»Du mußt dich getäuscht haben«, beharrte Trautman. »So etwas gibt es doch gar nicht. « »Vielleicht war es
doch einer der Schiffbrüchigen«, vermutete Juan.
»Und warum ist es dann weggelaufen, als es euch gesehen hat?« fragte Chris. Er schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe mich nicht geirrt. Da war etwas. Und es war weder ein Mensch noch ein Dinosaurier. « Singhs Rückkehr unterbrach die Diskussion. »Spuren«, sagte er. »Der Junge hat recht. Etwas war da. « Auf den Gesichtern der anderen breitete sich ein erschrockener Ausdruck aus, und auch Mike konnte spüren, daß er blaß wurde. Was ihn schaudern ließ, das war weniger das, was Singh sagte, sondern mehr die Art, wie er es tat. Was immer Singh gefunden hatte, es hatte ihn zutiefst erschreckt.
Sie folgten Singh zurück in den Wald. Und als Mike die Spuren sah, die Singh gefunden hatte, da verstand er seinen Schrecken. Es waren die Spuren großer, dreizehiger Füße, die viel größer als die von Menschen gewesen sein mußten, und es waren nicht die Spuren eines, sondern gleich dreier Geschöpfe. Sie waren so deutlich, daß man ganz genau erkennen konnte, was hier geschehen war. Sie waren zu dritt gekommen, aber nur einer von ihnen war zu dem Gebüsch gegangen, hinter dem Chris gestanden hatte. Offensichtlich hatte er sich eine Zeitlang dort aufgehalten, ehe er zu den beiden anderen zurückgekehrt und zusammen mit ihnen wieder gegangen war. Aber das war es nicht, was Mike bis ins Mark erschütterte. Es war nicht einmal der Umstand, daß diese Füße mit furchtbaren Krallen versehen waren und Wesen gehörten, die viel größer als ein Mensch und unvorstellbar stark sein mußten. Was ihm einen solch abgrundtiefen Schrecken einjagte, daß er für einen Moment wie gelähmt dastand, das war etwas, was die Spur vor ihm so deutlich zeigte, daß es gar keinen Zweifel daran gab. Auch wenn sich eine Sekunde lang alles in ihm dagegen sträubte, es zu glauben. Eines der drei Geschöpfe, die hiergewesen waren und sie beobachtet hatten, hatte Schuhe getragen.
Sie waren schweigsam, als sie zum Flußufer zurückkehrten, und niemand erhob Einwände, als Trautman vorschlug, weiterzugehen. Mike war sicher nicht der einzige, der viel darum gegeben hätte, sich irgendwo lang auszustrecken und ein paar Stunden zu schlafen. Aber Chris' Erlebnis hatte ihnen wieder gezeigt, daß diese von der Zeit vergessene Insel nicht nur phantastisch, sondern auch gefährlich war. Sie brauchten einen sicheren Ort, an dem sie lagern konnten. Die Sonne wanderte langsam weiter über den Himmel. Sie stießen auf keine weiteren Dinosaurier, sondern sahen nur einige kleinere Geschöpfe, die meistens zu schnell im Unterholz oder auf den Bäumen verschwanden, um sie zu identifizieren. Wenn Mike daran dachte, wie dramatisch dieser Tag begonnen hatte, so schien er geradezu beunruhigend friedlich zu enden. Und wer weiß -vielleicht hatte Chris ja wirklich recht, was die mögliche Anzahl der großen Raubsaurier in diesem Teil des Waldes anging. Vielleicht waren sie tatsächlich dem einzigen dieser gewaltigen Geschöpfe über den Weg gelaufen, das es im Umkreis vieler Tagesmärsche gab.
»Es wird bald dunkel«, sagte Trautman unvermittelt. Er
blieb stehen, wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn und blinzelte in den Himmel hinauf, der über den Baumwipfeln nur als grünblaues Flickenmuster zu erkennen war. Die Sonne begann sich tatsächlich bereits dem Horizont entgegenzuneigen, aber sie hatte nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Ganz im Gegenteil schien es eher immer wärmer zu werden. »Wir sollten uns einen Platz für die Nacht suchen. Eine Höhle wäre ideal, aber vielleicht reicht auch schon ein hoher Baum. «
Mike sah sich suchend um. An Bäumen bestand weiß Gott kein Mangel, auch nicht an hohen. Einige der sonderbaren Farngewächse mußten eine Höhe von dreißig oder gar vierzig Metern erreichen, und an den geschuppten Stämmen konnte man bestimmt gut hinaufklettern. Das Problem war nur, daß bei der kolossalen Größe einiger der Geschöpfe, die hier leben mochten, auch zehn oder fünfzehn Meter noch keine sichere Höhe waren.
