«Wie er das gemacht haben kann, verstehe ich nicht.»
«Ich auch nicht, aber die Verbindung ist da; daran kommt man nicht vorbei.»
«Nein… Wie du sagst, es stimmt alles zusammen. Und er konnte natürlich Dinge tun, die andern Leuten verwehrt waren! Ich meine, er war doch völlig über jeden Verdacht erhaben!»
«Ich glaube, Miss Waynflete hatte einen Verdacht; sie erwähnte jenen Besuch im Institut; ganz beiläufig brachte sie ihn im Gespräch an – aber ich glaube, sie hoffte, ich würde entsprechend reagieren.»
«Sie wusste es also die ganze Zeit?»
«Sie hatte einen sehr starken Verdacht. Ich glaube, sie zögerte, weil sie einmal in ihn verliebt gewesen war.»
Bridget nickte.
«Ja, das würde verschiedenes erklären; Gordon erzählte mir, dass sie mal verlobt gewesen waren.»
«Sie wollte nicht glauben, weißt du, dass er es sei; aber die Überzeugung von seiner Schuld drängte sich ihr mehr und mehr auf. Sie versuchte mir Winke zu geben, jedoch direkt etwas gegen ihn zu unternehmen, konnte sie sich nicht entschließen! Frauen sind merkwürdige Geschöpfe! Ich glaube, in gewisser Weise hat sie ihn noch immer gern…»
«Selbst nachdem er sie sitzenließ?»
«Sie hat ihm den Abschied gegeben. Es war eine recht garstige Geschichte; ich will sie dir erzählen.»
Er erzählte den kurzen, hässlichen Zwischenfall. Bridget schaute ihn mit großen Augen an.
«Das hat Gordon getan?»
«Ja. Also sogar damals, siehst du, kann er nicht normal gewesen sein!»
Bridget erschauerte und murmelte:
«Vor so vielen Jahren… so vielen Jahren…»
«Er kann noch viel mehr Leute aus dem Wege geräumt haben, als wir je erfahren werden! Es ist nur die rasche Folge von Todesfällen in letzter Zeit, die die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hat. Als wäre er durch den Erfolg tollkühn geworden!»
Bridget nickte. Sie schwieg ein paar Minuten und dachte nach, dann fragte sie plötzlich:
«Was hat dir eigentlich Miss Pinkerton damals im Zug erzählt? Wie hat sie angefangen?»
Luke dachte zurück.
«Sie sagte mir, sie sei auf dem Weg zu Scotland Yard, erwähnte den Ortspolizisten und dass er ein netter Bursche sei, aber einem Mord nicht gewachsen.»
«Damals fiel das Wort zum ersten Mal?»
«Ja.»
«Weiter.»
«Dann sagte sie: ‹Sie sind erstaunt, sehe ich. Anfangs war ich es auch. Ich konnte es wirklich nicht glauben, ich dachte, ich bilde es mir nur ein›.»
«Und dann?»
«Ich fragte sie, ob sie sich wirklich sicher sei – ob sie sich nicht doch nur alles einbilde, meine ich –, und sie sagte, sinngemäß, ganz ruhig: ‹O nein! Das erste Mal hätte das der Fall sein können, aber nicht das zweite oder dritte und vierte Mal. Da weiß man es.›»
«Merkwürdig», sagte Bridget. «Erzähl weiter!»
«Also gab ich ihr natürlich recht – sagte, sie tue sicher das Richtige. Ich war ein ungläubiger Thomas, wenn es je einen gab!»
«Ich weiß. Es ist so leicht, nachher klug zu sein! Ich hätte genauso empfunden, mich über die arme alte Dame erhaben gefühlt! Wie ging das Gespräch weiter?»
«Warte mal – ja! Sie erwähnte den Fall Abercrombie – du weißt, der Giftmischer aus Wales. Sagte, sie hätte nicht wirklich geglaubt, dass er einen Blick gehabt habe – einen besonderen Blick –, mit dem er seine Opfer ansah. Aber dass sie es jetzt glaube, weil sie es selbst gesehen habe. Und bei Gott, Bridget, die Art, wie sie das sagte, hat mich ordentlich gepackt! Ihre ruhige Stimme und der Ausdruck ihres Gesichts – wie jemand, der wirklich etwas gesehen hatte, was zu schrecklich war, um darüber zu reden!»
«Weiter, Luke, erzähl mir alles!»
