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Die Leute haben vielleicht Nerven, dachte Eddie. Die versuchen tatsächlich, jeden für dumm zu verkaufen. Wo doch der wirkliche Zweck dieser Armee eindeutig darin besteht, das eigene Volk unter der Knute zu halten.

Er verspürte nicht die geringste Lust, diese Rede zu halten. Aber es war ihm auch klar, daß er keine andere Wahl hatte.

Ein paar Minuten vor Mittag ging die Tür seines Schlafzimmers auf, und Capitan Torres trat ein.

»Wir sind soweit«, sagte er. »Haben Sie die Rede gelernt?«

Eddie nickte. »Ja.«

»Gut.« Das wird die letzte Rede sein, dachte Capitan Torres im stillen, die dieser Schauspieler hält. Nein, das stimmt nicht. Eine wird er noch halten. Nämlich die, mit der er bei Colonel Bolivar um sein Leben bettelt.

Sie gingen den Korridor entlang, flankiert von den bewaffneten Wachtposten. Eddie war der Panik nahe. Wie komme ich bloß zum Flugzeug? überlegte er fieberhaft.

Da stand es startbereit auf dem Flughafen, vollgetankt für den Flug nach New York, und er war hier eingekreist von diesen Wachtposten! Es muß einfach einen Weg geben, dachte er. Aber so angestrengt er auch nachdachte, es fiel ihm keiner ein.

In einem Keller am Stadtrand gab Juan zu dieser Zeit automatische Waffen an seine Mitverschwörer aus.

»Heute«, sagte er, »werden wir Erfolg haben. Bolivar hält eine Rede auf einem Podium mitten auf dem Platz. Das Podium ist von kugelsicherem Glas umgeben.«

»Und wie sollen wir ihn da treffen?« fragte einer.

Juan lächelte. »Vergangene Nacht haben einige unserer Männer das kugelsichere Glas gegen normales ausgetauscht. Damit ist er auf seinem Podium völlig schutzlos.«

»Das ist großartig!«

»Dieses Mal wird es klappen!«

»Aber denkt daran«, mahnte Juan, »ihr müßt, wenn ich das Zeichen gebe, alle gleichzeitig schießen. Ihr steht über den ganzen Platz verteilt in seiner Nähe. Wenn also einer vorbeischießen sollte, treffen ihn auf jeden Fall die anderen.«

»Was ist das Signal?« fragte einer.

»Ich ziehe dieses rote Taschentuch heraus«, sagte Juan und zeigte es, »und wische mir damit über die Stirn. In dem Augenblick, in dem es meine Stirn berührt, zieht ihr und schießt. Alles klar?«

»Alles klar.«

»Gut. Also seht immer auf mich. Ich warte auf den genau richtigen Augenblick. So. Und jetzt gehen wir einer nach dem anderen los. Wir sehen uns auf dem Platz wieder.«

Er sah ihnen nach und dachte: Der große Tag ist nun endlich gekommen. Nicht mehr lange, und Colonel Bolivar ist tot.

Eddie und Capitan Torres stiegen in einen Wagen und fuhren zum großen Stadtplatz. Sie waren noch nicht da, als Eddie bereits den Lärm der Menge vernahm. Der Platz war schwarz von Menschen, es waren Tausende, Arbeiter, Schulkinder, normale Bürger. Alle standen sie in der heißen Sonne und warteten darauf, ihren Diktator sprechen zu hören.

»Sehen Sie mal, wieviel Publikum wir haben«, sagte Capitan Torres. »So sehr liebt das Volk Colonel Bolivar.«

Eddie mußte ja nicht unbedingt wissen, daß alle diese Leute nur deshalb da waren, weil sie bei Gefahr der Todesstrafe herbefohlen worden waren.

Mitten auf dem Platz war ein Podium für den Diktator errichtet worden.

»Gehen Sie hinauf«, sagte Capitan Torres zu Eddie.

Eddie stieg die Stufen zu dem Podium hinauf. Es war ringsum verglast.

»Das ist kugelsicheres Glas«, versicherte ihm Capitan Torres. »Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.«

Eddie machte sich aber Sorgen, wenn auch nicht wegen des Glases. Seine Sorgen bestanden darin, wie er zum Flugzeug kommen könnte.

Die Rede sollte eine Stunde dauern. Er hatte natürlich keine Ahnung, daß er unmittelbar danach in den Kerker geworfen werden sollte. Allerdings hatte er ein, wenn auch unbestimmtes, so doch um so deutlicheres ungutes Gefühl ganz allgemein. Capitan Torres tat ihm auf einmal viel zu freundlich. Eddie traute ihm nicht mehr.

