«Jedoch eine gütige Vorsehung hat sie der Erde entrückt, denke ich?»
«Ja, vor ungefähr einem Jahr. Akute Gastritis. Sie bereitete ihrem Gatten, Dr. Thomas und zwei Pflegerinnen die reine Hölle – aber schließlich ist sie doch gestorben! Die Bulldoggen waren gleich munterer.»
«Intelligente Viecher!»
Ein Schweigen entstand. Bridget rupfte müßig das lange Gras aus. Luke schaute, ohne etwas zu sehen, mit gerunzelten Brauen auf das gegenüberliegende Ufer. Wieder wurde ihm das Phantastische seiner Mission bewusst. Was war Tatsache – wieviel war Einbildung? War es nicht schlecht für einen, wenn man jeden Menschen, den man kennenlernte, als möglichen Mörder betrachtete? Dieser Standpunkt hatte etwas Erniedrigendes.
Verdammt noch mal, dachte Luke, ich war wirklich zu lange ein Polizeimann!
Er wurde mit einem Ruck aus seinen Grübeleien gerissen; Bridgets kühle, klare Stimme sagte:
«Mr Fitzwilliam, warum sind Sie eigentlich hergekommen?»
6
Luke war eben im Begriff gewesen, sich eine Zigarette anzuzünden. Die Überraschung über ihre Frage lähmte ihm momentan die Hand; er verharrte ein paar Augenblicke regungslos, während das Zündholz herunterbrannte und ihm die Finger versengte.
«Verdammt», fluchte Luke, ließ das Zündholz fallen und schüttelte heftig seine Hand. «Verzeihung, Sie haben mich ganz aus dem Konzept gebracht.» Er lächelte etwas kläglich.
«Wirklich?»
«Ja.» Er seufzte. «Nun, vermutlich würde mich jeder, der ein wenig intelligent ist, durchschauen! Der Geschichte, dass ich ein Buch über Volkssagen schreibe, sind Sie wohl keinen Augenblick aufgesessen, wie?»
«Nachdem ich Sie einmal gesehen hatte, nicht.»
«Bis dahin haben Sie es geglaubt?»
«Ja.»
«Und dass ich da herkomme und mich als Vetter ausgebe – das hat Sie nicht stutzig gemacht?»
Bridget schüttelte den Kopf.
«Nein. Dafür hatte ich eine Erklärung – das heißt, ich glaubte eine zu haben. Ich nahm an, dass es Ihnen schlecht ginge. Vielen von meinen und Jimmys Freunden geht es schlecht – und da dachte ich, er habe sich das mit dem Vetter ausgedacht, um Ihren Stolz zu schonen.»
«Aber als ich ankam», sagte Luke, «hat da mein Auftreten so viel Wohlstand ausgeströmt, dass diese Erklärung nicht in Frage kam?»
Ein Lachen erschien auf ihren Lippen.
«O nein», erwiderte sie. «Das war es nicht. Sie waren einfach nicht der Richtige dafür.»
«Nicht genug Verstand, um ein Buch zu schreiben? Schonen Sie meine Gefühle nicht; mir ist lieber, ich weiß es!»
«Sie könnten ein Buch schreiben, aber nicht diese Art Buch, über alte Bräuche und Riten. Sie sind nicht der Mensch, dem die Vergangenheit viel bedeutet – vielleicht nicht einmal die Zukunft – gerade nur die Gegenwart.»
«Hm – ich verstehe.» Er zog ein schiefes Gesicht. «Hol’s der Teufel, seit ich hier bin, war ich nervös in Ihrer Gegenwart! Sie sahen so verdammt intelligent aus.»
«Entschuldigen Sie», bemerkte Bridget trocken. «Was haben Sie denn erwartet?»
«Nun – ich hatte eigentlich nicht darüber nachgedacht.»
Doch sie fuhr ruhig fort:
«Eine federleichte kleine Person – mit gerade genug Verstand, die Gelegenheit wahrzunehmen und ihren Chef einzufangen?»
Luke gab einen undeutbaren Laut von sich. Sie wandte ihm einen leicht amüsierten Blick zu.
«Ich verstehe vollkommen. Ist schon gut. Ich bin nicht böse.»
Luke versuchte es mit Frechheit.
«Nun, vielleicht war es etwas Ähnliches. Aber ich habe wirklich nicht viel darüber nachgedacht… Hat Lord Whitfield mich auch durchschaut?»
«O nein. Wenn Sie erzählt hätten, Sie seien hergekommen, um die Gewohnheiten der Wasserkäfer zu studieren und eine Abhandlung darüber zu schreiben, wäre es bei Gordon glatt durchgegangen. Er besitzt eine beneidenswerte Leichtgläubigkeit.»
