»Er muß sogar getötet werden. Das Volk hungert.«
»Nun, Moment mal«, sagte da jedoch ein Dritter. »Überlegt mal, was er kürzlich alles getan hat. Er hat die Steuern gesenkt, den Waisenkindern und Bauern geholfen, die Pressefreiheit wieder eingeführt, die politischen Gefangenen freigelassen und seine Villen den Obdachlosen geöffnet. Er scheint ein völlig veränderter Mensch zu sein.«
»Das ist alles nur Vorwand«, beharrte Juan. »Einer wie Colonel Bolivar ändert sich nie. Denkt an das alte Sprichwort: Macht verdirbt, und vollständige Macht verdirbt vollständig. Genau dies beschreibt den Mann exakt. Er ist rücksichtslos und geht über Leichen. Seht euch nur die Liste seiner Opfer an, die er umbringen ließ, weil sie ihm widersprachen, und all die Familien, die er zerstört hat.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein, meine Freunde, so ein Mann ändert sich nicht. Ich sage euch, er muß beseitigt werden. Ich persönlich bin bereit, mein Leben dafür hinzugeben.«
»Ich ebenfalls«, sagte ein anderer.
»Genauso wie ich.«
»Und ich.« Und so waren sie am Ende doch wieder alle einer Meinung: Colonel Bolivar mußte beseitigt werden. Die Frage war nur, wie.
»Er hat seine Truppen zum Schutz um sich herum«, sagte Juan frustriert. »Wir müssen also irgendeine Möglichkeit finden, an diesen vorbeizukommen.«
Sie diskutierten noch lange, aber am Ende wußten sie doch nicht, wie sie es nun anstellen sollten. Einig waren sie lediglich in der Überzeugung, wie unerläßlich es sei, daß sie ein weiteres Attentat auf ihn verübten.
»Er richtet unser Land zugrunde«, stellte Juan fest, »und das können wir einfach nicht länger hinnehmen.«
Am nächsten Morgen nahm Eddie zehntausend Dollar von seinem Geld und ging damit zur Post. Die Arbeiter waren verdutzt, als sie ihn dort auftauchen sahen. Noch nie hatte er sich in dieser Umgebung blicken lassen.
»Ich möchte Geld verschicken«, sagte er.
»Jawohl.«
Alle Postbeamten griffen in ihre Taschen und holten alles Geld heraus, das sie einstecken hatten, um es ihm zu überreichen.
Eddie sah sie verwundert an. »Aber nein, nein, doch nicht euer Geld!« Er holte seine zehntausend Dollar heraus und legte sie auf den Schaltertisch. »Dieses Geld hier will ich schicken.«
»Oh, entschuldigen Sie«, sagte einer, »das wußten wir nicht. Das haben wir mißverstanden.«
Er schrieb Marys Namen und Adresse auf einen Umschlag. »Es geht nach New York«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie rasch die Post hier arbeitet.«
Wieder sahen ihn alle überrascht an. »Aber die Post gehört doch Ihnen, Colonel.«
Eddie beeilte sich wieder zu versichern: »Ja, ja, das weiß ich schon. Ich meine ja auch nur, wie schnell sie heute ist.«
Er reichte dem Schalterbeamten seinen Umschlag. »Wie viele Tage braucht dieser Brief nach New York?«
»Morgen früh wird er dort sein, Colonel.«
»Ach ja?« Eddie war ungläubig. »Schon morgen früh, ja?«
»Gewiß. Wir fliegen ihn sofort mit Ihrem eigenen Privatflugzeug nach New York hinauf.«
»Ihr fliegt es ... ach so, ja ...« Die Idee gefiel ihm. Das Privatflugzeug von Colonel Bolivar wurde allein zum Transport seines Briefes an Mary nach New York geflogen! Na, ist das ein Leben, dachte er.
Der Schalterbeamte sagte: »Ihr Pilot wird den Brief persönlich übergeben.«
»Sehr schön. Ja. Vielen Dank denn auch.«
»Gern geschehen, Colonel. Wir danken für die Ehre Ihres Erscheinens und Ihrer Anwesenheit hier.«
»Keine Ursache«, sagte Eddie.
Das gibt dem Wort Luftpost, dachte er, als er wieder ging, eine ganz neue Bedeutung. Es wird gar nicht einfach werden, nach alledem wieder in mein altes Leben zurückzukehren. Es macht mir ausgesprochen Spaß, dieses Land zu regieren. Wirklich zu dumm, daß ich nicht als König oder so etwas auf die Welt gekommen bin.
