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Er bekam keine Antwort. Serena quittierte seinen fragenden Blick nur mit einem Schulterzucken, so daß Trautman es nach einigen Sekunden noch einmal versuchte: »Wie ist dein Name, Kleines?« fragte er. »Ich bin Trautman. Das da sind Singh, Ben, Chris und Juan. Und Serena und ihren kleinen Spielgefährten da kennst du ja schon. «

Der Spielgefährte quittierte diese unwürdige Bezeichnung mit einem strengen Blick in Trautmans Richtung, enthielt sich aber ansonsten jedes Kommentares, und Trautman deutete als letztes auf Mike und sagte: »Das ist Mike. Ich hoffe, du bist ihm nicht mehr böse. Er hat nicht gleich gesehen, wer du bist, weißt du? Und du? Wie heißt du?«

Einen Moment lang sah es nicht so aus, als würde er eine Antwort bekommen, aber dann zog das Mädchen lautstark die Nase hoch, wischte sich mit dem Unterarm die Tränen vom Gesicht und sagte: »Annie. Ich heiße Annie. Eigentlich Annegret, aber alle nennen mich Annie. « »Annie, so. « Trautman lächelte erneut und ließ sich in zwei Metern Abstand zu dem Mädchen in die Hocke sinken, damit sie nicht mehr zu ihm aufsehen mußte, während sie miteinander sprachen.

»Wir sind Schiffbrüchige, Annie«, fuhr er fort. »Wir sind an der Küste gestrandet und suchen seither andere Menschen. Wir sind sehr froh, daß wir auf dich getroffen sind, mußt du wissen. Aber du bist doch bestimmt nicht allein hier, oder?«

Annie schwieg. Sie drückte sich enger an Serena. Ihr Blick wanderte unsicher zwischen Trautman und Mike hin und her.

»Bist du mit deinen Eltern hergekommen?« fragte Juan. »Mit meinem Dad«, antwortete Annie. »Und Onkel Mark und Tante Sue. Mom ist zu Hause geblieben. Sie haßt Seereisen. «

»Und wo ist dein Dad jetzt?« fragte Trautman. »Fort«, antwortete Annie in trotzigem Ton. »Die Drachen haben ihn geholt. Und die anderen auch. « »Die Drachen?« Trautman tauschte einen überraschten Blick mit Serena, aber wieder antwortete die Atlanterin nur mit einem angedeuteten Achselzucken. Offenbar hatte sie bisher auch nicht viel mehr von dem Mädchen erfahren. »Was meinst du mit Drachen?«

»Die Drachen eben«, erwiderte Annie stur. »Sie haben sie geholt. Sie haben sich gewehrt und auf sie geschossen, aber es waren zu viele. Sie haben sie alle weggeschleppt. Aber mich haben sie nicht gekriegt. Ich habe mich auf einem Baum versteckt. Sie können nicht gut klettern. « Sie begann wieder stärker zu zittern. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Drachen?« murmelte Ben. »Aber das ist -« Trautman schnitt ihm mit einer hastigen Geste das Wort ab. »Du brauchst keine Angst mehr zu haben, Annie«, sagte er. »Du bist jetzt in Sicherheit. Niemand wird dir jetzt noch etwas tun. Drachen, sagst du? Wie haben sie ausgesehen?«

»Wie Drachen eben«, antwortete Annie. Ihre Stimme zitterte. Sie war kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen, und Trautman schien das wohl zu begreifen, denn er drang nicht weiter in sie, sondern stand nach einigen Sekunden wieder auf und deutete in die Richtung, in der der Baum lag, den sie sich als Nachtlager ausgesucht hatten.

»Es wird bald dunkel, Annie«, sagte er. »Wir haben einen sicheren Platz für die Nacht entdeckt. Willst du mit uns kommen?«

Einige Sekunden lang blickte ihn das Mädchen nur aus großen Augen an, aber dann nickte es. Serena ließ seine Schulter los, und Annie erhob sich unsicher auf die Füße. Sie schwankte ein bißchen, und Mike begriff erst jetzt, daß ihr Zittern nicht allein auf ihre Furcht zurückzuführen war. Das Mädchen war vollkommen entkräftet. Wahrscheinlich irrte es schon seit Tagen allein durch diesen Wald, ohne etwas zu essen oder sich auch nur einmal wirklich ausruhen zu können. Mike fragte sich, ob sie alle wohl in einigen Tagen ebenso aussehen würden wie Annie.