«Trotzdem war ich nicht sehr überzeugend! Ich wurde nervös.»
«Das habe ich wohl gemerkt. Es hat mich sogar amüsiert, muss ich gestehen.»
Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie:
«Warum sind Sie hier, Mr Fitzwilliam?»
Luke hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde. In den letzten paar Sekunden hatte er sich bemüht, einen Entschluss zu fassen. Nun sah er auf und begegnete ihren Augen – klugen, fragenden Augen, die die seinen mit einem ruhigen, festen Blick trafen: Ein Ernst lag in ihnen, den er nicht erwartet hatte.
«Es wird besser sein», meinte er nachdenklich, «Ihnen keine Lügen mehr zu erzählen.»
«Viel besser.»
«Aber die Wahrheit ist fatal… Sagen Sie mal, haben Sie sich selbst irgendeine Meinung gebildet – ich meine, ist Ihnen etwas eingefallen in Bezug auf meine Anwesenheit hier?»
Sie nickte langsam und nachdenklich.
«Wollen Sie es mir nicht sagen? Ich glaube, es würde mir manches erleichtern.»
Bridget sagte ruhig:
«Ich dachte, dass Sie in Verbindung mit dem Tod jenes Mädchens, Amy Gibbs, hergekommen sind.»
«Das war es also! Das merkte ich, das fühlte ich – wann immer ihr Name fiel! Ich wusste, da steckt etwas dahinter! Sie dachten also, dass ich deshalb herkam?»
«Ist es nicht so?»
«In gewisser Weise – ja. Ich bin hergekommen auf eine phantastische und wohl ganz absurde und melodramatische Vermutung hin. Amy Gibbs ist ein Teil dieser ganzen Sache. Ich möchte herausbekommen, wie sie wirklich starb.»
«Ja, das dachte ich mir.»
«Aber, hol’s der Kuckuck – warum dachten Sie das? Was war an ihrem Tod, das – nun – Ihr Interesse weckte?»
Bridget erwiderte: «Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass da irgend etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Darum brachte ich Sie zu Miss Waynflete.»
«Warum?»
«Weil sie das auch glaubt.»
«Oh!» Luke dachte rasch zurück. Nun verstand er – genau das hatte sie ihm auf ihre klug-altjüngferliche Art anzudeuten versucht. «Warum eigentlich?»
«Vor allem wegen der Hutfarbe. Vor zwanzig Jahren haben die Leute ihre Hüte gefärbt – eine Saison hatte man einen rosa Strohhut, dann wurde er dunkelblau und schließlich vielleicht noch schwarz. Aber heutzutage sind Hüte billig – schlechtes Material, das man wegwirft, wenn es unmodern geworden ist.»
«Auch Mädchen wie Amy Gibbs?»
«Da würde noch eher ich mir einen Hut färben als sie! Sparsamkeit gibt es nicht mehr. Und dann noch etwas: Es war rote Farbe.»
«Und?»
«Amy Gibbs hatte rote Haare!»
«Sie meinen, das passt nicht zusammen?»
Bridget nickte.
«Man kann keinen hochroten Hut zu rotem Haar tragen. Das ist etwas, was ein Mann vielleicht nicht versteht, aber – ».
Luke unterbrach sie mit bedeutsamem Nachdruck.
«Nein – ein Mann würde das nicht verstehen – das stimmt – es stimmt alles.»
Bridget sagte:
«Jimmy hat ein paar merkwürdige Freunde bei Scotland Yard. Sie sind nicht…»
Luke sagte rasch:
«Ich bin kein offizieller Detektiv – und ich bin auch kein berühmter Privatdetektiv mit Zimmern in der Baker Street usw. Ich bin genau das, was Jimmy Ihnen gesagt hat – ein Polizeimann im Ruhestand aus dem Osten. Ich habe mich auf diese Sache eingelassen aufgrund einer merkwürdigen Begegnung im Zug nach London.»
Er schilderte ihr kurz seine Unterhaltung mit Miss Pinkerton und die nachfolgenden Ereignisse, die zu seiner Anwesenheit in Wychwood geführt hatten.
«Sie sehen also, es ist phantastisch!» schloss er. «Ich suche einen Menschen – einen heimlichen Mörder – einen Mann hier in Wychwood – wahrscheinlich allgemein bekannt und geachtet. Wenn Miss Pinkerton recht hatte und Sie recht haben und Miss Waynflete recht hat – so hat dieser Mann Amy Gibbs umgebracht.»
«Ich verstehe.»