeutender Schauspieler und hatte wenig Zeit für unbedeutende wie beispielsweise Eddie Davis.
Als ihm seine Sekretärin meldete: »Eddie Davis ist hier und will Sie sprechen«, winkte Johnson gleich ab: »Sagen Sie ihm, ich bin nicht da.«
Aber Eddie Davis wollte sich diesmal nicht so einfach abspeisen lassen. Er sagte zu der Sekretärin: »Sagen Sie Mr.
Johnson, daß ich hier im Vorzimmer sitzen bleibe, bis er mich empfängt.«
Johnson ließ Eddie tatsächlich bis sechs Uhr abends warten. Als er dann einsah, daß er ihn doch nicht loswerden würde, gab er schließlich auf und sagte zu seiner Sekretärin: »Also schön, schicken Sie ihn rein.«
Eddie Davis kam in sein Büro.
»Hallo, Eddie!« sagte Johnson. »Was kann ich für Sie tun?«
»Sie können mir ein Engagement verschaffen«, sagte Eddie Davis. »Dafür sind Sie schließlich da als Agent.«
Johnson setzte sich zurück und musterte ihn. »Ich muß Ihnen wohl mal die Wahrheit sagen«, erklärte er ihm. »Sie sind einfach nicht gefragt.«
»Gefragt« im Schaugeschäft bedeutet, daß einen alle haben wollen und daß Produzenten und Regisseure ganz wild darauf sind, einen für einen Film oder ein Fernsehprogramm zu engagieren.
»Jetzt passen Sie mal auf«, sagte Eddie Davis, »ich rede jetzt auch ganz offen mit Ihnen. Mary bekommt ein Baby. Wir sind mit sämtlichen Rechnungen im Rückstand.« Er war den Tränen nahe. »Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.«
Johnson seufzte. »Es sieht schlecht aus zur Zeit, Eddie. Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber -« Da fiel ihm plötzlich etwas ein. »Warten Sie, da ist eine Gastspielreise. Eine Truppe geht mit My Fair Lady auf Südamerikatournee. Eine kleine Rolle ist noch nicht besetzt. Wenn Sie die haben wollen? Die Tournee dauert sechs Wochen.«
»Südamerika?« sagte Eddie.
»Richtig. Als erstes ein kleines Land, das heißt Amador. Gleich neben Kolumbien.«
Eddie Davis war nicht so begeistert. Jetzt, kurz bevor Mary das Baby bekam, sollte er bis nach Südamerika? Andererseits hatte er gar keine andere Wahl. Sechs Wochen Verdienst, das löste immerhin ihre vordringlichsten Probleme.
»Ich nehme es«, sagte er.
Johnson sagte: »Dann will ich mal telefonieren.«
Als er danach wieder auflegte, wandte er sich Eddie zu und lächelte: »Alles klar. Sie haben die Rolle. Fünfhundert Dollar die Woche.«
Eddie überschlug rasch die Gesamtsumme. Fünfhundert pro Woche, sechs lange Wochen lang, das machte dreitausend Dollar. Ein Vermögen war es nicht gerade, aber er konnte ein paar Rechnungen damit bezahlen.
Er stand auf. »Danke«, sagte er.
Jetzt mußte er Mary die Neuigkeit mitteilen.
»Amador?« rief Mary ungläubig. »Nach Südamerika fährst du? Und läßt mich hier allein, wenn ich das Baby bekomme?«
»Nein, Schatz«, sagte Eddie und besänftigte sie, »ich bin rechtzeitig wieder zurück. Meinst du etwa, ich mache das gerne? Ich tue es schließlich für dich und für das Baby! Mit dem Geld kommen wir wieder auf die Füße!«
»Ja, ich weiß, daß ich dumm bin«, sagte Mary, »aber du wirst mir so sehr fehlen.«
»Du mir doch auch, Schatz. Ich werde jede Minute an dich denken.«
»Wann mußt du los?« fragte Mary.
