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«Tatsächlich ist die Welt ohne ihn nun angenehmer?»

«Das könnte man sagen, ja.»

«Wenn ihm also jemand einen Stoß versetzt und ihn in den Fluss geworfen hätte, statt dass er so freundlich war, freiwillig hineinzufallen, so hätte diese Person tatsächlich im öffentlichen Interesse gehandelt?»

Dr. Thomas sagte trocken:

«Diese Methoden, die Sie befürworten – haben Sie die im Orient auch in die Praxis umgesetzt?»

Luke lachte.

«O nein, bei mir ist es nur Theorie – nicht Praxis.»

«Nein, ich glaube auch nicht, dass Sie aus dem Stoff eines Mörders sind.»

«Sagen Sie mir – es interessiert mich –, sind Sie je einem Menschen begegnet, von dem Sie glaubten, er könnte ein Mörder sein?»

Dr. Thomas sagte scharf:

«Das ist wirklich eine merkwürdige Frage!»

«Ja? Schließlich kommen einem Doktor so viele sonderbare Charaktere unter. Er könnte zum Beispiel die Anzeichen von Mordwahn schon in einem frühen Stadium entdecken, ehe sie allgemein bemerkbar sind.»

Thomas sagte etwas gereizt:

«Sie haben die verbreitete Laienvorstellung von einem mörderischen Wahnsinnigen als einem Mann, der mit einem Messer herumläuft, mehr oder weniger mit Schaum vor dem Mund! Lassen Sie sich sagen, dass ein vom Mordwahn Besessener am allerschwersten zu erkennen ist. Er kann genau wie alle anderen Leute sein – vielleicht ein Mensch, der leicht erschrickt, der Ihnen erzählt, dass er Feinde hat, mehr nicht. Ein ruhiger, harmloser Mensch.»

«Ist das wirklich so?»

«Natürlich ist das so. Ein Wahnsinniger mordet oft (wie er glaubt) in Selbstverteidigung. Im übrigen sind die meisten Mörder gewöhnliche, geistig gesunde Leute wie Sie und ich.»

«Doktor, Sie erschrecken mich! Stellen Sie sich vor, wenn Sie später entdecken würden, dass ich fünf oder sechs nette kleine Morde auf dem Gewissen habe!»

Dr. Thomas lächelte.

«Ich halte das nicht für sehr wahrscheinlich, Mr Fitzwilliam.»

«Nicht? Nun, ich kann Ihnen das Kompliment zurückgeben.»

«Da vergessen Sie meine ärztlichen Kunstfehler.»

Beide Männer lachten.

Luke stand auf und verabschiedete sich.

«Ich fürchte, ich habe Ihre Zeit über Gebühr in Anspruch genommen», sagte er entschuldigend.

«Ach, ich habe nicht viel zu tun, Wychwood ist ein recht gesunder Ort. Es ist ein Vergnügen, mal mit jemandem von außerhalb zu reden.»

«Ich dachte mir eben – », begann Luke und hielt inne. «Ja?»

«Miss Conway sagte mir, als sie mich zu Ihnen schickte, was für ein – nun – was für ein ausgezeichneter Arzt Sie seien. Und da fragte ich mich, ob Sie sich hier nicht ein wenig begraben fühlten? Hier ist nicht viel Gelegenheit, ein wenig Talent zu zeigen.»

«Oh, die allgemeine Praxis ist ein guter Anfang; sie bringt einem wertvolle Erfahrungen.»

«Aber Sie werden wohl nicht damit zufrieden sein, Ihr ganzes Leben in dem einen Geleise zu bleiben. Ihr verstorbener Kompagnon, Dr. Humbleby, war nicht besonders ehrgeizig, wie ich hörte – war mit seiner Praxis hier ganz zufrieden. Er war doch viele Jahre hier, nicht?»

«Praktisch sein Leben lang.»

«Er war tüchtig, aber altmodisch, sagte man mir.»

«Zuzeiten war er schwierig… Sehr misstrauisch gegen jede Neuerung, aber ein würdiger Vertreter der alten Ärzteschule.»

«Soll eine sehr hübsche Tochter hinterlassen haben», sagte Luke in scherzhafter Weise.

Er hatte das Vergnügen, das rosige Antlitz von Dr. Thomas jäh mit einer tiefen Röte übergossen zu sehen.

«Oh – äh – ja», stotterte er.

Luke schaute ihn freundlich an; es freute ihn, Dr. Thomas von der Liste der Verdächtigten streichen zu können. Dieser erlangte seine normale Farbe wieder und sagte rasch: «Da wir eben von Verbrechen sprachen – ich kann Ihnen da ein gutes Buch leihen, da Sie sich für das Thema interessieren, eine Übersetzung aus dem Deutschen, Kreuzhammers ‹Minderwertigkeit und Verbrechen›.»

