«Ich weiß, es ist alles phantastisch – aber es scheint nicht mehr ganz so phantastisch, wenn es auf Ellsworthy angewendet wird.»
«Ja, das finde ich auch.»
«Wir haben eine Verbindung zu zweien der Opfer», stellte Bridget fest. «Tommy Pierce und Amy Gibbs.»
«Und wie kommen der Wirt und Humbleby hinein?»
«Augenblicklich gar nicht.»
«Der Wirt nicht. Aber für Humblebys Beseitigung kann ich mir einen Grund vorstellen. Er war Arzt und könnte Ellsworthy durchschaut haben.»
«Ja, das wäre möglich.»
Dann lachte Bridget.
«Ich habe meine Sache heute recht gut gemacht. Es scheint, dass meine psychischen Möglichkeiten großartig sind, und als ich erzählte, dass eine meiner Ururgroßmütter mit knapper Not dem Verbranntwerden wegen Hexerei entging, da stiegen meine Aktien gewaltig. Ich denke, dass ich zu den nächsten satanischen Orgien eingeladen werde.»
«Um Gottes willen, Bridget, seien Sie vorsichtig!»
Sie sah ihn erstaunt an. Er erhob sich.
«Ich traf eben Humblebys Tochter. Wir sprachen über Miss Pinkerton, und das Mädel sagte, dass Miss Pinkerton um Sie besorgt gewesen sei.»
Bridget erstarrte.
«Was heißt das? Miss Pinkerton – besorgt – um mich?»
«Das sagte Rose Humbleby.»
«Rose Humbleby sagte das?»
«Ja.»
«Was sagte sie noch?»
«Sonst nichts.»
«Sind Sie sicher?»
«Ganz sicher.»
Eine Pause entstand, dann flüsterte Bridget: «Ich verstehe.»
«Miss Pinkerton war um Humbleby besorgt, und er starb. Nun höre ich, dass sie um Sie besorgt war…»
Bridget lachte. Sie stand auf und schüttelte den Kopf, so dass ihr langes schwarzes Haar nur so flog.
«Keine Bange», sagte sie. «Der Teufel sorgt für die Seinen.»
11
Luke saß dem Bankdirektor gegenüber und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
«Nun, das scheint ja sehr zufriedenstellend», sagte er. «Ich fürchte, ich habe viel von Ihrer Zeit in Anspruch genommen.»
Mr Jones winkte höflich ab.
«Nein, wirklich nicht, Mr Fitzwilliam. Hier ist es sehr ruhig, wissen Sie, und wir freuen uns immer, einen Fremden zu sehen.»
«Es ist ein bezauberndes Fleckchen Erde», schwärmte Luke. «Voll von Aberglauben.»
Mr Jones seufzte und meinte, es dauere lang, bis die Erziehung den Aberglauben ausgerottet habe. Luke stellte fest, dass Erziehung heutzutage zu hoch bewertet werde, eine Bemerkung, die Mr Jones schockierte.
«Lord Whitfield», erzählte er, «hat sich als großer Wohltäter für den Ort erwiesen. Er begriff die Nachteile, unter denen er selbst als Junge litt, und beschloss, dass die Jugend von heute besser ausgerüstet sein sollte.»
«Diese Nachteile haben ihn aber nicht gehindert, ein großes Vermögen zu erwerben», unterbrach Luke.
«Nein, er muss Fähigkeiten – große Fähigkeiten gehabt haben.»
«Oder Glück», sagte Luke.
Mr Jones sah wieder schockiert aus.
«Glück ist das Einzige, was zählt», behauptete Luke. «Nehmen Sie zum Beispiel einen Mörder. Warum wird der erfolgreiche Mörder nicht erwischt? Ist es Geschicklichkeit? Oder ist es pures Glück?»
Mr Jones gab zu, dass es wahrscheinlich Glück sei. Luke fuhr fort:
«Nehmen Sie zum Beispiel einen Menschen wie diesen Carter, den Wirt von einem Ihrer Gasthäuser. Der Kerl war wahrscheinlich an sechs von sieben Abenden betrunken – doch in einer Nacht fliegt er vom Steg in den Fluss. Wieder Glückssache.»
«Ein Glück für manche Leute», nickte der Bankdirektor.
«Wie meinen Sie?»
«Für seine Frau und Tochter.»
«Ach ja, natürlich.»
Ein Angestellter klopfte und trat mit Papieren ein. Luke gab zwei Musterunterschriften und erhielt ein Scheckbuch. Er erhob sich. «Nun, ich bin froh, dass das erledigt ist. Ich hatte dieses Jahr beim Derby Glück. Sie auch?»