»Kannst du gehen?« fragte Trautman. »Oder soll Singh dich tragen? Er ist sehr stark, weißt du?« »Ich kann gehen«, antwortete Annie stolz. »Ich kann sogar schnell laufen. Viel schneller als die Drachen. « »Das glaube ich dir gerne«, antwortete Trautman lächelnd. »Sonst wärst du ja auch nicht hier, nicht wahr? Dann komm. «

Annie hielt tatsächlich mit ihnen Schritt, zumindest, bis sie den Baum erreichten. Als es darum ging, hinaufzuklettern, versagten ihre Kräfte jedoch, so daß Singh sie kurzerhand auf die Arme nahm und trug. Sie versteifte sich, als sie seine Berührung spürte, und hielt vor lauter Schrecken den Atem an, bis sie die Astgabel erreicht hatten und der Inder sie wieder absetzte. Kaum waren sie oben angelangt, begann es zu dämmern. Die Sonne war über dem Blätterdach des Dschungels schon seit einer Weile nicht mehr sichtbar gewesen, aber jetzt überzog sich der Himmel rasch mit mattem Grau, das auch noch das letzte bißchen Tageslicht aufzusaugen begann, und es wurde zum ersten Mal seit Stunden ein wenig kühler. Mike betrachtete ihr Nachtlager mit gemischten Gefühlen. Trotz all seiner eigenen Bedenken zweifelte er im Grunde nicht daran, daß ihnen die Höhe Schutz vor den meisten räuberischen Bewohnern des Waldes bot, aber zugleich stellte sie auch eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar.

Trautman hatte den sichersten Platz direkt in der Astgabelung für Serena und Annie reserviert, alleanderen mußten sich eine Schlafstelle auf den Ästen suchen. Und auch wenn sie zum Teil meterbreit waren, so waren es doch trotzdem Äste. Eine unbewußte Bewegung im Schlaf konnte verheerende Folgen haben.

»Sucht euch alle einen Platz«, sagte Trautman, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß Serena und das Mädchen sicher untergebracht waren. »Und versucht am besten gleich zu schlafen. Wir brechen morgen mit dem ersten Tageslicht wieder auf. « »Wenn wir dann noch leben«, maulte Ben. »Singh und ich werden abwechselnd wachen«, erwiderte Trautman. »Und es nutzt niemandem, wenn wir uns ununterbrochen selbst davon überzeugen, wie aussichtslos unsere Lage ist, Ben. « Er deutete auf Annie. »Nimm dir ein Beispiel an diesem Mädchen. Sie war in einer viel schlimmeren Situation, und sie hat nicht aufgegeben. «

»Vielleicht sollten wir uns festbinden«, schlug Juan vor. »Damit niemand im Schlaf vom Baum fällt. « »Eine gute Idee«, lobte Trautman. »Ich werde ein paar Lianen abschneiden - und vielleicht finde ich sogar etwas zu essen. « Er stand unverzüglich auf und balancierte mit einer Sicherheit über den Ast davon, die Mike mit purem Neid erfüllte. Ihm wurde schon schwindelig, wenn er auch nur nach unten sah, aber Trautman bewegte sich so gelassen, als befände sich unter ihm sicherer Boden, kein fast zehn Meter tiefer Abgrund. Die Müdigkeit machte sich nun stärker in Mike bemerkbar. Er hatte alle Mühe, die Augen offenzuhalten, bis Trautman mit den versprochenen Stricken - allerdings ohne etwas Eßbares zurückkam und sie sich gegenseitig dabei halfen, sich festzubinden. Danach schlief er beinahe unverzüglich ein.

Ein Geräusch weckte Mike, und der erste bewußte Gedanke war, daß noch lange nicht Morgen sein konnte. Er hatte das Gefühl, die Augen gerade erst geschlossen und noch gar nicht richtig geschlafen zu haben. Als er die Lider hob, sah er im ersten Moment nichts als undurchdringliche Dunkelheit, in der sich erst nach einigen Augenblicken verschwommene Schatten und schemenhafte Umrisse abzuzeichnen begannen. Es war mitten in der Nacht. Irgend etwas hatte ihn geweckt.

Mike hob müde den Kopf und blickte nach links. In der Dunkelheit scheinbar endlos weit entfernt sah er Trautman, Singh und einen weiteren, nicht zu identifizierenden Schatten dasitzen. Sie unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Mike löste die verknotete Liane um seine Brust, richtete sich auf und balancierte mit ausgestreckten Armen zu Trautman und Singh hinüber. Erst als er sie fast erreicht hatte, erkannte er das dritte Mitglied der kleinen Runde, Serena. Trautman sah in strafend an, aber Mike kam ihm zuvor: »Ich konnte nicht schlafen«, sagte er. Er setzte sich zwischen Serena und Singh auf den Stamm und versuchte, unauffällig nach einem festen Halt zu tasten. »Habt ihr irgend etwas von Annie erfahren?« Glaubst du mir eigentlich nicht?