«Wahrscheinlich nicht.»
«Dann auch Nahrungsmittel – Kalorien und Vitamine – derlei Dinge. Lord Whitfield ist ganz versessen auf den ‹Kampf für die größere Tauglichkeit›.»
«Das sagte er mir neulich auch.»
«Das ist jetzt das größte Schlagwort, nicht wahr? Lord Whitfield erzählte mir von seinem Besuch im Wellerman-Institut – dass er so viele Keime und Kulturen von Bakterien gesehen habe –, mir schauderte geradezu! Und er erzählte mir von Moskitos und der Schlafkrankheit und etwas von einer Leberbehandlung, was ich leider nicht recht verstand, es war zu hoch für mich.»
«Es war wahrscheinlich auch zu hoch für Lord Whitfield», tröstete Luke heiter. «Ich möchte wetten, er hat es ganz missverstanden! Sie haben einen viel klareren Kopf als er, Miss Waynflete.»
Miss Waynflete sagte gesetzt:
«Das ist sehr nett von Ihnen, Mr Fitzwilliam, aber ich fürchte, Frauen sind nie so tiefe Denker wie Männer.»
Luke unterdrückte den Wunsch, Lord Whitfields Gedankengänge einer abfälligen Kritik zu unterziehen. Stattdessen sagte er:
«Ich schaute wohl ins Museum, doch nachher ging ich hinauf, um einen Blick auf die oberen Fenster zu werfen.»
«Sie meinen, wo Tommy – »
Miss Waynflete erschauerte. «Es ist wirklich grässlich.»
«Ja, es ist keine schöne Vorstellung. Ich habe ungefähr eine Stunde mit Mrs Church – Amys Tante – verbracht. Keine angenehme Frau!»
«Gewiss nicht.»
«Ich musste einen ziemlich scharfen Ton mit ihr anschlagen», sagte Luke. «Ich glaube, sie hält mich für eine Art höheren Polizeimann.»
Er hielt inne, als er eine plötzliche Veränderung in Miss Waynfletes Gesichtsausdruck wahrnahm.
«Oh, Mr Fitzwilliam, halten Sie das für angezeigt?»
Luke sagte: «Ich weiß nicht, ich glaube, es war unvermeidlich. Die Geschichte vom Buch war schon recht fadenscheinig – mit der komme ich nicht viel weiter. Ich musste Fragen stellen, die direkt auf die Sache abzielten.»
Miss Waynflete schüttelte den Kopf – der bekümmerte Ausdruck wich nicht aus ihrem Gesicht.
«In einem Ort wie diesem hier, wissen Sie – spricht sich alles so schnell herum.»
«Sie meinen, dass, wenn ich über die Straße gehe, jeder sagen wird: ‹Da geht der Detektiv›? Ich glaube nicht, dass das jetzt noch viel ausmacht. Tatsächlich erreiche ich vielleicht auf diese Art mehr.»
«Daran dachte ich nicht», es klang ein wenig atemlos. «Was ich meinte, war – er wird es erfahren, es wird ihm klar werden, dass Sie ihm auf der Spur sind.»
Luke meinte langsam und betont:
«Das ist schon möglich.»
«Aber sehen Sie denn nicht – das ist ja furchtbar gefährlich, furchtbar!»
«Sie meinen – » Endlich begriff Luke: «Sie meinen, der Mörder wird es nun auf mich absehen?»
«Ja.»
«Komisch», sagte Luke. «Daran habe ich überhaupt nicht gedacht! Ich glaube jedoch, Sie haben recht. Nun, das ist eigentlich das Beste, was geschehen könnte.»
Miss Waynflete sagte ernst:
«Ich glaube, Sie sind sich nicht ganz klar, dass er – er ein sehr gescheiter Mann ist. Er ist auch vorsichtig! Und bedenken Sie, er hat eine Menge Erfahrung – vielleicht mehr, als wir ahnen.»
«Ja», sagte Luke nachdenklich. «Das ist wohl richtig.»
Miss Waynflete rief aus:
«Oh, es gefällt mir nicht! Es erschreckt mich geradezu!»
Luke beruhigte sie sanft:
«Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen; ich werde sehr auf mich aufpassen, das versichere ich Ihnen. Wissen Sie, ich habe den Kreis schon sehr eng gezogen. Ich habe wenigstens eine Ahnung, wer der Mörder sein kann.»
Sie blickte scharf auf.
Luke kam einen Schritt näher, er dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern:
«Miss Waynflete, wenn ich Sie fragen würde, welchen von zwei Männern Sie für den wahrscheinlichsten hielten – Dr. Thomas oder Mr Abbot –, was würden Sie sagen?»
