Capitan Torres trat ein. »Sie werden ein paar Minuten lang im Konferenzraum gebraucht.«
»Aber doch nicht jetzt«, sagte Eddie. »Ich bin beschäftigt. Ich habe eine Menge Dinge im Kopf.«
»Sie haben gar nichts im Kopf«, sagte Capitan Torres ungehalten. »Weil Sie nämlich nicht tatsächlich Colonel Bolivar sind! Da ist eine Delegation von Bürgern. Sie wollen den Colonel sprechen. Er erlaubt ihnen üblicherweise ein solches Gespräch einmal pro Monat. Sie werden mißtrauisch sein, wenn man sie nicht empfängt.«
»Wie lange dauert das?« fragte Eddie.
»Nur ein paar Minuten. Sie bitten wie üblich um Steuersenkungen. Sie sagen einfach nur nein und fertig, wie es der Colonel üblicherweise macht, und dann gehen sie auch schon wieder.«
Eddie wunderte sich. »Wenn er sowieso immer nur nein sagt, warum macht er sich dann die Mühe, sie ständig zu empfangen?«
»Weil das den Leuten das Gefühl gibt, daß er sich durchaus für ihre Probleme interessiert.«
»Aha.« Eddie sah auf die Uhr. Die Zeit wurde knapp. »Also gut, dann erledigen wir das schnell noch.«
Capitan Torres führte ihn in den Konferenzraum. Dort wartete etwa ein halbes Dutzend Leute. Sie waren alle mager und ärmlich gekleidet.
»Guten Morgen, Colonel Bolivar«, sagten sie im Chor.
Eddie setzte sich hinter den gewaltigen Schreibtisch, und Capitan Torres stellte sich an seine Seite.
»Guten Morgen«, sagte Eddie. »Was kann ich für Sie tun?«
Einer trat vor. »Wir bitten Sie, uns zu helfen, Herr. Letztes Jahr haben Sie die Steuern um zehn Prozent erhöht.«
»Das war notwendig«, sagte Capitan Torres, »um neue Schulen und Straßen zu bauen.«
»Aber wir haben keine neuen Schulen und Straßen!« wandte der Mann ein.
»Es wird daran gearbeitet«, beschied ihn Torres kurz.
Der Mann sprach weiter. »Colonel, wir haben gerade erst erfahren, daß Sie die Steuern um weitere zehn Prozent erhöhen wollen. Schon jetzt gehen achtzig Prozent unseres Geldes an den Staat. Es bleibt uns nicht mehr genug zum Leben übrig.«
Eddie reagierte schockiert. »Was? Achtzig Prozent?«
Capitan Torres sagte hastig: »Amador muß eine große Armee unterhalten. Wir müssen gewappnet sein gegen Angriffe unserer Feinde!«
»Was denn für Feinde?« rief der Mann. »Wir haben doch Frieden! Aber nicht genug Geld, um unsere Kinder zu ernähren!«
»Einen Moment mal«, sagte Eddie. »Das möchte ich jetzt genau wissen. Es bleiben euch tatsächlich nur zwanzig Prozent von eurem Einkommen?«
»Ja«, sagte der Mann, »so ist es.«
»Das ist ja unmöglich!« empörte sich Eddie.
Capitan Torres sah ihn eindringlich an. »Colonel ...«
Aber Eddie sagte bereits: »Da müssen wir schleunigst etwas tun, hören Sie mal.«
»Colonel ...!«
»Ich sorge augenblicklich dafür, daß diese Steuern reduziert werden.«
»Colonel ...!«
Doch Eddie hatte sich schon wieder Schreibzeug genommen und begann zu schreiben. »Ab sofort werden alle Steuern der Bürger von Amador reduziert auf .« Er dachte kurz nach. ». zehn Prozent.«
Die Leute ließen einen Jubelschrei los.
Capitan Torres schluckte schwer. »Colonel ...!«
Eddie beachtete ihn nicht und unterschrieb: Colonel Ramon Bolivar.
Dann hielt er den Leuten das Blatt hin, damit sie es genau sahen. »So, das wäre dieses.«
Die Delegation applaudierte und ließ ihn hochleben.
Eddie stand auf. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen«, sagte er und verließ den Konferenzraum. Er mußte schließlich das Leben »seiner« Ehefrau retten .
