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Nur daß das vollkommen unmöglich war. Nicht nur, weil Fledermäuse in diesem Teil der Welt gar nicht leben konnten; dafür hätte sich vielleicht sogar noch irgendeine Erklärung gefunden. Nein, was Mike wirklich erschreckte, das war das, was er nicht ausgesprochen hatte:

Die Flügel des Geschöpfes, das er gesehen hatte, hatten eine Spannweite von mindestens zehn Metern gehabt. Seine Behauptung hatte das Gespräch zu einem ziemlich abrupten Ende gebracht. Gottlob war wenige Minuten später Juan mit dem Abendessen hereingekommen, so daß sie die nächste halbe Stunde mit Essen verbrachten und kaum redeten. Keiner der anderen ging noch einmal auf Mikes Behauptung ein, aber er konnte ihre spöttischen Blicke deutlich spüren. Er verfluchte sich innerlich dafür, seine Zunge nicht besser im Zaum gehabt zu haben. Er wußte selbst, wie wenig glaubhaft seine Behauptung klingen mußte - aber je länger er darüber nachdachte, desto deutlicher schien die Erinnerung zu werden. Er war ganz sicher: Er hatte eine riesige, schwarze Fledermaus über dem Eis kreisen sehen. Oder vielleicht auch nur etwas, was wie eine Fledermaus ausgesehen hat, flüsterte eine lautlose Stimme in seinen Gedanken.

Mike senkte den Blick und begegnete dem Glühen von Astaroths einzigem Auge, das ihn unter dem Tisch hervor fixierte.

»Wie meinst du das?« fragte er laut. Die anderen sahen nur kurz auf und wandten sich dann wieder ihrem Essen oder ihrer Unterhaltung zu. Sie hatten sich längst daran gewöhnt, Zeugen dieser einseitigen Gespräche zwischen Mike und dem Kater zu sein. Und mit Ausnahme Bens, der sich dann und wann eine spitze Bemerkung nicht ganz verkneifen konnte, hatten sie es auch akzeptiert.

Was ich meine, ist, daß du wieder einmal einen typisch menschlichen Fehler begehst, antwortete Astaroth. Du setzt einfach voraus, daß die Dinge so sind, wie du sie sehen willst, statt die Dinge so zu sehen, wie sie sind. »Aha«, sagte Mike. Er war nie ganz sicher, ob er Astaroths manchmal purzelbaumschlagender Kater-Logik immer ganz zu folgen vermochte. »Ich verstehe. «

Nein, das tust du nicht, behauptete Astaroth. Weil ihr Menschen nie etwas versteht. Ihr behauptet nur, alles zu verstehen, und das so hartnäckig, bis ihr es am Ende selbst glaubt. Darin seid ihr allerdings ungeschlagene Meister.

»Komm zur Sache, Astaroth«, sagte Mike. Ihm stand im Moment nicht der Sinn nach Diskussionen mit Astaroth über dieses Thema. Der Kater kannte nämlich kein größeres Vergnügen, als in endlosen Monologen zu erklären, daß eigentlich die Feliden die wahren Herren dieser Welt seien und nicht der Homo sapiens. Und so interessant dieses Thema vielleicht sein mochte dummerweise war Mike der einzige an Bord der NAU-TILUS, der den Kater verstehen konnte. Genau das meine ich, sagte Astaroth, der selbstverständlich auch diesen Gedanken gelesen hatte. Ihr weigert euch einfach, das Offensichtliche zu begreifen, wenn es euch nicht paßt. Nimm nur deine Beobachtung: Du glaubst, eine zehn Meter große Fledermaus gesehen zu haben.

»Hm«, machte Mike. Er zog es vor, nicht laut darauf zu antworten. Manchmal war es ganz praktisch, daß die anderen die telepathische Stimme des Katers nicht verstehen konnten.

Und weil du weiter weißt -oder zu wissen glaubst -, daß es keine zehn Meter großen Fledermäuse gibt, kommst du zu dem messerscharfen Schluß, daß du dich geirrt haben mußt, nicht wahr? Bist du schon einmal auf die Idee gekommen, daß es vielleicht etwas war, was du noch nie gesehen hast?

Natürlich war Mike schon von sich aus zu diesem Schluß gekommen. Aber es gab eine ganze Menge, was dagegensprach: zum Beispiel der Umstand, daß außerhalb der NAUTILUS Temperaturen herrschten, die ihre Thermometer nicht einmal mehr anzeigten. Dort draußen konnte nichts Lebendiges auf Dauer existieren.