«Oh – », sagte Miss Waynflete. Ihre Hand presste sich auf ihre Brust, sie trat zurück. Ihre Augen begegneten denen von Luke mit einem Ausdruck, den er nicht verstand. Sie zeigten Ungeduld und noch etwas anderes, das er nicht ganz begriff.
«Ich kann gar nichts sagen – »
Sie wandte sich jäh ab mit einem merkwürdigen Laut – halb Seufzer, halb Schluchzen.
Luke drang nicht weiter in sie.
«Gehen Sie nach Hause?» fragte er.
«Nein, ich war im Begriff, Mrs Humbleby diese Bücher zu bringen; das liegt am Weg nach Ashe Manor. Wir könnten ein Stück des Weges miteinander gehen.»
«Das ist nett», sagte Luke.
Sie gingen die Stufen hinab, wandten sich zur Linken und gingen entlang der Dorfwiese.
Luke schaute zurück auf die stattlichen Umrisse des Hauses, das sie eben verlassen hatten.
«Es muss zur Zeit Ihres Vaters ein wunderschönes Haus gewesen sein», sagte er.
Miss Waynflete seufzte.
«Ja, wir waren alle sehr glücklich dort. Ich bin so froh, dass es nicht abgerissen wurde. So viele von den alten Häusern mussten dran glauben.»
«Ich weiß. Es ist traurig.»
«Und die neuen sind wirklich nicht so gut gebaut.»
«Ich bezweifle, dass sie so lange stehen werden.»
«Aber die neuen sind natürlich bequem», sagte Miss Waynflete, «sie sparen Arbeit, es sind nicht so viele Gänge zu putzen.»
Luke stimmte ihr zu.
Als sie bei Dr. Humblebys Tür angelangt waren, zögerte Miss Waynflete und sagte dann:
«So ein schöner Abend! Wenn es Ihnen recht ist, gehe ich noch ein Stückchen mit; die Luft tut mir gut.»
Etwas erstaunt drückte Luke höflich sein Vergnügen über ihre Begleitung aus. Er hätte den Abend nicht gerade schön genannt, es blies ein starker Wind. Er dachte, ein Sturm könnte jeden Augenblick ausbrechen.
Miss Waynflete ging jedoch an seiner Seite, ihren Hut mit einer Hand festhaltend, als bereite ihr der Spaziergang großes Vergnügen, und plauderte während des Gehens ein wenig atemlos.
Es war ein einsames Gässchen, durch das sie gingen, denn der kürzeste Weg von Dr. Humblebys Haus nach Ashe Manor führte nicht über die Hauptstraße, sondern durch ein Seitengässchen zu einem der hinteren Tore des Besitzes. Dieses Tor war nicht in dem reich verzierten Eisenwerk des vorderen Tores ausgeführt, sondern hatte zwei stattliche Pfeiler, auf denen zwei ungeheure rosafarbene Ananas ruhten. Warum gerade Ananas, das hatte Luke nicht herausbekommen können, aber er nahm an, dass für Lord Whitfield Ananas Vornehmheit und guten Geschmack bedeuteten.
Als sie sich dem Tor näherten, schlug eine zornige Stimme an ihr Ohr. Einen Augenblick später erblickten sie Lord Whitfield und einen jungen Mann in Chauffeursuniform. «Sie sind entlassen», schrie Lord Whitfield. «Hören Sie? Sie sind entlassen.»
«Wenn Mylord es das eine Mal nachsehen wollten.»
«Nein, ich will es nicht nachsehen! Mein Auto für sich zu benützen! Mein Auto – und was noch schlimmer ist, Sie haben ja getrunken – ja, leugnen Sie nicht! Ich habe es klargemacht, drei Dinge dulde ich nicht auf meinem Besitz – das eine ist Trunkenheit, das zweite ist Unmoral und das dritte ist Frechheit.»
Obwohl der Mann nicht tatsächlich betrunken war, hatte er doch genug getrunken, um mutig dagegenzuhalten. «Das wollen Sie nicht und jenes wollen Sie nicht, Sie alter Bastard! Ihr Besitz! Glauben Sie, wir wissen nicht alle, dass Ihr Vater hier einen Schuhladen hatte? Es ist ja zum Kranklachen, wahrhaftig, Sie wie den Hahn am Mist herumstolzieren zu sehen! Wer sind Sie denn, möchte ich wissen? Sie sind nichts Besseres als ich – das sind Sie!»
Lord Whitfield wurde purpurrot.
«Wie können Sie es wagen, so zu mir zu sprechen?» Der junge Mann trat drohend einen Schritt vor.
«Wenn Sie nicht so ein elendes, dickbäuchiges kleines Schwein wären, würde ich Ihnen eine versetzen, dass Sie genug hätten!»
Lord Whitfield wich rasch einen Schritt zurück, stolperte über eine Wurzel und setzte sich etwas plötzlich auf den Boden.