Mr Jones sagte lächelnd, dass er nicht wette. Er fügte hinzu, dass seine Frau sehr entschiedene Ansichten über Pferderennen hätte.
«Dann waren Sie vermutlich auch nicht beim Derby?»
«Nein.»
«Ist überhaupt jemand von hier hingegangen?»
«Major Horton; der ist ganz versessen auf Rennen. Und Mr Abbot nimmt sich gewöhnlich den Tag frei. Er hat jedoch nicht auf den Sieger gesetzt.»
«Ich vermute, das taten wenige», sagte Luke und empfahl sich. Er zündete sich eine Zigarette an, während er aus dem Bankgebäude trat. Abgesehen von der Theorie des «Unwahrscheinlichsten», sah er keinen Grund, Mr Jones auf seiner Liste der Verdächtigen zu behalten. Der Bankdirektor hatte keinerlei interessante Reaktionen auf Lukes prüfende Fragen gezeigt; es schien auch ganz unmöglich, ihn sich als Mörder vorzustellen. Außerdem war er am Derbytag nicht fort gewesen. Im übrigen war Lukes Besuch nicht vergeblich gewesen, denn er hatte zwei kleine Einzelheiten erfahren: Sowohl Major Horton wie Mr Abbot, der Rechtsanwalt, waren am Derbytag nicht in Wychwood gewesen. Jeder von ihnen hätte also zu der Zeit, als Miss Pinkerton überfahren wurde, in London sein können. Obwohl Luke Dr. Thomas nicht verdächtigte, spürte er, dass es ihn nicht befriedigen würde, wüsste er bestimmt, dass letzterer an eben jenem Tag in Wychwood beruflich beschäftigt war. Er nahm sich vor, diesen Punkt zu klären.
Dann war da noch Ellsworthy. War Ellsworthy am Derbytag in Wychwood gewesen? Wenn ja, sank die Wahrscheinlichkeit, dass er der Mörder war, entsprechend. Obwohl es immerhin möglich war, dass Miss Pinkertons Tod nicht mehr oder weniger war als der Unfall, als der er erscheinen sollte.
Diese Annahme verwarf er jedoch. Ihr Tod kam zu gelegen. Luke stieg in sein Auto und fuhr in Pipwells Garage, die am anderen Ende der Hauptstraße lag.
Es gab ein paar kleine Dinge bei dem Auto, über die er reden wollte. Ein gutaussehender junger Mechaniker mit einem sommersprossigen Gesicht hörte ihm aufmerksam zu. Die beiden hoben die Haube und vertieften sich in ein technisches Gespräch.
Eine Stimme rief:
«Jim, komm doch mal einen Augenblick her.»
Der sommersprossige Mechaniker gehorchte.
Jim Harvey. Das war richtig. Jim Harvey, der junge Mann von Amy Gibbs. Er kam bald zurück, entschuldigte sich, und die Unterhaltung wurde wieder technisch. Luke war damit einverstanden, dass der Wagen dort blieb.
Als er im Begriff war zu gehen, fragte er so nebenbei: «Glück gehabt beim Derby heuer?»
«Nein, Sir. Hatte auf Clarigold gesetzt.»
«Es können nicht viele gewesen sein, die auf Jujube II gesetzt haben.»
«Nein, wirklich nicht; ich glaube, dass keine der Zeitungen ihn auch nur als Geheimtip draufhatte.»
Luke schüttelte den Kopf.
«Rennen sind etwas Unsicheres. Waren Sie je bei einem Derby?»
«Nein, leider nicht. Ich hätte heuer zwar gern den Tag frei gehabt; es gab eine billige Fahrt nach London und dann bis Epsom, aber der Meister wollte nichts davon hören. Wir hatten ohnehin zuwenig Leute, und es gab eine Menge Arbeit an dem Tag.»
Luke nickte und ging.
Jim Harvey wurde von der Liste gestrichen. Dieser nette Junge war kein heimlicher Mörder, und er konnte auch nicht Lavinia Pinkerton zur Strecke gebracht haben.
Luke schlenderte am Flussufer entlang nach Hause. Wieder begegnete er dabei Major Horton mit seinen Hunden. Der Major war auch wieder in demselben Zustand apoplektischen Schreiens und Rufens. «Augustus – Nelly – Nelly – Nero – Nero – Nero!»
Wieder starrten die hervorstehenden Augen Luke an. Doch diesmal sollte mehr folgen; Major Horton sagte: «Entschuldigen Sie. Mr Fitzwilliam, nicht wahr?»
«Ja.»
«Horton – Major Horton. Ich glaube, ich werde Sie morgen in Ashe Manor treffen. Tennispartie. Miss Conway war so freundlich, mich einzuladen. Ihre Cousine, nicht wahr?»