«Oh, ich bin sicher, dass alles wundervoll sein würde, Miss Waynflete», antwortete Bridget mechanisch.
«Aber natürlich, wenn Sie nach London gehen, so ist das viel besser…»
Bridget überlegte:
«Es ist ein wenig ungeschickt; meine Tante ist heute früh zu einer Blumenschau gefahren. Ich hatte noch keine Gelegenheit, ihr zu erzählen, was sich zugetragen hat. Ich werde ein paar Zeilen für sie hinterlassen und ihr mitteilen, dass ich in ihre Wohnung gegangen bin.»
«Sie wollen in die Wohnung Ihrer Tante in London?»
«Ja. Es ist niemand dort, aber zu den Mahlzeiten kann ich ja fortgehen.»
«Sie werden allein in der Wohnung sein? Ach, das täte ich an Ihrer Stelle nicht. Nicht ganz allein in der Wohnung bleiben.»
«Niemand wird mich fressen», meinte Bridget ungeduldig. «Außerdem wird meine Tante morgen kommen.»
Miss Waynflete schüttelte bekümmert den Kopf.
Luke meinte:
«Geh lieber in ein Hotel.»
Bridget wandte sich ihm rasch zu.
«Warum? Was habt ihr nur alle? Warum behandelt ihr mich, als sei ich ein geistesschwaches Kind?»
«Nein, nein, meine Liebe», verwahrte sich Miss Waynflete. «Wir wollen nur, dass Sie achtgeben – das ist alles!»
«Aber warum? Warum? Um was handelt es sich denn?»
«Hör mal, Bridget», erklärte Luke. «Ich muss mit dir reden. Aber hier kann ich es nicht. Komm jetzt mit mir ins Auto, und wir fahren irgendwo hin, wo es ruhig ist.»
Er sah Miss Waynflete an.
«Dürfen wir in ungefähr einer Stunde zu Ihnen kommen? Ich habe Ihnen Verschiedenes zu berichten.»
«Bitte, kommen Sie. Ich werde Sie dort erwarten.»
Luke legte seine Hand auf Bridgets Arm. Miss Waynflete nickte er erleichtert zu.
«Das Gepäck holen wir später. Komm!»
Er führte sie aus dem Zimmer durch die Halle zur Eingangstür. Er öffnete die Tür des Autos. Bridget stieg ein, und Luke fuhr rasch die Auffahrt hinunter. Er seufzte erleichtert auf, als sie aus dem eisernen Gittertor fuhren.
«Gott sei Dank, dass ich dich da herausgebracht habe und in Sicherheit», stieß er erleichtert hervor.
«Bist du ganz verrückt geworden, Luke? Warum dieses ganze Getue: ‹Still, still – ich kann dir jetzt nicht sagen, was ich meine –›»
Luke erklärte grimmig:
«Nun, weißt du, es macht einem Schwierigkeiten zu erklären, dass ein Mann ein Mörder ist, wenn man sich augenblicklich unter seinem Dach befindet!»
21
Bridget saß eine Minute regungslos neben ihm. Dann fragte sie:
«Gordon?»
Luke nickte.
«Gordon? Gordon – ein Mörder? Gordon der Mörder? Ich habe in meinem ganzen Leben nicht so etwas Lächerliches gehört!»
«So erscheint dir das?»
«Ja, wirklich. Gordon würde doch keiner Fliege etwas zuleide tun.»
Luke sagte grimmig:
«Das mag wahr sein, das weiß, ich nicht. Aber einen Kanarienvogel hat er bestimmt umgebracht, und ich bin ziemlich sicher, dass er eine ganze Reihe Menschen ebenfalls umgebracht hat.»
«Mein lieber Luke, das kann ich einfach nicht glauben!»
«Ich weiß», sagte Luke. «Es klingt ja auch wirklich ganz unglaublich. Mir ist er doch bis vorgestern abend nie als ein möglicherweise Verdächtiger in den Sinn gekommen.»
Bridget wandte ein:
«Aber ich weiß doch alles über Gordon! Ich weiß, was und wie er ist! Er ist wirklich ein lieber, kleiner Mann – hochtrabend, ja, aber eigentlich eher rührend.»
Luke schüttelte den Kopf.
«Du musst deine Ansicht über ihn ändern, Bridget.»
«Es nützt nichts, Luke, ich kann es einfach nicht glauben! Wer hat dir so eine absurde Idee überhaupt in den Kopf gesetzt? Vor zwei Tagen warst du doch noch fest davon überzeugt, dass es Ellsworthy ist.»
Luke zuckte leicht zusammen.
