Er hob sein Glas. »Auf deine Gesundheit, Colonel Bolivar!«
Eddie hob sein Glas ebenfalls. »Und auf deine, Schwager.«
Naveiro wartete ungeduldig, als Eddie das Glas an die Lippen setzte.
4. Kapitel
Eddie wollte eben an seinem Wein nippen, als ihm etwas einfiel. Er setzte das Glas wieder ab und fragte seinen Schwager: »Wie viele Zeitungen haben wir eigentlich in Amador?«
»Na, drei«, antwortete Naveiro. Er drehte sich herum und funkelte Capitan Torres an. »Aber die meine ist die einzige, die wenigstens versucht, die Wahrheit zu sagen.« Er hob sein Glas noch einmal. »Auf die Freiheit der Presse!«
Eddie hob seinerseits das Glas erneut: »Auf die Freiheit der Presse!«
Naveiro beobachtete gespannt, wie Eddie sein Glas erneut an die Lippen führte - bis ihm noch ein Gedanke kam und er das verdammte Glas zum zweiten Mal absetzte und sich Capitan Torres zuwandte.
»Wissen Sie«, sagte er, »ich verstehe nicht so recht, warum die Zeitungen nicht schreiben dürfen, was sie wollen.«
»Es würde das Volk nur verwirren«, erklärte Capitan Torres. »Die Zeitungen sollen mit einer Stimme sprechen, und diese eine Stimme steht nur Colonel Bolivar zu.« Und er korrigierte sich wieder schleunigst. »Ihnen, wollte ich natürlich sagen!«
Naveiro war schon ganz verzweifelt. Bolivar sollte endlich den Wein trinken, zum Teufel! Also prostete er ihm noch einmal zu: »Auf das Volk!«
Eddie hob auch richtig wieder sein Glas und pflichtete ihm bei: »Auf das Volk!«
Naveiro beugte sich vor und wandte kein Auge von Eddie. Er versuchte ihn geradezu zu hypnotisieren, sein Glas endlich auszutrinken. Er ertrug es kaum, als Eddie das Glas doch tatsächlich wieder abstellte, bevor er noch daran genippt hatte, und zu überlegen begann: »Zensur ist nicht gut, finde ich. Die Zeitungen sollten schreiben können, was sie wollen, und die Leute lesen, was sie wollen.« Er winkte einem der Butler. »Bringen Sie mir Schreibzeug und Papier!«
»Wozu wollen Sie denn jetzt Schreibzeug und Papier haben?«
»Weil ich einiges ändern werde«, erklärte Eddie. »Ab sofort sollen die Zeitungen die Wahrheit drucken können.«
»Aber das können Sie doch nicht tun!« rief Torres, dem aber auch sogleich klar war, daß er nicht aussprechen konnte, was er dachte. »Ich meine, Colonel, halten Sie es für eine weise Entscheidung, das ausgerechnet jetzt zu ändern? Warum warten wir damit nicht wenigstens noch eine oder zwei Wochen?«
»Nein«, sagte Eddie. »Das wird jetzt gleich gemacht.«
Der Butler reichte ihm Schreibzeug und Papier. »Hier, bitte sehr.«
»Danke«, sagte Eddie und begann zu schreiben. Als er fertig war, las er es laut vor. »An die Zeitungen in Amador. Ab sofort ist jede Zensur abgeschafft. Sie können ohne jede Strafandrohung unbehindert drucken, was Sie wollen.«
Capitan Torres war blaß geworden. »Sie . das können Sie doch nicht .« Aber mehr brachte er nicht mehr heraus.
Naveiro saß wie vor den Kopf geschlagen da. »Ist das ernst gemeint, Ramon?«
»Absolut. Ab sofort gibt es keine Zensur mehr.«
Capitan Torres hatte es auch noch den Rest seiner Sprache verschlagen. Dafür jagten sich die Gedanken in seinem Kopf. Colonel Bolivar, dachte er, bringt mich um, wenn er aus der Klinik kommt und das erfährt. Dabei konnte er überhaupt nichts unternehmen und etwas daran ändern, ohne zuzugeben, daß Eddie gar nicht Colonel Bolivar war. Er saß in seiner eigenen Falle.
»Ab sofort«, verkündete Eddie, »werden die Leute die Wahrheit zu lesen bekommen.« Und er hob sein Glas. »Auf die Wahrheit!«
Naveiro sah, nun völlig entsetzt, zu, wie Eddie das Glas zum Mund führte. Er schlug es ihm mit einer schnellen Bewegung aus der Hand und sprang auf.