Bei seiner Rückkehr in den Palast wartete Capitan Torres auf ihn.
»Wo waren Sie?« wollte er wissen. »Die ganze Zeit suche ich Sie schon.«
»Na, ich hatte etwas zu erledigen.«
»Was denn zu erledigen?«
»Ich mußte einen Brief aufgeben«, sagte Eddie.
Capitan Torres war fuchsteufelswild. »Colonel Bolivar gibt doch nicht persönlich seine Briefe auf, Mann!« schimpfte er. »Er hat seine Leute dafür.«
»Ach, ich wollte sowieso ein wenig Luft schnappen.«
»Sie haben doch hoffentlich«, sagte Capitan Torres mißtrauisch, »nicht gleich auf dem Weg wieder ein paar Verordnungen erlassen, wie?«
»Nein, nein«, beschwichtigte ihn Eddie. »Natürlich nicht.«
»Künftig«, kanzelte Torres ihn ab, »werden Sie den Palast nicht verlassen, ohne mir das persönlich vorher mitzuteilen. Sie könnten in Lebensgefahr geraten.«
»Wie meinen Sie das?«
Capitan Torres zögerte. »Nun ja ...«, stotterte er schließlich, »da gibt es bestimmte Leute in Amador, die ... Fanatiker, verstehen Sie ... Attentate auf unseren großen Diktator planen. Es sind natürlich nicht viele. Aber ein paar halt, verschwindend wenige. Wenn die Sie draußen unbekümmert herumspazieren sähen, könnten Sie durchaus in Lebensgefahr geraten. Also, von jetzt ab bitte ich Sie herzlich, etwas vorsichtiger zu sein.«
»Na gut«, sagte Eddie.
Aber trotzdem erzählte er dem Capitan nichts davon, daß er vorhatte, in der nächsten Woche weitere zehntausend Dollar an Mary zu schicken. Ihr würde er sagen, daß man ihm einen weiteren Vorschuß gezahlt habe. Ganz abgesehen davon paßte es ihm nicht, wenn Capitan Torres anfing, ihn herumzukommandieren.
Am selben Abend besuchte Capitan Torres wieder den Colonel im Krankenhaus.
»Wie geht es Ihnen?« erkundigte er sich.
»Ausgezeichnet«, sagte der Diktator. »Der Arzt sagt, ich kann in ein paar Tagen heraus.«
»Das ist großartig, Colonel.«
»Und wenn ich herauskomme«, sagte Colonel Bolivar, »dann will ich den Schauspieler auf der Stelle im Kerker sehen. Wir wollen ihn noch ordentlich foltern, bevor er stirbt.«
»Es wird mir ein ausgesprochenes Vergnügen sein«, sagte Capitan Torres.
»O nein«, sagte Colonel Bolivar, »der gehört mir selbst. Den nehme ich mir persönlich vor.«
9. Kapitel
»Guten Morgen, Colonel Bolivar«, sagte jemand. Es war eine sanfte Frauenstimme.
Eddie machte die Augen auf. Zwei hübsche Zimmermädchen mit Frühstückstabletts standen vor ihm.
»Ihr Frühstück.«
Eddie hatte im ganzen Leben noch nicht im Bett gefrüh-stückt. Er setzte sich auf und sah zu, wie die Mädchen ein zierliches Eßtablett auf seinem Bett abstellten und das Frühstücksgeschirr darauf legten. Alles roch wundervoll. Sie hatten Orangensaft, Waffeln, Eier mit Speck und eine Kanne dampfenden Kaffees.
Eines der Mädchen beugte sich über ihn und fragte leise: »Haben Sie sonst Wünsche, Colonel?«
Eddie lächelte. »Nein danke, das ist alles.« Das ist ein Leben, dachte er. Frühstück im Bett. Ich muß das alles Mary erzählen, wenn ich wieder zu Hause bin. Vielleicht bringt sie mir dann ja auch einmal Frühstück ans Bett.
Er begann zu frühstücken. Es schmeckte alles hervorragend. Als er fertig war, klingelte er, und die Mädchen kamen wieder und servierten ab.
Das Frühstück hatte ihn wieder ganz müde gemacht. Ich werde noch ein kleines Nickerchen tun, dachte er. Nur ein kleines.
Er schloß die Augen.
Eine sanfte Hand rüttelte ihn wach. »Colonel Bolivar!«
Er machte die Augen auf. Eine wunderschöne Blondine war über ihn gebeugt. Sie war nur sehr leicht bekleidet.
»Guten Morgen«, sagte Eddie. »Wer sind Sie?«