Stimmt, sagte Astaroth.
»Würdest du mir denn wenigstens verraten, warum nicht?« maulte Mike. Chris sah ihn irritiert an, dann begriff er, daß Mike wieder mit dem Kater sprach, und schüttelte nur den Kopf. Hörst du gerne Musik? fragte Astaroth. »Musik? Sicher, aber -«
Auch gerne ganz schlechte? Ich meine die Art Musik, die wirklich in den Ohren weh tut? Bei der dir körperlich übel wird?
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte Mike. »Aber was hat das mit den Dinoiden zu tun?«
»Dinosauroiden«, verbesserte ihn Chris betont. So ungefähr ist es, ihre Gedanken zu lesen, antwortete Astaroth. Ich habe es versucht -was denkst du denn? Er schüttelte sich. Brrrr. Nicht noch einmal, danke. Sie denken nicht wie wir. Es ist so, als ob du eine Sprache hörst, die dir weh tut. Das macht dir einen Knoten ins Gehirn, sag ich dir.
»Und das bedeutet automatisch, daß sie unsere Feinde sind?« fragte Mike zweifelnd.
Nein, antwortete Astaroth. Aber daß es sehr, sehr schwer ist, mit ihnen zu reden. Vielleicht ist es gar nicht möglich.
»Das glaube ich nicht, bevor wir es nicht versucht haben«, sagte Mike.
»Ihr redet über die Dinosauroiden?« vermutete Chris.
Mike nickte. Er hatte es sich längst abgewöhnt, alles, was er mit Astaroth besprach, umständlich zu übersetzen -das war auf die Dauer einfach zu kompliziert. Und die anderen hatten sich auch schon daran gewöhnt und verlangten es nicht mehr. Aber jetzt machte er eine Ausnahme und wiederholte ihr Gespräch noch einmal für Chris.
»Damit könnte er sogar recht haben«, sagte Chris. »Womit? Daß wir automatisch Feinde sind, nur weil wir nicht miteinander reden können?« Chris seufzte. »Ich fürchte, so einfach ist es nicht«, sagte er. »Wir reden hier nicht einfach über ein anderes Volk, das nur zufällig nicht unsere Sprache spricht und ungewohnt aussieht. Sie sind keine Menschen, Mike. Sie sind nicht einmal Tiere, wie wir sie kennen. Sie sind die Nachfahren von Reptilien. Sie sind in einer völlig anderen Welt aufgewachsen wie wir. Sie denken nach anderen Regeln. Sie haben andere Werte und sehen vieles anders als wir. Ihre Körpersprache ist anders, ihre Reaktionen. Was für uns wichtig ist, kann für sie völlig bedeutungslos sein und umgekehrt. Schon der winzigste Fehler kann eine Katastrophe heraufbeschwören. Schon etwas nicht zu tun kann falsch sein. « Er seufzte abermals. »Ich hoffe, daß ich mich irre, aber ich fürchte, daß es unvorstellbar schwer sein wird, mit ihnen zu reden. «
Er maß Astaroth mit einem fragenden Blick. Der Kater reagierte darauf nicht sichtbar, doch nach einigen Augenblicken hörte Mike seine lautlose Stimme in seinen Gedanken. Erstaunlich. Wirklich erstaunlich. »Was?«
fragte Mike.
Na ja, er ist der Jüngste von euch, oder? Und trotzdem kommt er mir manchmal wie der Klügste vor. Sollte ich mich vielleicht geirrt haben und ihr werdet schlau geboren und immer dümmer, je älter ihr werdet? »Was sagte er?« fragte Chris.
»Daß du... recht haben könntest«, antwortete Mike zögernd. Mittlerweile hatten sie den Waldrand erreicht und drangen hintereinander in das wieder dichtere Gebüsch ein. Sie hatten deutliche Spuren auf dem weichen Boden hinterlassen, so daß sich Mike keine Sorgen darüber machte, ob sie den Baum wiederfanden. Außerdem ging Astaroth voraus, dem es wesentlich leichter fiel, sich durch das Unterholz zu quetschen. Aber plötzlich blieb der Kater stehen, so abrupt, daß Mike ihm versehentlich auf den Schwanz trat, was ihm normalerweise einen Krallenhieb eingetragen hätte, zumindest aber eine Flut der übelsten Beschimpfungen. Jetzt schien Astaroth es nicht einmal zu bemerken. Er stand wie erstarrt da. Sein Fell war gesträubt, und sein Schwanz peitschte den Boden. »Was ist?« fragte Mike alarmiert. Ich... weiß nicht, antwortete Astaroth. Da vorne ist etwas. Aber ich kann nicht genau erkennen, was. Mike tauschte einen raschen Blick mit Chris, der ebenfalls stehengeblieben war. »Bleib zurück«, flüsterte er, ehe er vorsichtig weiterging.