«Ich weiß. Ich weiß. Du denkst wahrscheinlich, dass ich morgen Thomas verdächtigen werde und übermorgen hinter Horton her sein werde! So wankelmütig bin ich nun auch wieder nicht. Ich gebe zu, dass die Idee einen völlig erschreckt, wenn sie zuerst auftaucht, aber wenn man die Sache genauer untersucht, sieht man, dass alles passt. Kein Wunder, dass Miss Pinkerton nicht wagte, zur hiesigen Polizei zu gehen. Scotland Yard war ihre einzige Hoffnung.»
«Aber was für einen Grund konnte Gordon gehabt haben zu all diesen Mordtaten? Ach, es ist zu dumm!»
«Ich weiß. Aber weißt du nicht, dass Gordon Whitfield eine sehr erhabene Meinung von sich hat?»
«Er gibt vor, sehr großartig und wichtig zu sein. Das ist nur ein Minderwertigkeitskomplex von dem armen Kerl!»
«Möglich, dass das die Wurzel des Übels ist. Ich weiß es nicht. Aber denk nach, Bridget – denk nur eine Minute lang nach. Erinnere dich an alle die Ausdrücke, die du selbst lachend über ihn gebraucht hast – lése-majestè usw. Begreifst du nicht, dass das Selbstbewusstsein des Mannes ganz unverhältnismäßig angeschwollen ist? Und es ist mit Religion verbunden. Mein liebes Kind, der Mann ist total verrückt!»
Bridget dachte einen Augenblick nach.
Endlich sagte sie: «Ich kann es trotz allem nicht glauben. Was für Beweise hast du, Luke?»
«Nun, da sind einmal seine eigenen Worte. Er sagte mir vorgestern abend ganz klar und deutlich, dass jeder, der sich ihm in irgendeiner Weise entgegenstellte, immer starb.»
«Weiter!»
«Ich kann dir nicht ganz erklären, was ich meine – aber es war die Art, wie er es sagte. Ganz ruhig und zufrieden und – wie soll ich mich ausdrücken – ganz vertraut mit dem Gedanken! Er saß da und lächelte vor sich hin… Es war unheimlich und ganz entsetzlich, Bridget!»
«Weiter!»
«Nun, dann fuhr er fort und zählte mir die Leute auf, die gestorben waren, weil sie sich sein allerhöchstes Missfallen zugezogen hatten! Und hör gut zu, Bridget, die Leute, die er nannte, waren Mrs Horton, Amy Gibbs, Tommy Pierce, Harry Carter, Humbleby und der Chauffeur, der Rivers.»
Bridget war endlich in ihrer Zuversicht erschüttert; sie wurde sehr blass.
«Er nannte tatsächlich diese Leute?»
«Tatsächlich diese Leute! Glaubst du jetzt?»
«O Gott, ich muss wohl… Was waren seine Gründe?»
«Gerade die machen das Ganze ja so erschreckend! Mrs Horton hatte ihn zurechtgewiesen, Tommy Pierce hatte ihn nachgeäfft und die Gärtner damit zum Lachen gebracht, Harry Carter hatte ihn geschmäht, Amy Gibbs war frech gewesen, Humbleby hatte es gewagt, sich ihm öffentlich entgegenzustellen, Rivers ihn vor mir und Miss Waynflete beleidigt und bedroht – »
Bridget legte die Hand auf die Augen.
«Entsetzlich… ganz entsetzlich…», murmelte sie.
«Ich weiß. Dann gibt es noch einen anderen Beweis. Das Auto, das Miss Pinkerton in London überfuhr, war ein Rolls und seine Nummer war die von Lord Whitfields Wagen.»
«Das gibt endgültig den Ausschlag», sagte Bridget langsam.
«Ja. Die Polizei dachte, die Frau, die ihnen die Nummer angab, müsse sich geirrt haben. Schön geirrt!»
«Das kann ich verstehen», meinte Bridget. «Wenn ein reicher, mächtiger Mann wie Lord Whitfield in Verdacht gerät, wird natürlich seine Darstellung geglaubt!»
«Ja. Man begreift Miss Pinkertons Schwierigkeit.»
Bridget sprach nachdenklich:
«Ein- oder zweimal sagte sie recht seltsame Sachen zu mir; als wolle sie mich vor etwas warnen… Damals verstand ich es nicht im geringsten… Jetzt verstehe ich!»
«Es stimmt alles zusammen», erklärte Luke. «So ist es; zuerst sagt man (wie du auch): ‹Unmöglich!› Und wenn man sich einmal mit dem Gedanken abfindet, dann stimmt alles! Die Trauben, die er Mrs Horton schickte – und sie dachte, die Pflegerinnen vergiften sie! Und sein Besuch in dem Wellerman-Kreitz-Institut – auf irgendeine Art muss er sich dort Kulturen von Bakterien verschafft und dann Humbleby damit infiziert haben.»