Capitan Torres rief wieder im Krankenhaus an und sprach erneut mit dem Arzt, der Colonel Bolivar operiert hatte. »Geben Sie mir einen genauen Bericht über den Zustand von Colonel Bolivar«, befahl er.
»Ich kann Ihnen leider nicht mehr sagen, als Sie schon wissen, Capitan«, sagte der Arzt bedauernd. Er zögerte kurz. »Ich fürchte, es sieht nicht gut aus.«
Capitan Torres lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. »Was bedeutet das?«
»Colonel Bolivar liegt noch immer im Koma.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Das kann man nie sagen.«
»Kommt er überhaupt wieder zu sich?«
»Das zu sagen, ist es zu früh. Sie können sicher sein, daß wir ihn pausenlos sehr sorgfältig beobachten. Die Lebensfunktionen sind an sich ganz gut. Es ist immer noch möglich, daß er wieder völlig genesen wird.«
»Das ist nicht gut genug!« fuhr ihn Capitan Torres an. »Sie müssen ihn wieder völlig gesund machen!«
»Capitan«, sagte der Arzt, »ich bin nicht der liebe Gott. Ich kann lediglich.«.
»Sie sorgen besser dafür, daß Colonel Bolivar überlebt und gesund wird, oder Sie kommen eher, als Ihnen lieb ist, zu Ihrem lieben Gott!«
Capitan Torres warf zornig den Telefonhörer auf die Gabel. Ich muß mich selbst überzeugen, dachte er, wie sein Zustand ist.
Fünf Minuten darauf war er auf dem Weg in die Klinik.
Colonel Bolivar lag auf einer Sonderstation der Klinik, die hermetisch abgeriegelt worden war, so daß kein Besucher oder selbst Personal des Krankenhauses sie betreten und in seine Nähe kommen konnte. Er war unter dem Namen Peron registriert, und dem Personal hatte man gesagt, der Patient habe eine hochansteckende Krankheit und müsse deshalb total isoliert bleiben. Die einzigen, die Zutritt zu der Sonderstation hatten, waren der Arzt, der ihn operiert hatte, sein Assistent und eine auf absolutes Stillschweigen eingeschworene Krankenschwester.
Capitan Torres ließ den Arzt kommen. »Irgendwelche Veränderungen in seinem Zustand?« fragte er.
»Wir haben doch erst vor zehn Minuten telefoniert«, sagte der Arzt. »Nein, er ist noch immer im Koma.«
»Wie groß ist die Gefahr einer Gehirnschädigung, wenn er daraus erwacht ist?«
»Das zu sagen, ist unmöglich, Capitan. Manchmal erwachen solche Patienten aus dem Koma und sind wieder völlig normal. Manchmal bleiben aber auch Hirnschäden.« Dann zögerte er etwas, ehe er weitersprach. »Manchmal erwachen sie auch nicht mehr und sterben.«
Capitan Torres packte den Arzt an der Kehle. »Wenn er stirbt, werden Sie sich wünschen, nie geboren zu sein!« Er ließ ihn wieder los. »Wer weiß sonst noch, daß der Colonel hier ist?«
»Außer mir nur mein ärztlicher Assistent und die Krankenschwester.«
Sie müssen alle drei sterben, dachte Capitan Torres.
»Sie melden mir telefonisch jede kleinste Veränderung in seinem Zustand«, befahl er dem Arzt. »Und zwar noch in derselben Minute.«
»Jawohl, Capitan.« Der Arzt war zu Tode erschrocken. Er haßte den Colonel genauso wie das ganze Volk von Amador. Als man ihm gesagt hatte, daß er den Diktator operieren müsse, hatte er mit seiner Frau darüber gesprochen.
»Was, der Colonel braucht eine Bypass-Operation?« hatte diese gesagt. »Das ist ja wunderbar. Da kannst du ihn doch leicht bei der Operation sterben lassen!«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, hatte er zugegeben.
»Aber da gibt es natürlich ein Problem.«
»Wieso?«
»Nun ja, seine Leute werden mich selbstverständlich umbringen, wenn ich ihn sterben lasse.«
»Aber du kannst doch sagen, daß nichts zu machen war. Es kommt doch immer wieder vor, daß Menschen Herzoperationen nicht überleben.«
»Ja schon, aber sie werden mir doch niemals glauben.«
Da hatte ihn seine Frau besorgt angesehen. »Ja aber, was passiert denn dann, wenn er wirklich unabsichtlich bei der Operation stirbt?«