Capitan Torres trat vor das Mikrophon, und in der Menge wurde es still. »Mitbürger, Landsleute!« rief der Capitan. »Mein Herz ist voller Freude, wenn ich sehe, in welcher großen Zahl ihr euch heute hier eingefunden habt, nicht nur zu Ehren unserer tapferen Armee, sondern auch unseres geliebten, großen Diktators, Colonel Ramon Bolivar!«

Die Soldaten in der Menge applaudierten, sonst aber niemand.

»Wir Bürger von Amador können uns glücklich schätzen, einen so großen Führer zu besitzen, einen Mann, der sich als Beschützer seines Volks versteht!«

Wieder applaudierten nur die Soldaten.

»Und jetzt, meine Damen und Herren, habe ich die große Ehre und Freude, unseren großen Diktator anzukündigen, Colonel Ramon Bolivar!«

Er trat zur Seite und winkte Eddie ans Mikrophon.

Eddie hielt das Redemanuskript in der Hand. Aber er kannte die Rede zum größten Teil auswendig.

»Bürger von Amador!« begann er. »Wir sind heute hier versammelt, um unserer großen Armee zu gratulieren. Viele Jahre beschützen uns deren tapfere Männer nun schon vor unseren Feinden. Da gibt es diejenigen, die unser großes Land vernichten wollen. Aber die Soldaten Amadors haben unsere Grenzen in der Vergangenheit immer gut bewacht, so wie sie es auch in der Zukunft tun werden!«

Eddie zögerte etwas, bevor er weiterlas.

»Wir müssen zugeben, daß es bedauerlicherweise in unserer Mitte einige wenige gibt, ein paar Unruhestifter, die es nicht zu schätzen wissen, daß sie in einem so großen Land wie dem unseren leben. Aus diesem Grund war es leider unumgänglich, daß ich einige der Freiheiten, die unser Volk besitzt, einschränken mußte. Zuviel Freiheit kann auch gefährlich sein, weil es den Fanatikern erlaubt, ihre Stimme zu erheben und gegen Dinge zu protestieren, gegen die nicht protestiert werden sollte!«

Ein solcher Haufen von Lügen, dachte Eddie grimmig. Einfach widerlich.

Unten auf dem Platz sah Juan sich inzwischen um, ob auch alle seine Leute auf ihrem Platz waren. Alle standen bereit. Juan zog sein rotes Taschentuch heraus.

Eddie sprach weiter.

»Es ist weitaus besser, einen Mann zu haben, der sich seines Volkes so annimmt wie ich, als einen Kongreß voller Leute, die dauernd nur darüber streiten, welche Gesetze für das Volk gut seien oder schlecht. Ich entscheide, welche Gesetze gut sind, und ich habe bei allen meinen Entscheidungen immer nur euch im Sinn!«

Juan hob sein rotes Taschentuch und führte es auf seine Stirn zu. Seine in der Menge verteilten Leute beobachteten ihn genau und hatten schon die Hand an ihrer Tasche, um die Waffe zu ziehen.

Das ist doch schrecklich, dachte Eddie oben auf dem Podium. Das kann ich doch den Leuten nicht zumuten.

Und er warf sein Redemanuskript weg.

»Andererseits«, sprach er nun frei weiter, »glaube ich gar nicht wirklich, daß es gut ist, wenn ein einziger Mann allein einem ganzen Volk sagt, was gut für es ist.«

Juans Taschentuch hatte fast schon seine Stirn erreicht. Seine Leute waren daran zu ziehen.

»Und deshalb glaube ich«, sagte Eddie auf dem Podium, »daß das Volk Gelegenheit haben sollte, selbst über sein Schicksal zu bestimmen.«

Juans Taschentuch blieb eine Handbreit vor seiner Stirn stehen, als er diese Worte hörte, die er nicht glauben konnte.

»Von jetzt an wird es also keine Diktatur mehr im Lande geben. Wir werden freie Wahlen abhalten.«

Juan konnte es noch immer nicht glauben. Seine Hand mit dem Taschentuch sank wie von selbst nach unten.

Auch Capitan Torres starrte Eddie ungläubig an, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht.

Die Menge aber begann zu jubeln.

»Freie Wahlen!« wiederholte Eddie. »Und Wahlrecht für alle!«

Der Jubel schwoll an.

»In diesem Augenblick«, verkündete Eddie, »trete ich als Diktator von Amador zurück und übergebe das Land dem Volk selbst!«