»Morgen früh.«
»So bald schon?«
»Ja. Der einzige Grund, warum ich die Rolle in letzter Minute bekam, war, daß jemand aus der Truppe krank wurde. Es sieht so aus, als sei meine Pechsträhne zu Ende.«
Am nächsten Morgen nahm Eddie ein Taxi zum Flughafen. Dort war die gesamte Tourneegruppe bereits versammelt und reisefertig. Eddie stellte sich allen vor.
»Ich war noch nie in Amador«, sagte die Hauptdarstellerin. »Das wird hochinteressant werden.«
»Ganz bestimmt«, sagte Eddie.
Er konnte nicht ahnen, wie hochinteressant und aufregend es tatsächlich werden sollte.
Amador ist ein kleines Land in Südamerika zwischen Kolumbien und Bolivien. Es wurde zu dieser Zeit regiert von einem brutalen Diktator namens Colonel Ramon Bolivar. Er war ein kleiner, dunkelhaariger Mann mit braunen Augen und dicken Brauen. Das Volk haßte ihn, aber er war so mächtig, daß es nichts gegen ihn unternehmen konnte. Er hatte keine Opposition, weil er seine Gegner entweder ins Gefängnis warf oder gleich umbringen ließ.
Mehrere Gruppen hatten schon Mordanschläge gegen Colonel Bolivar versucht. Er eignete sich Land an, konfiszierte den Leuten ihre Häuser, vergewaltigte die Frauen und hielt das Volk in Not und Hunger, während er immer reicher wurde. Er besaß wirklich große Macht. Und er liebte es auch, mächtig zu sein.
Allerdings hatte er ein Problem.
Am gleichen Tag, an dem die My Fair Lady-Tourneetruppe auf dem Weg nach Amador war, mußte Colonel Ramon Bolivar, der Diktator von Amador, eine schlechte Nachricht von seinem Arzt entgegennehmen.
Der Arzt besah sich einige Röntgenaufnahmen. »Ich bedauere sehr, Colonel, aber es besteht leider kein Zweifel. Sie müssen einen Herz-Bypass bekommen.«
»Sie sind nicht bei Trost!« rief Bolivar mit Donnerstimme. »Ich habe ein Herz wie ein Löwe!«
»Sie haben ein Herz wie ein kranker Löwe. Ich muß Sie pflichtgemäß warnen. Wenn Sie sich der Operation nicht unterziehen, sind Sie in einer Woche ein toter Mann!«
»Ist die Operation gefährlich?«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein, das ist eine ziemliche Routinesache.« »Wie lange dauert es, bis ich danach wieder auf dem Damm bin?«
»Das«, sagte der Doktor, »ist schwer zu sagen. Ein paar Wochen, vielleicht auch ein paar Monate.«
Und das war der springende Punkt. Ramon Bolivar fürchtete sich vor der Operation eigentlich gar nicht, dafür um so mehr vor etwas anderem. Wenn sein Volk erfuhr, daß er krank darniederlag, hilflos in einer Klinik, dann gab es mit Sicherheit Revolten und Unruhen, und seine Regierung wurde gestürzt. Es war ihm durchaus nicht unbekannt, wie unbeliebt er war.
»Was also wollen Sie tun?« fragte ihn der Arzt.
Ramon Bolivar erhob sich. »Weiß noch nicht.«
Er stand in der Tat vor einem schwierigen Problem. Ließ er sich nicht operieren, starb er. Ließ er sich operieren, verlor er seine Macht. Aber ohne Macht bedeutete ihm das ganze Leben nichts.
»Schieben Sie es nicht zu lange hinaus«, warnte ihn der Doktor.
»Schon gut.«
Bolivars engster Mitarbeiter und der einzige Mensch, dem er wirklich vertraute, war Capitan Juan Torres. Allen anderen Leuten um sich herum mißtraute er.
Capitan Torres war ein Kleiderschrank von Mann, der Spaß daran hatte, Menschen zu quälen und zu foltern. Er hatte kalte braune Augen und einen brutalen Mund.