Plötzlich war er sehr aufgeregt. »Das würde bedeuten, daß sie noch in der Nähe sind. Komm -gehen wir zurück. Vielleicht erkennt Annie das Gewehr wieder. « Er unterstrich seine Aufforderung mit einer entsprechenden Handbewegung, drehte sich herum -und blieb wie angewurzelt wieder stehen.
Sie waren nicht mehr allein. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Sie waren beobachtet worden. Lautlos und unbemerkt war ein nur vage menschenähnliches Geschöpf hinter ihnen aufgetaucht, und noch während Mike fassungslos in das geschuppte Gesicht starrte, das aus gut zwei Metern Höhe auf ihn herabblickte, trat ein zweiter, etwas größerer Dinosauroide aus dem Unterholz und gesellte sich zu dem ersten. Mike war wie gelähmt. Der Anblick, den die beiden Wesen boten, war einfach zu phantastisch. Gestern nacht, in der Dunkelheit und von der sicheren Höhe des Baumes herab beobachtet, hatten die Geschöpfe nur sonderbar gewirkt, und ein bißchen erschreckend. Jetzt aber sah er, daß sie trotz aller scheinbarer Menschenähnlichkeit nichts ähnelten, was er jemals gesehen hatte. Ihre Gesichter, die ganz von den übergroßen, kalten Reptilienaugen beherrscht wurden, waren gleichzeitig häßlich wie auch von einer merkwürdigen Schönheit, der Blick der faustgroßen Augen zugleich kalt wie von einer verwirrenden Vielzahl fremdartiger Gefühle und Empfindungen erfüllt. Die winzigen Hornplättchen, die ihre Haut bedeckten, schimmerten wie sorgsam poliertes Metall, und die Münder, die keine sichtbaren Lippen hatten und viel zu groß waren, schienen die Schädel zu spalten wie dünne, sichelförmige Narben. Sie bewegten sich nicht wie Menschen oder die meisten Tiere, die Mike kannte, sondern mit harten, schnellen Rucken.
Plötzlich wußte er, daß Astaroth recht hatte: Es war unmöglich, mit diesen Geschöpfen zu reden. Sie waren
Kinder einer fremden, vollkommen anderen Schöpfung, Wesen aus einem Universum, das mit dem der Menschen nicht das geringste zu tun hatte. Er mußte wieder an das denken, was Serena gesagt hatte: Sie hassen uns, weil wir sind, was sie hätten werden können. Mike registrierte eine Bewegung aus den Augenwinkeln und fuhr auf dem Absatz herum, aber da hatte Ben bereits das Gewehr in die Höhe gerissen und legte auf die Dinosauroiden an.
Er führte die Bewegung nicht zu Ende. Der Echsenmann reagierte blitzschnell. Mike sah nur einen rasenden Schatten und das Aufblitzen von regenbogenfarbigen Hornschuppen, und dann taumelte Ben mit einem überraschten Schrei zurück, und das Gewehr flog im hohen Bogen davon. In der nächsten Sekunde hatten die gewaltigen Pranken des Echsenmannes Ben ergriffen und rissen ihn mühelos vom Boden hoch, und Mike war felsenfest davon überzeugt, im nächsten Augenblick ebenfalls gepackt und womöglich auf der Stelle getötet zu werden.
Doch es kam anders. Das zweite riesige Geschöpf streckte tatsächlich die Arme nach ihm aus, aber plötzlich wurde das Unterholz hinter ihm wie von einer Explosion auseinandergerissen, und ein ungeheuerlicher Schatten wuchs über ihnen empor. Ein Brüllen und Fauchen erklang, das den gesamten Wald zu erschüttern schien.
Der Dinosauroide reagierte wieder mit der gleichen phantastischen Schnelligkeit, die Mike gerade beobachtet hatte, doch diesmal war es zu langsam. Er fuhr herum und senkte gleichzeitig die Hand, vielleicht, um eine Waffe zu ziehen, aber da traf ihn ein fruchtbarer Schlag, der ihn von den Füßen riß und meterweit durch die Luft fliegen ließ.
Auch Mike fühlte sich von irgend etwas wie von einem Hammerschlag getroffen und zu Boden geschleudert.