«Und dann zählte sie die Opfer auf – Amy Gibbs und Carter und Tommy Pierce – und sagte, dass Tommy ein schrecklicher Junge war und Carter ein Säufer. Dr. Humbleby aber sei ein so guter Mensch – ein wirklich guter Mensch und jetzt habe der Blick auf ihm geruht. Und sie sagte, wenn sie zu Humbleby ginge und es ihm sagte, er ihr nicht glauben und sie nur auslachen würde!»
«Ich verstehe», seufzte Bridget. «Ich verstehe.»
Luke sah sie an.
«Was ist, Bridget? An was denkst du?»
«An etwas, das Mrs Humbleby einmal sagte. Ich fragte mich – nein, erzähl weiter. Was sagte sie dir ganz zum Schluss?»
Luke wiederholte die Worte ernst. Sie hatten Eindruck auf ihn gemacht, er würde sie wohl nie vergessen.
«Ich hatte gesagt, es sei schwer, bei so vielen Morden nicht gefasst zu werden, und sie erwiderte: ‹Nein, nein, mein Lieber, da irren Sie sich. Es ist sehr leicht zu morden – solange niemand einen Verdacht gegen Sie hegt. Und sehen Sie, der Mensch, um den es sich handelt, ist der allerletzte, auf den ein Verdacht fiele…»›
Er schwieg. Bridget wiederholte mit einem Schauder:
«Es ist leicht zu morden? Entsetzlich leicht – das ist wohl wahr! Kein Wunder, dass dir diese Worte im Gedächtnis blieben, Luke. Sie werden auch in meinem haften – mein Leben lang! Ein Mann wie Gordon Whitfield – oh, natürlich ist es leicht!»
«Es wird nicht so leicht sein, ihn zu überführen», meinte Luke.
«Glaubst du? Ich habe eine Idee, wie ich da helfen könnte.»
«Bridget, ich verbiete dir – »
«Das kannst du nicht. Man kann nicht nur bequem dasitzen und sich sicher fühlen. Ich bin dabei, Luke. Es mag gefährlich sein – ja, das will ich zugeben –, aber ich muss meinen Teil dazu beitragen.»
«Bridget – »
«Ich bin dabei, Luke! Ich werde Miss Waynfletes Einladung annehmen und hierbleiben.»
«Liebes, ich flehe dich an – »
«Es ist für uns beide gefährlich, das weiß ich. Aber wir sind dabei, Luke – miteinander sind wir dabei!»
22
Die Ruhe in Miss Waynfletes Haus stand in schärfstem Gegensatz zu den Augenblicken der gespannten Erregung im Auto.
Miss Waynflete nahm Bridgets Einladungszusage mit etwas zweifelnder Miene entgegen, beeilte sich jedoch, ihr gastfreundliches Angebot zu wiederholen, um zu zeigen, dass ihre Zweifel eine ganz andere Ursache hatten als Bedenken, die junge Frau bei sich aufzunehmen.
Luke sagte:
«Ich glaube wirklich, es wird das Beste sein, da Sie so freundlich sind, Miss Waynflete. Ich wohne in der ‹Scheckigen Glocke›, und es ist mir lieber, Bridget hier unter Ihrer Obhut zu wissen als in der Stadt. Denken Sie nur an das, was schon einmal dort geschehen ist.»
Miss Waynflete sagte:
«Sie meinen – Lavinia Pinkerton?»
«Ja. Man hätte doch gemeint, nicht wahr, dass auf einer Straße voller Menschen jeder ganz sicher sei?»
«Sie meinen», sagte Miss Waynflete, «dass die Sicherheit eines Menschen hauptsächlich von der Tatsache abhängt, dass niemand ihn umzubringen wünscht?»
«Ganz richtig. Wir sind dahin gekommen, uns auf den sogenannten guten Willen der Zivilisation zu verlassen.»
Miss Waynflete nickte nachdenklich.
Bridget fragte:
«Seit wann wussten Sie, dass – Gordon der Mörder ist, Miss Waynflete?»
Miss Waynflete seufzte.
«Die Frage ist schwer zu beantworten, meine Liebe. Ich glaube, dass ich schon einige Zeit in meinem innersten Herzen ganz sicher war… Aber ich tat mein Bestes, diese Vermutung nicht wahrhaben zu müssen. Wissen Sie, ich wollte es nicht glauben, also machte ich mir selbst vor, dass es eine ungeheuerliche und bösartige Idee von mir sei.»
Luke erkundigte sich geradeheraus:
«Haben Sie nie für sich selbst gefürchtet?»
Miss Waynflete überlegte.
«Sie meinen, wenn Gordon Verdacht geschöpft hätte, dass ich Bescheid weiß, hätte er ein Mittel gefunden, um mich loszuwerden?»