»Oh, das tut mir furchtbar leid«, sagte er, »wie ungeschickt von mir!« Er versuchte, Eddies Uniform abzuputzen, auf die der Wein gespritzt war.
»Ach, das macht nichts«, sagte Eddie. »Ist ja nichts weiter passiert.«
Naveiro dachte nach. Da habe ich den Mann fast umgebracht, wo er uns gerade die Freiheit zurückgegeben hat. Wie sich mein Schwager verändert hat!
»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung«, sagte er.
»Aber ich bitte dich«, sagte Eddie. »Ist doch keine Affäre. Solche Sachen passieren nun mal gelegentlich.«
Capitan Torres beobachtete sie alle beide. Er dachte bei sich: Also wie ein Mißgeschick hat das ja nun nicht ausgesehen. Was geht da vor? Er konnte natürlich nicht wissen, daß Gift in dem Wein gewesen war und daß Naveiro deshalb Eddie gerade das Leben gerettet hatte.
Als das Essen vorbei war, sagte Naveiro zu dem Mann, den er für Colonel Bolivar hielt: »Ich kann dir gar nicht genug danken, Ramon. Du hast heute eine wirklich gute Tat getan. Das ist eine hervorragende Sache für unser Land.«
»Ach, das ist nicht weiter der Rede wert«, sagte Eddie bescheiden.
Naveiro nahm die Verfügung, die Eddie geschrieben und mit Colonel Ramon Bolivar unterzeichnet hatte, an sich und sagte: »Ich veranlasse, daß alle Zeitungen dies gleich auf ihrer ersten Seite abdrucken.«
Capitan Torres saß dabei und kochte innerlich. Er konnte nichts machen!
Als sie wieder allein waren, hätte der Capitan Eddie am liebsten umgebracht, so wütend war er auf ihn. Aber das kann ich nicht, dachte er bei sich. Noch nicht. Aber wenn Colonel Bolivar aus der Klinik entlassen wird und in den Palast zurückgekehrt ist, dann bringe ich diesen Schauspieler um. Und es wird mir ein Vergnügen sein. Ganz langsam mache ich es, damit er richtig leiden muß.
Eddie sagte: »Ich bin sicher, der Colonel wird sehr zufrieden damit sein, wenn er von der Geschäftsreise kommt. Wissen Sie, ich glaube, er weiß gar nicht, was hier alles vorgeht. Er ist so ein gutmütiger Mensch. Er würde es doch niemals zulassen, daß man die Zeitungen so behandelt, nicht?«
Capitan Torres hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Ja, ja, ich bin auch sicher«, sagte er, »daß sich Colonel Bolivar sehr darüber freuen wird.« Aber er erstickte fast an diesen Worten, so schwer fielen sie ihm. Gut, dachte er, noch ist ja kein wirklicher Schaden angerichtet. Sobald der Colonel aus dem Krankenhaus heraus ist, schreibt er eben eine neue Verfügung und setzt diese hier einfach wieder außer Kraft. Kein Problem. In einer Diktatur wird den Leuten nun einmal gesagt, was sie zu tun haben.
»Was steht für heute sonst noch auf dem Plan?« fragte Eddie.
»Nichts«, sagte der Capitan schroff. »Ich meine, wir wollen Sie ja auch nicht überanstrengen. Sie sollten sich jetzt ein wenig ausruhen.«
»Keine schlechte Idee«, sagte Eddie.
»Ich muß für eine oder zwei Stunden weg«, sagte Capitan Torres. »Würden Sie mir den Gefallen tun und in dieser Zeit in Ihrer Suite bleiben? Und reden Sie bitte mit niemandem. Und ich meine wirklich, mit nie-man-dem!«
Das klang bedrohlich genug, daß Eddie sich denken konnte, es sei gar nicht auszudenken, in welche Schwierigkeiten er andernfalls geraten könne.
»In Ordnung«, sagte er also.
Und Capitan Torres ging und begab sich in das Krankenhaus.
Sobald Capitan Torres weg war, griff Eddie zum Telefon und rief Mary zu Hause an. Es tat ihm leid, daß er sie allein gelassen hatte, jetzt, wo sie jeden Tag das Baby bekommen konnte. Er fühlte sich wie ein Deserteur.
Mary antwortete nach dem ersten Klingeln.
»Hallo, Schatz!«
»Eddie! Ich bin so froh, daß ich deine Stimme höre! Geht es mit dem Stück immer noch so gut?«
Sie hat überhaupt keine Ahnung, wie gut, dachte Eddie. Nur, daß er eben inzwischen ein ganz anderes Stück spielte. Statt My Fair Lady hieß das Stück jetzt My Fair Colonel, und er war der Star darin.