Natürlich blieb Chris nicht zurück, sondern folgte ihm, als er weiterschlich. Aber er verhielt sich sehr vorsichtig, so daß Mike nichts dazu sagte. Auf Zehenspitzen bewegte er sich weiter, blieb schließlichabermals stehen und bog vorsichtig die Äste des dornigen Busches zur Seite, hinter dem sie die Früchte zurückgelassen hatten. Wie es aussah, hatten sie bereits einen Abnehmer gefunden. Dicht vor Mike stand ein zweibeiniges, braun und sandfarben gestreiftes Geschöpf, das wie eine viel kleinere Ausgabe des Raubsauriers aussah, der Mike gestern um ein Haar getötet hätte. Wie dieser bewegte er sich aufrecht auf zwei muskulösen Hinterbeinen, hatte einen schlanken, sehr langen Schwanz und einen übergroßen Kopf, aber seine Arme waren im Verhältnis zum Köper viel länger, und sie endeten in vierfingrigen, beinahe menschenähnlich aussehenden Händen. Und seine Tischmanieren ließen zu wünschen übrig. Der Saurier schmatzte und rülpste, daß man es eigentlich meilenweit hätte hören müssen. Mike fand es angebracht,sich zurückzuziehen. Doch dabei stolperte er über einige Äste, und trotz der Geräusche, die der Saurier von sich gab, schien er ihn gehört zu haben und drehte sich herum. Und Mike begriff schlagartig, daß die Größe eines Tieres nicht unbedingt etwas über seine Gefährlichkeit aussagen mußte.
Der Saurier war allerhöchstens anderthalb Meter groß, aber sein Kopf war so massig wie der eines Stieres, und in dem übergroßen Maul wuchs ein wahrer Wald aus zentimeterlangen, nadelspitzen Zähnen, die ganz eindeutig nicht nur dazu gedacht waren, Früchte zu zerreißen. Seine Hände büßten auf den zweiten Blick jede Menschenähnlichkeit wieder ein, denn an den schlanken Fingern saßen gut zehn Zentimeter lange, rasiermesserscharfe Krallen, und eine noch größere, gebogenen Klaue wuchs aus den mittleren seiner drei Zehen.
Seine Augen waren klein, böse und von einer beunruhigenden Schläue erfüllt.
»Nicht bewegen!« flüsterte Chris. »Um Gottes willen, Mike, beweg dich nicht! Und wenn, dann nur ganz, ganz langsam. «
Mike hätte sich nicht einmal bewegen können, wenn er gewollt hätte. Er war wie gelähmt. »Was... was ist das?« flüsterte er.
»Ein Raptor«, antwortete Chris. »Man nennt sie auch Schreckensklaue. Siehst du den großen Zeh?« Mike unterdrückte im letzten Moment den Impuls, zu nicken. »Sind sie... gefährlich?« fragte er. »Ich meine ... so gefährlich wie der Große gestern?« »Der Allosaurier?« Chris gab einen Laut von sich, der wie ein verunglücktes Lachen klang. »Du machst wohl Witze. «
Mike atmete erleichtert auf, und Chris fügte hinzu: »Sie machen Jagd auf die großen Saurier. « »Oh«, sagte Mike. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Seine Hände und Knie begannen immer stärker zu zittern. »Und was... tun wir jetzt?« »Wir gehen«, antwortete Chris. »Aber ganz vorsichtig. Eine hastige Bewegung, und er greift an. Und achte darauf, wo du hingehst. Sie jagen meistens in Rudeln. « »Wie beruhigend«, murmelte Mike. Unendlich vorsichtig hob er den Fuß und versuchte einen Schritt rückwärts zu machen, aber so behutsam die Bewegung auch war, sie war schon zu viel. Der Kopf der Schreckensklaue ruckte mit einer an einen Vogel erinnernden Bewegung herum. Er stieß einen heiseren, zischenden Laut aus. Seine schrecklichen handähnlichen Vorderklauen öffneten und schlossen sich gierig. Mike erstarrte wieder. Vielleicht hatte Chris tatsächlich recht, und der Saurier würde ihn nicht angreifen, solange er sich nicht bewegte aber er konnte schließlich nicht ewig hier so stehen bleiben. Seine Muskeln begannen schon jetzt zu schmerzen. Noch ein paar Minuten, und er würde einen Krampf in den Beinen bekommen.