Er fiel, rollte hilflos über den Boden und krachte mit solcher Wucht gegen einen Baumstamm, daß er für eine Sekunde nur bunte Sterne sah und keine Luft mehr bekam. Wieder drang dieses ungeheuerliche Brüllen und Kreischen in seine Ohren. Der Boden unter ihm zitterte. Er lag auf etwas Hartem, dessen scharfe Kanten schmerzhaft durch sein Hemd stachen. Als sich sein Blick klärte und er sich auf Hände und Knie aufrichtete, da hatte der Allosaurier bereits den zweiten Echsenmann angegriffen. Es war das gleiche Tier, das gestern ihn selbst angegriffen hatte. Mike erkannte es ohne Zweifel wieder. Und sein Anblick lähmte ihn ebenso wie gestern. Reglos sah er zu, wie der riesige Raubsaurier auf den Dinosauroiden eindrang. Seine gewaltigen Krallen hatten das Geschöpf gepackt und rissen es ebenso mühelos in die Höhe, wie dieses gerade Ben. Das fürchterliche Maul öffnete sich, um seine Beute zu verschlingen. »Mike! Das Gewehr!«
Bens Schrei riß Mike endlich aus seiner Erstarrung. Verblüfft senkte er den Blick und stellte fest, daß er genau auf das Gewehr gefallen war, das der Echsenmann Ben aus den Händen geschlagen hatte. »MIKE!« Bens Stimme war nur noch ein hysterisches Kreischen. Der zweite Echsenmann hatte sich aufgerichtet und näherte sich dem jungen Engländer. Er humpelte, aber er bewegte sich trotzdem noch immer mit unglaublicher Schnelligkeit. Mike hob das Gewehr, richtete den Lauf auf den Echsenmann und zögerte noch einmal. Eine halbe Sekunde lang saß er wieder vollkommen reglos, wie erstarrt da. Und dann, mit einem Ruck, riß er die Waffe herum, richtete sie auf den Allosaurier und drückte ab. Der Rückschlag war so gewaltig, daß er ihm die Waffe aus den Händen riß und Mike rücklings zu Boden fallen ließ. Aber noch während er fiel, sah er, wie die Kugel gegen den gepanzerten Schädel des gigantischen Raubsauriers schlug und davon abprallte. Trotzdem tat der Schuß seine Wirkung. Der Saurier brüllte auf, ließ sein Opfer fallen und bäumte sich zu seiner ganzen Größe von mehr als drei Metern auf. Sein Schwanz peitschte wütend und zerfetzte das Unterholz hinter ihm. Die Krallen hieben in irrsinniger Wut in die Luft. Dann, ebenso plötzlich, wie es damit begonnen hatte, hörte das Ungeheuerauf zu toben. Mit einem wütenden Ruck fuhr er herum und starrte Mike an. Über seinem linken Auge war eine tiefe, blutende Wunde zu erkennen; tief genug, die Bestie vor Schmerz wütend zu machen, aber mehr auch nicht. Mike warf sich verzweifelt herum, riß das Gewehr an sich und richtete es auf den Saurier. Er drückte ab, ohne zu zielen, rasend schnell und mehrmals hintereinander. Ein helles, metallenes Klicken erscholl, und in Mikes Kopf hallten Bens Worte von vorhin wider: Nur noch eine Patrone drin.
Der Saurier machte einen einzigen, gewaltigen Schritt und war über Mike. Seine riesigen Kiefer öffneten sich. Geifer und heißer, nach Fäulnis stinkender Atem schlugen Mike ins Gesicht.
Als das Ungeheuer zupacken wollte, wurde es von einem knisternden blauen Blitz getroffen. Die Bestie brüllte, warf sich zurück und schrie erneut und noch lauter, als ein zweiter Blitz eine tiefe, rauchende Spur in seine Flanke riß. Winzige, blaue Funken tanzten über seinen Körper, sprangen knisternd von seinen Klauen und Zähnen ab und hinterließen ein Muster winziger, rauchender Löcher in seinen Panzerplatten. Der dritte Blitz, der das Ungeheuer genau zwischen den Augen traf, ließ sein Brüllen verstummen. Die unstillbare Wut und Blutgier in seinen Augen machte einem Ausdruck abgrundtiefen Schmerzes Platz und dann vollkommener, endgültiger Leere. Der Saurier stürzte wie ein gefällter Baum auf die Seite und rührte sich nicht mehr.
Für einen Moment war es Mike, als bliebe die Zeit stehen. Er begriff noch nicht ganz, daß er noch am Leben war, und noch viel weniger, warum. Verständnislos starrte er den Saurier an und dann die beiden Echsenmänner, die in angespannter Haltung vor dem gefallenen Giganten standen. In ihren Händen lagen kleine, sonderbar aussehende Waffen, vor deren Mündungen noch immer blaues elektrisches Feuer glomm. Es war Bens Stimme, die ihn wieder in die Wirklichkeit zurückriß. »Bravo«, sagte er leise. »Das war unsere einzige Patrone, du verdammter Narr!« Einer der beiden Echsenmänner drehte sich zu ihm herum. Die Waffe in seiner Hand vollführte die Bewegung mit und deutete nun auf Ben, dann, als er sich weiterbewegte, auf Mike, und für die Dauer eines Atemzuges war er davon überzeugt, daß das gleiche, tödliche Feuer, das den Saurier vernichtet hatte, nun auch ihn treffen würde. Aber dann begegnete er dem Blick des Echsenmannes. In seinen Augen war jetzt etwas Neues, etwas, was vorhin noch nicht darin gewesen war. Mike konnte nicht sagen, was es war, und dennoch glaubte er bei aller Fremdartigkeit plötzlich etwas Vertrautes in den gelben Reptilienaugen des Wesens zu erkennen.