»Gehen wir noch ein Stück«, schlug Juan vor. »Wir haben bestimmt noch eine Stunde Tageslicht. Vielleicht finden wir einen besseren Platz. « Trautman -und auch die meisten der anderen -waren von diesem Vorschlag nicht besonders begeistert. Sie waren alle mittlerweile am Ende ihrer Kräfte. Das Gehen in dem dichten Wald war sehr anstrengend, und ihre unpassende, viel zu warme Kleidung tat ein übriges, sie jeden Schritt wie eine Qual spüren zu lassen. Trotzdem wandte sich Trautman schulterzuckend um -und hielt in der Bewegung inne. Ein angespannter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Was ist los?« fragte Mike alarmiert. Trautman hob hastig die Hand. »Still!« sagte er. Mike lauschte angestrengt. Er hörte gar nichts - aber in der nächsten Sekunde sah er etwas. Nicht weit vor Trautman bewegte sich einer der Büsche. Es war nur das kurze Zittern eines Astes, aber er sah es ganz deutlich, und dann huschte ein verschwommener Schatten davon und verschwand in dem Meer aus Grün und Braun, das sie umgab.
Mike war nicht der einzige, der den Schatten gesehen hatte. »Dort!« rief Chris. »Rechts, seht ihr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er los. Trautman versuchte ihn zurückzuhalten, aber seine Hand griff ins Leere. Chris rannte an ihm vorbei und verschwand im nächsten Augenblick im Unterholz. »Singh! Hinterher!« rief Trautman. »Ihr anderen bleibt hier!«
Natürlich gehorchte nur einer seinen Worten - nämlich Singh. Mike, die beiden anderen Jungen und Serena dachten nicht daran, einfach zurückzubleiben und tatenlos abzuwarten, sondern setzten sich ebenfalls in Bewegung und rannten hinter Chris her. Er hat etwas entdeckt! erscholl Astaroths Stimme in Mikes Kopf. Nach links! Mike wechselte mitten im Schritt die Richtung und wäre beinahe gegen Ben geprallt, der Astaroths lautlose Anweisung ja nicht hatte hören können und weiter in die Richtung lief, in der Chris verschwunden war. Aber er schien zu spüren, daß Mike nicht willkürlich die Richtung geändert hatte, denn er schloß sich ihm auf der Stelle an.
Jetzt sahen sie Chris wieder -er befand sich nicht sehr weit von ihnen und rannte, so schnell es das Gewirr von Schlingpflanzen und Wurzeln auf dem Boden zuließ. Irgend etwas war vor ihm, aber sie konnten nicht genau erkennen, was. »Chris!« schrie Mike. »Bleib stehen!« Falls Chris die Worte überhaupt hörte, so ignorierte er sie. Er hatte nun festeren Boden erreicht und griff schneller aus, so daß sein Vorsprung für einen Moment sogar noch wuchs. Mike fluchte, vergaß auch noch den Rest von Vorsicht und beschleunigte seine Schritte ebenfalls. Schon nach ein paar Schritten hatte er ihn eingeholt und riß ihn derb an der Schulter zurück. Chris wollte sich losreißen, aber Mike hielt ihn mit eiserner Hand fest. »Bist du verrückt?« fuhr er ihn an. »Du kannst doch nicht allein losstürmen!« »Da vorne ist etwas!« Chris versuchte erneut, sich loszureißen, und deutete mit der anderen Hand nach vorne. »Das müssen sie sein! Die Wesen, die uns beobachtet haben!«
»Das ist doch noch lange kein Grund -« Etwas knackte deutlich hörbar im Unterholz. Ein Schatten bewegte sich zwischen den Blättern, und für einen Moment glaubte Mike das Aufblitzen einesAugenpaares zu sehen. Überrascht ließ er Chris' Schulter los und sah noch einmal hin. Die Bewegung war jetzt nicht mehr zu erkennen, aber nur einen Moment später zitterte es im Gebüsch, ein kleines Stück links von der ersten Stelle, und dann hörte er trappelnde, sehr schnelle Schritte, die sich rasch entfernten.