«Vielen Dank», sagte Luke.

Dr. Thomas zog das Buch aus einem Fach.

«Einige der Theorien sind ja etwas erstaunlich – und natürlich nur Theorien, aber wirklich interessant. Die Jugend von Menzheld zum Beispiel, dem Schlächter von Frankfurt, wie er genannt wurde, und das Kapitel über Anna Helm, Kindermädchen und Mörderin, sind außerordentlich interessant.»

«Sie brachte ungefähr ein Dutzend ihrer Pflegebefohlenen um, ehe man ihr draufkam, glaube ich», sagte Luke. Dr. Thomas nickte.

«Ja. Sie war eine höchst sympathische Persönlichkeit – Kindern äußerst zugetan, und scheinbar aufrichtig verzweifelt über jeden Todesfall. Die Psyche des Menschen ist etwas Faszinierendes.»

«Es ist erstaunlich, dass diese Leute so lange nicht erwischt wurden», sagte Luke.

Er stand bereits vor der Tür; Dr. Thomas hatte ihn hinausbegleitet.

«Nicht wirklich erstaunlich», meinte Dr. Thomas. «Es ist ganz leicht, wissen Sie.»

«Was ist leicht?»

«Nicht erwischt zu werden.» Er lächelte wieder – ein reizendes, jungenhaftes Lächeln. «Wenn man achtgibt. Man muss nur achtgeben – das ist alles! Aber ein kluger Mann gibt eben außerordentlich acht, keinen Fehler zu machen. Das ist die ganze Kunst.»

Er lächelte wieder und ging ins Haus.

Luke stand da und starrte ihm nach.

Es war etwas Herablassendes in dem Lächeln des Doktors gewesen. Während ihrer ganzen Unterhaltung war Luke sich seiner selbst als eines reifen Mannes bewusst gewesen und hatte Dr. Thomas als einen jugendlichen, offenen Menschen betrachtet.

Nun empfand er einen Augenblick lang die Rollen als vertauscht; das Lächeln des Doktors war das eines Erwachsenen gewesen, der sich über die Klugheit eines Kindes amüsiert. 

9

Luke hatte in dem kleinen Laden an der Hauptstraße die neueste Nummer des Wochenblattes Good Cheer gekauft, dem Lord Whitfield einen großen Teil seines beachtlichen Einkommens verdankte. Luke hatte nach einem Blick auf die Footballergebnisse stöhnend mitgeteilt, dass ihm ein Gewinn von hundertzwanzig Pfund entgangen sei! Mrs Pierce war sofort voll lebhaften Mitgefühls und erzählte von ähnlichen Enttäuschungen, die ihrem Mann widerfahren waren.

«Mein Mann interessiert sich sehr für Football. Schlägt immer zuerst diese Seite auf. Und hat, wie gesagt, viele Enttäuschungen erlebt; aber jeder kann nicht gewinnen, sag ich, und, sag ich, gegen Pech kann man nicht an.»

Luke stimmte ihr in allem aus ganzem Herzen zu und meinte dann philosophisch, dass eine Sorge nie allein komme.

«Nein, wirklich nicht, Sir, das weiß ich wohl», seufzte Mrs Pierce. «Wenn eine Frau einen Mann und acht Kinder hat – sechs lebende und zwei begraben, heißt das –, dann weiß sie, was Sorgen sind, das kann man wohl sagen.»

«Zweifellos», sagte Luke. «Sie haben zwei verloren, sagen Sie?»

«Eins erst vor einem Monat.»

«Ach, wie traurig!»

«Es war nicht nur traurig, Sir, es war ein großer Schrecken – das war es wohl! Mir ist ganz schlecht geworden, als man es mir beibrachte, da ich nie erwartet hätte, dass Tommy etwas Derartiges passieren könnte, denn wenn ein Junge einem Sorgen macht, denkt man nicht daran, dass er einem entrissen werden könnte. Also, meine Emma Jane, die war ein süßes kleines Ding: ‹Die bringen Sie nicht durch›, sagten mir die Leute, ‹die ist zu gut für diese Welt!› Und so war es auch, Sir. Der Herr erkennt die Seinen.»

Luke nickte ernst und versuchte, von der engelhaften Emma Jane wieder zu dem weniger engelhaften Tommy zurückzukehren.

«Ihr Junge ist erst kürzlich gestorben?» fragte er. «Ein Unglücksfall?»

«Ja, es war ein Unglücksfall, Sir. Beim Fensterputzen in der Bibliothek muss er das Gleichgewicht verloren haben und ist heruntergefallen – von den oberen Fenstern war es.» Mrs Pierce ließ sich nun lang und breit über die Einzelheiten des Unfalls aus.