Nichts, was ihr kennt, widersprach Astaroth. Er gähnte, wobei er Mike einen Blick auf zwei Reihen nadelspitzer Zähne gewährte. Etwas Kleines, Schwarzes wuselte unter seinem Kinn hindurch und begann an Mikes Bein emporzuklettern. Mike streckte die Hand aus und hob das Katzenjunge hoch, bedauerte das aber gleich darauf wieder. Seine drei Geschwister folgten ihm nämlich sofort, und nur einen Moment später gesellte sich auch noch Isis hinzu, so daß er seinen Schoß plötzlich von gleich fünf Katzen belagert fand, von denen vier auf der Stelle herumzubalgen begannen, was das Zeug hielt. An Essen war jetzt nicht mehr zu denken, aber Mike hatte ohnehin keinen Appetit mehr, und außerdem lieferte ihm der Katzenüberfall einen willkommenen Anlaß, irgendwelchen weiteren Gesprächen mit Trautman und den anderen auszuweichen. Er beschäftigte sich noch einige Minuten lang damit, mit den vier kleinen Rackern zu spielen, dann setzte er sie nacheinander sehr behutsam zu Boden und stand auf. »Ich gehe in meine Kabine«, sagte er. »Ich friere immer noch. Ich glaube, ich lege mich eine Stunde hin und versuche mich aufzuwärmen. «

Trautman sah ihn überrascht an. Es war überhaupt nicht Mikes Art, sich tagsüber ins Bett zu legen, aber er ahnte wohl auch, daß dies nur ein Vorwand für ihn war, um eine Weile allein zu sein, denn er sagte nichts, sondern nickte nur. Mike verließ den Salon und lief die kurze Treppe in den vorderen Teil der NAUTILUS hinab, wo seine Kabine lag.

Als er die Tür hinter sich schließen wollte, huschte ein schwarzer Schatten zu ihm herein und war mit einem Satz auf seinem Bett, wo er sich zu einem Ball zusammenrollte

- selbstverständlich mitten auf dem Kopfkissen. Mike sah den Kater forschend an, doch Astaroths lautlose Stimme schwieg jetzt, und gleich darauf bewiesen die regelmäßig werdenen Atemzüge und ein hörbares Schnarchen, daß der Kater eingeschlafen war. Er hatte ihn wohl nur begleitet, um ebenfalls eine Weile seine Ruhe zu haben. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen hatte sich Astaroth als sorgender und sehr geduldiger Vater herausgestellt, aber die vier kleinen Burschen waren manchmal eine richtige Plage. Mike konnte Astaroth gut verstehen.

Er sah sich gerade nach einem anderen Sitzplatz um, als es an der Tür klopfte. Er öffnete sie. Draußen auf dem Gang stand Ben. »Darf ich reinkommen?« fragte er. Mike nickte, aber Ben trat erst an ihm vorbei, als Mike einen Schritt zur Seite machte und seine Einladung mit einer entsprechenden Handbewegung unterstrich. So phantastisch und bequem die NAUTILUS auch sein mochte, eines war an Bord so kostbar wie auf jedem Schiff: die Privatsphäre. Keiner von ihnen hätte es gewagt, die Kabine eines anderen ohne dessen ausdrückliches Einverständnis zu betreten; auch Ben nicht, der sonst vor sehr wenigen Dingen Respekt zeigte. »Tut mir leid, wenn ich dich störe«, begann Ben, und das verwunderte Mike. Ben entschuldigte sich nämlich so gut wie nie für irgend etwas -schon gar nicht, wenn es im Grunde gar nichts zu entschuldigen gab. Mike winkte ab. »Schon gut. Was gibt's?« »Eigentlich nichts Besonderes«, antwortete Ben.

Er grinste und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Eine Fledermaus, wie? Hat Astaroth das auch gesagt?«

Mike schluckte die ärgerliche Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag. »Er war nicht mit draußen«, erinnerte er Ben. »Wie könnte er also etwas bestätigen, was er gar nicht gesehen hat?«

»Stimmt«, sagte Ben. Sein Blick wanderte zwischen Mike und dem Kater hin und her, und jetzt wirkte er eindeutig verlegen. »Andererseits sagst du doch immer

selbst, daß er deine Gedanken lesen kann. Vielleicht hat er deiner Erinnerung ja ein bißchen auf die Sprünge geholfen. Du hast vorhin mit ihm gesprochen. Beim Essen. Stimmt's?«